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Teil 5: Alternative Gestaltungsmöglichkeiten beim Ablauf der Überlassungshöchstdauer

Auf den Ablauf der Überlassungshöchstdauer kann aus Kundensicht mit der Beendigung des Einsatzes des betreffenden Zeitarbeitnehmers* durch die Kündigung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages und daran anknüpfend mit der Beendigung der Überlassung reagiert werden. Dies löst jedoch oftmals nicht das Problem, da der Beschäftigungsbedarf, der über den Zeitarbeitnehmer abgedeckt werden soll, im Zweifel fortbesteht.

Der Entleiher hat (natürlich) die Möglichkeit, den Zeitarbeitnehmer in ein (auch sachgrundlos befristetes) Arbeitsverhältnis zu übernehmen (zur Zulässigkeit: BAG, Urteil v. 23. September 2014 – 9 AZR 1025/12). Dies ist jedoch in der Praxis aufgrund von Head Count-Vorgaben in der Regel nicht das Mittel der Wahl. Es kommen insoweit alternative Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht, auf die wir nachfolgend eingehen.

Rotationsmodelle

Ein anderer Zeitarbeitnehmer kann den bisher eingesetzten Mitarbeiter ablösen. Entsprechende Rotationen sind nach der herrschenden Ansicht auf einem Dauerarbeitsplatz des Entleihers möglich. Nach einer Unterbrechung von mindestens 3 Monaten und 1 Tag (§ 1 Abs. 1b S. 2 AÜG) kann der ursprüngliche Zeitarbeitnehmer auf den betreffenden Arbeitsplatz wieder „hineinrotieren“ und erneut unter Ausschöpfung der einschlägigen Überlassungshöchstdauer eingesetzt werden (kritisch dazu, wenn ein Dauerbeschäftigungsbedarf nur noch mit wechselnden Zeitarbeitnehmern abgedeckt wird, da der Einsatz nur vorübergehend gem. § 1 Abs. 1 S. 4 AÜG erfolgen dürfe: Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 328; a.A. Zimmermann, MDR 2017, 979; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 91; Bissels/Falter, ArbR 2017, 4 ff.: dem Merkmal „vorübergehend“ kommt aufgrund der gesetzlichen Neuregelung in § 1 Abs. 1b AÜG keine selbständige Bedeutung mehr zu).

Während der Unterbrechungszeit kann der ursprünglich eingesetzte Zeitarbeitnehmer auch an ein Konzernunternehmen des Ausgangsentleihers überlassen werden. Dies setzt voraus, dass der Zeitarbeitnehmer bei dem anderen Konzernunternehmen eingegliedert und weisungsgebunden tätig wird; nicht ausreichend ist es, wenn schlichtweg auf dem Papier der Entleiher ausgetauscht wird, der Zeitarbeitnehmer aber (weiterhin) an seinem bisherigem Arbeitsplatz bei dem Erstentleiher tätig wird und dessen Weisungen unterstellt ist. Entleiherrotationen schließt das AÜG nicht aus, sog. Verleiherrondelle aufgrund der gesetzlich angeordneten Anrechnung der Vorüberlassungszeiten durch einen anderen Verleiher faktisch hingegen schon (vgl. § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG). Auch in diesem Zusammenhang erfolgt – wie bei der Bestimmung des Entleihers – eine rechtsträgerbezogene Betrachtung (vgl. Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 227). In der Praxis sind derartige Entleiherrotationen jedoch mit operativen Schwierigkeiten verbunden, da die neu eingesetzten Zeitarbeitnehmer zunächst eingearbeitet werden müssen. Gerade bei größeren Populationen von Drittkräften kann der gleichzeitige Austausch erhebliche betriebsorganisatorische Störungen bedingen. Hier ist also Weitsicht geboten, um frühzeitig mit diesem zu beginnen, damit stets eine kritische Masse von eingearbeiteten Zeitarbeitnehmern beim Entleiher verbleiben kann.

Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs beim Kunden

Aufgrund der AÜG-Reform 2017 ist die (gewillkürte) Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs auf der Kundenseite – gerade zwischen Konzerngesellschaften – wieder verstärkt in den Fokus geraten, nämlich um die gesetzliche Überlassungshöchstdauer durch einen „Einsatzwechsel“ des überlassenen Zeitarbeitnehmers (von einem Entleiher zu einem anderen, die beide an dem Gemeinschaftsbetrieb beteiligt sind) de facto zu verlängern. Eine Arbeitnehmerüberlassung und ein Gemeinschaftsbetrieb schließen sich nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des BAG aus (vgl. BAG, Urteil v. 23. September 2010 – 8 AZR 567/09; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 1. Februar 2018 – 4 Sa 137/17; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 42/2018 Anm. 4).

Die Tragfähigkeit dieses Modells scheint man zumindest offensichtlich nicht von der Hand weisen zu können. Immerhin ist der Entleiherbegriff des AÜG, der für die Bestimmung der Überlassungshöchstdauer maßgeblich ist, rechtsträger- und nicht betriebsbezogen zu verstehen (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 214; Bissels/Falter, ArbR 2017, 3 f.; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 93; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 325; Neighbour/Schröder, BB 2016, 2869; FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 1, S. 23).

Kommt es für den Entleiherbegriff auf die Rechtspersönlichkeit bzw. den Vertragspartner an, kann ein Gemeinschaftsbetrieb bzw. dessen Bildung auf Seite des Entleihers bzgl. der Überlassungshöchstdauer eine weitere Flexibilität schaffen, indem eine „Rotation“ des Zeitarbeitnehmers zwischen den am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten entleihenden Unternehmen erfolgt; die Überlassungshöchstdauer läuft dann bei jedem Entleiher neu an. Bei einer betriebsbezogenen Betrachtung würde die Überlassungshöchstdauer im Gemeinschaftsbetrieb hingegen „einheitlich“ ablaufen, unabhängig davon, an welches der daran beteiligten Unternehmen der Zeitarbeitnehmer überlassen wird.

Ob die Rechtsprechung das obige Rotationsmodell im Gemeinschaftsbetrieb mittragen wird, ist unter Berücksichtigung von gewissen Umgehungstendenzen nicht abschließend vorhersehbar, so dass dieses Vorgehen zumindest mit nicht unerheblichen Risiken behaftet ist – mit der (möglichen) Konsequenz, dass die Zeiten bei den formal unterschiedlichen Entleihern im Gemeinschaftsbetrieb zusammengerechnet werden könnten. Dies gilt insbesondere, wenn nur zum Zweck der faktischen Verlängerung der Überlassungshöchstdauer ein Gemeinschaftsbetrieb – gerade zwischen Konzerngesellschaften oder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten der gesetzlichen Änderungen mit Wirkung zum 1. April 2017 bzw. spätestens mit dem (erstmaligen) Ablauf der Überlassungshöchstdauer – gebildet wird (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 3 f.; für eine Zusammenrechnung der Einsatzzeiten im Gemeinschaftsbetrieb: Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 326; kritisch auch: Scharff, BB 2018, 1142 f.).

Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs zwischen Personaldienstleister und Kunden

Um entsprechende Unwägbarkeiten, die durch die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs auf Kundenseite und entsprechende Rotationen der dort eingesetzten Zeitarbeitnehmern entstehen können, zu reduzieren, wird vorgeschlagen, dass der gemeinsame Betrieb zwischen dem Verleiher und dem Entleiher selbst gebildet wird. Ein solcher würde eine Arbeitnehmerüberlassung von vornherein ausschließen, so dass die beschränkenden Vorschriften des AÜG (einschließlich der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten) nicht zu beachten wären.

Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob sich ein Unternehmen an einem Gemeinschaftsbetrieb nur durch die Gestellung von Personal beteiligen kann. Dies würde in der Regel dem inhaltlichen Beitrag des Verleihers im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung entsprechen, der in der Praxis oftmals über keine weiteren für den gemeinsamen Betrieb nutzbaren (materiellem) Betriebsmittel verfügen dürfte. Die h.M. lässt dies zu Recht jedoch ausreichen (vgl. Schönhöft/Oelze, BB 2016, 566 ff.; Panzer-Heemeier/Schwipper, DB 2017, 1584 ff.; a.A. ArbG Osnabrück v. 17.03.2015 – 1 Ca 174/14).

