In einem aktuellen „Grundsatzbeschluss“ (1 ABR 22/21) hat das BAG eine Pflicht aller Arbeitgeber* zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer verkündet.
Eigentlich ging es in der dem BAG vom LAG Hamm vorgelegten Entscheidung darum, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung zusteht. Während das LAG ein solches Initiativrecht des Betriebsrates bejahte, hat das BAG dies abgelehnt.
Soweit so gut, könnte man aus Arbeitgeberperspektive denken. Jedoch führt die Begründung des BAG dazu, dass nun alle Arbeitgeber, d.h. auch solche Unternehmen ohne Betriebsrat, zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden verpflichtet sein sollen. Denn das BAG lehnte das Mitbestimmungs- und Initiativrecht des Betriebsrats mit der Begründung ab, dass insofern eine gesetzliche Regelung bestehe, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates „sperre“. Das BAG sieht die gesetzliche Regelung in der unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Es bleibe daher kein Raum für ein Initiativrecht des Betriebsrats. Vielmehr bestehe jedoch eine Pflicht aller Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer.
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hat erhebliche Praxisauswirkungen
Zum einen trifft die Entscheidung die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte. Sollte der Arbeitgeber sich für eine Einführung eines analogen Erfassungssystems entscheiden, kann der Betriebsrat nicht mehr dagegen vorgehen und etwa die Einführung einer elektronischen Erfassung fordern. Wenn der Betriebsrat also die Digitalisierung im Unternehmen vorantreiben möchte, hat er wohl keine Möglichkeit, dies ohne den gleichlaufenden Willen des Arbeitgebers zu tun.
Zum anderen haben durch die Entscheidung des BAG Vertrauensarbeitszeitmodelle einen schwierigen Stand. Bisher mussten nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nach der heutigen Entscheidung muss die gesamte Arbeitszeit festgehalten werden. Denn auch wenn Vertrauensarbeitszeitmodelle bisher für die Arbeitgeber funktionieren und deswegen weder Bedürfnis noch Interesse an einer Erfassung der konkreten Arbeitszeiten besteht, werden diese jetzt zu einer „Überwachung“ ihrer Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitszeiterfassung verpflichtet.
Diese Folge dürfte weder im Interesse der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber oder der Betriebsräte sein. Denn Letztere werden in ihren Kompetenzen, die Arbeitnehmer unter anderem vor Überwachungen durch den Arbeitgeber zu schützen, beschränkt. Das BAG scheint aber davon auszugehen, dass eine solche Überwachung durch den Arbeitgeber verpflichtend ist.
Änderungen des Arbeitszeitgesetzes nun obsolet?
Seit der sog. Stechuhr-Entscheidung des EuGH rechneten die Unternehmen und Juristen des Landes damit, dass die Bundesregierung das Arbeitszeitgesetz anhand der Vorgaben aus dem EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung anpassen würde – tatsächlich passierte hier in den letzten gut 3 Jahren jedoch nichts.
Mit seiner Entscheidung ist das BAG dem Gesetzgeber zuvorgekommen und nimmt im Zweifel maßgeblich Einfluss auf die Anpassung des Arbeitszeitgesetzes.
Entscheidungsgründe des BAG zur Arbeitszeiterfassung müssen noch abgewartet werden
Die Zukunft wird zeigen, welchen konkreten Einfluss die Entscheidung des BAG auf die Gesetzesänderung der Bundesregierung nehmen wird. Bisher liegt insofern nur die Pressemitteilung des BAG vor, der sich keine konkreteren Schlussfolgerungen entnehmen lassen.
Fest steht jedoch, dass durch den aufsehenerregenden Beschluss bereits ein Paradigmenwechsel stattfindet: weg von den Arbeitszeiten auf Vertrauensbasis, hin zu einer strengeren Überwachung der Arbeitnehmer.
*Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.
Der Beitrag Arbeitszeiterfassung für alle!? – BAG erlässt wegweisenden Beschluss erschien zuerst auf CMS Blog.