Eine gewisse Rechtsunsicherheit verbleibt jedoch; zudem sind insbesondere die kündigungsschutzrechtlichen Konsequenzen eines Gemeinschaftsbetriebs (z.B. einheitliche Sozialauswahl im Gemeinschaftsbetrieb sowie Berücksichtigung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten unabhängig von der Unternehmenszugehörigkeit des dort tätigen Arbeitnehmers) zu beachten, die im Zweifel von Kundenseite angeführt werden können, sich nicht auf die Bildung eines gemeinsamen Betriebs mit einem außerhalb des Konzerns agierenden Verleiher einzulassen. Hier gilt es eine Abwägung vorzunehmen, ob die mit dem Gemeinschaftsbetrieb verbundenen Vorteile, die gerade im Ausschluss der Anwendung der limitierenden Vorschriften des AÜG liegen, die Herausforderungen beim Kündigungsschutz- und Betriebsverfassungsrecht überwiegen.

Umstellung auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag

Die bisher durchgeführte Arbeitnehmerüberlassung kann auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag umgestellt werden. Dafür ist es erforderlich, allerdings nicht hinreichend, die vertragliche Grundlage zu ändern. Darüber hinaus muss de facto die Art der Leistungserbringung erheblich angepasst werden.

Während die Hauptleistungspflicht des Verleihers darin bestand, geeignetes Personal bereit zu stellen, das in die Betriebsorganisation des Entleihers eingegliedert und dort nach dessen Weisungen tätig wird, muss der Werkunternehmer bzw. Dienstleister im Rahmen eines Werk-/Dienstvertrags mit den eigenen und seinen Weisungen unterworfenen Mitarbeitern ein Werk erstellen bzw. eine freie Dienstleistung erbringen. Dies kann mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein, da klassische Verleiher oftmals nicht über das Know-how bzw. die (sachlichen) Betriebsmittel verfügen, um einen Werk-/Dienstvertrag tatsächlich abbilden zu können. Erfolgt die Leistungserbringung zudem on-site, d.h. beim Auftraggeber/Kunden vor Ort, besteht zudem die nicht unerhebliche Gefahr, dass die aufgrund der vormals praktizierten Arbeitnehmerüberlassung eingeschliffenen und bewährten Strukturen schlichtweg fortgeführt werden und so ein Scheinwerk-/Scheindienstvertrag gelebt wird, der aufgrund des damit regelmäßig verbundenen Verstoßes gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht (§ 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG) seit dem 1. April 2017 ebenfalls mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen verbunden ist (u.a. Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem de facto überlassenen Arbeitnehmer und dem de facto Entleiher gem. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG und Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeldrahmen von bis zu EUR 30.000,00 gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1c, 1d, Abs. 2 AÜG).

Bei einer „Umstellung“ der Arbeitnehmerüberlassung auf einen „echten“ Werk-/Dienstvertrag ist daher darauf zu achten, dass der Werkunternehmer/Dienstleister überhaupt in der Lage ist, die vereinbarten Leistungen selbständig zu erbringen, und dass insbesondere streng kontrolliert wird, dass der Werk-/Dienstvertrag im Sinne der getroffenen Vereinbarungen „frei“ umgesetzt wird. Ob ein solcher tatsächlich in Betracht kommt, ist daher immer im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung sorgfältig zu prüfen.

Ausblick: Überlassungshöchstdauer in der Praxis

Gesamtbetrachtend stellt sich die (wieder eingeführte) gesetzliche Überlassungshöchstdauer in der Praxis – gerade aufgrund der komplexen und insbesondere für den juristischen Laien kaum noch durchdringbaren Bestimmungen – als besonders sperrig dar. Zahlreiche Rechtsfragen sind noch nicht abschließend geklärt, so dass für deren Anwendung nach wie vor keine abschließende Sicherheit besteht, was allein schon aufgrund der dreifachen Sanktion bei einem Verstoß (hier: Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen Zeitarbeitnehmer und Entleiher, Ordnungswidrigkeit des Verleihers und ggf. erlaubnisrechtliche Schritte der BA gegen den Verleiher bis zum Widerruf der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis) für die Rechtsanwender ausgesprochen misslich erscheint.

Hinzu kommt, dass die Beschränkung der Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate sachlich nicht begründbar ist. Diese ist weniger an den tatsächlichen Notwendigkeiten oder Erfordernissen orientiert, sondern scheint eher einen ausschließlich politischen Kompromiss darzustellen, ist diese doch das arithmetische Mittel zwischen der Forderung der SPD nach einer Begrenzung der Zeitarbeit auf 12 Monate und der Union auf 24 Monate im Bundestagswahlkampf des Jahres 2013. In Zusammenschau mit der Verpflichtung des Verleihers, dem Zeitarbeitnehmer nach einer Überlassung von 9 Monaten an einen Entleiher grundsätzlich equal pay zu gewähren (§ 8 Abs. 1, 4 AÜG), zeigt sich, dass die an sich zum Schutz des Zeitarbeitnehmers wieder eingeführte Überlassungshöchstdauer für diesen nachteilig wirken kann. Der Mitarbeiter ist grundsätzlich spätestens nach 18 Monaten bei dem Entleiher abzuziehen und muss bei einem anderen Kundenunternehmen eingesetzt werden. Dies dürfte in der Regel mit (erheblichen) Verdiensteinbußen einhergehen, da der Zeitarbeitnehmer bei dem Erstentleiher nach 9 Monaten bereits nach equal pay entlohnt wurde; bei dem neuen Folgeentleiher fällt dieser wieder zurück auf die arbeitsvertraglich vereinbarten bzw. tariflich vorgesehenen Arbeitsbedingungen, die im Zweifel unter dem bereits gewährten equal pay liegen dürften.

Neben die rechtlichen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Überlassungshöchstdauer treten daher rein praktische Erwägungen, die den ursprünglich im Gesetz angelegten Schutz des Zeitarbeitnehmers durch eine Überlassungshöchstdauer in Kombination mit einem zwingenden equal pay ins Gegenteil verkehren. Dieser Aspekt möge im Rahmen der für das Jahr 2020 anstehenden Evaluierung bzgl. der Anwendung des AÜG mitbedacht werden (vgl. § 20 AÜG). Bei einer vernunftgeprägten Betrachtung gehört die Überlassungshöchstdauer wieder abgeschafft, wenn gleichzeitig an der nicht mehr abdingbaren Geltung des Gleichstellungsgrundsatzes hinsichtlich des Entgelts nach dem vollendeten 9. Monat der Überlassung festgehalten wird. Ob der Gesetzgeber insoweit tatsächlich Vernunft walten lässt, ist neben dem Ausgang der Evaluierung abhängig von den politischen Mehrheitsverhältnissen, die sich im Zweifel im Rahmen der Bundestagswahlen im Jahr 2021 ergeben werden, wenn und soweit die Große Koalition solange fortbestehen sollte. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Praxis freilich nichts anderes üblich, als mit der Überlassungshöchstdauer und deren (rechtlichen sowie praktischen) Anwendungsproblemen zu leben.

Nach dem Auftakt und den wesentlichen Grundsätze der Überlassungshöchstdauer sowie Informationen zu Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß und den Tarifverträgen der Einsatzbranche ist dies der letzte Teil unserer Reihe aus Praxissicht.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Berufsrisiko: nicht vom rechten Weg abkommen

Als Dieter Koslowski* die Augen öffnete, musste er sich erst zurechtfinden. Er lag in einem ihm nicht bekannten Zimmer und sein linkes Bein schmerzte. Bewegen konnte er es nicht. Draußen am Fenster eine Aussicht mit Bäumen, die er nicht kannte. Das war auch nicht sein heimisches Schlafzimmer. Als er die Decke zurückschlug und sein eingegipstes Bein sah, dämmerte es ihm.

Koslowski versuchte den Morgen zu rekapitulieren.

Er hatte gemeinsam mit den Kindern das Haus verlassen und diese zwei Straßen weiter in die Kita gefahren. Das Jacken-aufhängen-und-Hausschuhe-anziehen hatte wieder einmal länger gedauert. Daher war er einige Minuten zu spät zum gemeinsamen Treffpunkt seiner seit vier Jahren bestehenden Fahrgemeinschaft gekommen. Rüdiger und Bea hatten aber nichts gesagt. Als er darauf hinwies, dass er noch tanken müsse, weil er das Tanken vergessen habe, gab es ein kurzes Murren. Bea ging ebenfalls mit rein, um sich eine Zeitschrift zu kaufen. Der Weg zum Geschäft war relativ staufrei. Den Wagen konnte er in einer Nebenstraße abstellen, in der – zum Glück – weder Anwohnerparken vorgesehen war, noch ein Parkschein gelöst werden musste. Gemeinsam bogen sie nochmals ab, um sich am Parkhaus mit der Geschäftsführerin zu treffen. Das machten sie auch schon seit Jahren, weil diese die Wechselgeld-Tasche und einige Uhren und Schmuckstücke morgens mit ins Geschäft brachte. Zu viert gingen sie Richtung Hintereingang. Im Hof war er dann über irgendetwas, das nicht auf dem Boden hätte liegen sollen, gestürzt. Und weil er sich nicht mehr bewegen konnte, hatten sie einen Krankenwagen gerufen, der ihn ins Krankhaus brachte.

Rüdiger hatte noch gesagt, „Wenn du länger ausfällst, muss HR das an die BG melden!″ – als wenn sie eine HR-Abteilung hätten. Aber langsam sortierten sich seine Gedanken: BG, das war doch die Berufsgenossenschaft, und gemeldet werden mussten Arbeits- und Wegeunfälle. War sein Sturz ein Wegeunfall? Das musste doch ein Wegeunfall sein.

Gesetzliche Unfallversicherung im Arbeits-, Ausbildungs- oder Dienstverhältnis

Die gesetzliche Unfallversicherung ist im siebten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VII) festgeschrieben. Jeder, der in einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Dienstverhältnis steht, ist kraft Gesetzes versichert (§ 2 SGB VII). Der Versicherungsschutz besteht ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Familienstand oder Nationalität. Er erstreckt sich auf Arbeits- und Wegeunfälle (§ 8 SGB VII) sowie Berufskrankheiten (§ 9 SGB VII). Tritt ein Versicherungsfall (§ 7 SGB VII) ein, entschädigt die Unfallversicherung den Verletzten, seine Angehörigen oder Hinterbliebenen. Die Leistungen umfassen – je nach Einzelfall – die medizinische und berufliche Rehabilitation und die Zahlung von Übergangsgeldern und Renten.

Der Wegeunfall ist eine Form des Arbeitsunfalls und in § 8 Abs. 2 SGB VII definiert. Die Vorschrift ist recht ausführlich und regelt in zahlreichen Unterfällen, was genau beim Wegeunfall erfasst wird.

Unfall muss nicht nur dem Versicherungsträger angezeigt werden

Nach § 193 SGB VII müssen Unfälle dem Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft, Unfallversicherung) angezeigt werden, wenn Versicherte getötet oder so verletzt sind, dass sie mehr als 3 Tage arbeitsunfähig werden.

Die in der Vorschrift enthaltene Definition „Unfälle im Unternehmen″ wird nicht nur räumlich, sondern auch in sachlicher Hinsicht verstanden. Daher gehören auch Wegeunfälle, Unfälle auf Betriebswegen, auf Dienstreisen sowie Arbeitsgeräteunfälle dazu. Der Unternehmer/Arbeitgeber muss die Unfallmeldung innerhalb von 3 Tagen einreichen, nachdem er von dem Unfall Kenntnis erlangt hat.

Die Anzeige ist vom Betriebs- oder Personalrat mit zu unterzeichnen, außerdem müssen Sicherheitsfachkraft und Betriebsarzt über jede Unfallanzeige in Kenntnis gesetzt werden. Eine Durchschrift muss nach § 193 Abs. 7 SGB VII der für den Arbeitsschutz zuständigen Behörde (in NRW das Amt für Arbeitsschutz bei den Bezirksregierungen) übersenden. Der Versicherte kann vom Unternehmer verlangen, dass ihm eine Kopie der Anzeige überlassen wird (§ 193 Abs. 4 SGB VII).

„Unfall“ in der Rechtsprechung definiert und umschrieben

Ein Unfall ist ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (BSG, Urteil v. 9. Mai 2005 – B 2 U 1/05 R). Ein solches Ereignis kann z.B. auch ein Stolpern oder ein Sturz sein. Körperinnere Ursachen, wie z.B. ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall sind dagegen kein Unfallereignis. Eine derartige innere Ursache kann aber auch durch einen äußeren Vorgang hervorgerufen worden sein und damit die Anforderung erfüllen (BSG, Urteil v. 2. Februar 1999 – B 2 U 6/98 R).

Für den Unfall muss es sich zudem um ein plötzliches Ereignis handeln. Das Ereignis muss also zeitlich begrenzt sein, nach der Rechtsprechung längstens eine Arbeitsschicht lang andauern (BSG, Urteil v. 8. Dezember 1998 – B 2 U 1/98 R). Außerdem muss sich das plötzliche Ereignis innerhalb einer Arbeitsschicht ereignet haben.

Das Ereignis muss auf den Körper einwirken, also einen Gesundheitsschaden (z.B. Schnitt, Prellung, Bruch, psychische Erkrankung) auslösen. Ohne Wirkung kann kein Unfallereignis vorliegen.

Darüber hinaus muss der Unfall sich infolge einer versicherten Tätigkeit ereignet haben. Die Handlung, bei der sich der Unfall ereignet hat, muss wesentlich dem Unternehmen dienlich sein, von dem sich die versicherte Tätigkeit ableitet. Die Rechtsprechung zieht als subjektives Element die „Handlungstendenz″ heran und nimmt eine „wertende Zuordnung″ vor, ob die Verrichtung „innerhalb der Grenzen des Versicherungsschutzes liegt″. Natürlich hat sich die Rechtsprechung mit zahlreichen Abgrenzungsfragen befasst, wann der Unfall bei einer versicherten Tätigkeit oder eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Arbeitnehmers** bzw. bei gemischten Tätigkeiten aufgetreten ist.

Wegeunfall: Startpunkt ist die äußere Haustür

Ein Wegeunfall liegt vor, wenn ein Unfall sich auf einem versicherten Weg ereignet hat.

Versichert ist der Weg „nach und von dem Ort der Tätigkeit″. Der Versicherte kann diesen Weg mehr als einmal pro Tag zurücklegen, also z.B. das Mittagessen zu Hause einzunehmen und anschließend wieder den Tätigkeitsort aufsuchen; er ist auf Hin- und Rückweg versichert (BSG, Urteil v. 19. Juni 2018 – B 2 U 1/17 R, Rn. 22).

Der Weg beginnt beim Verlassen des häuslichen Bereichs. Dies ist die Außentür des Gebäudes, in dem der Versicherte wohnt. Das gilt im Übrigen auch bei Mehrfamilienhäusern. Wer noch im Treppenhaus stürzt, hat keinen Wegeunfall.

Umwege und Abwege können Versicherungsschutz entfallen lassen

Grundsätzlich ist nur der unmittelbare Weg versichert. Auf Umwegen oder Abwegen kann der Versicherungsschutz entfallen. Kleine, privaten Zwecken dienende Umwege lassen den Versicherungsschutz nicht entfallen. Wer am Straßenrand an einem Kiosk eine Zeitung kauft und seinen Weg anschließend fortsetzt, bleibt versichert. Wer allerdings einen Abweg nimmt, also die eigentliche Zielrichtung ändert und schließlich wieder umkehren muss, um den Arbeitsort zu erreichen, der ist nicht mehr versichert.

Versicherungsschutz erstreckt sich auf Wege zur Kinderbetreuung

§ 8 Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGB VII dehnt den Versicherungsschutz aus sozialpolitischen Gründen weiter aus:

Bestimmte abweichende Wege bleiben allerdings versichert, beispielsweise, wenn ein Kind fremder Obhut anvertraut wird (§ 8 Abs. 2 Nr. 2a SGB VII). Die Obhut kann bei Verwandten und Bekannten (BT-Drs. VI/1333, S. 5) wie auch in organisierten Jugendgruppen, bei einer Tagespflegeperson oder in Kindergärten geschehen. Versichert ist der Weg zur Kita aber nur, wenn er während des Weges zur Arbeitsstätte erfolgt. Wer zunächst das Kinder wegbringt, um danach nach Hause zurückzukehren und von dort den Weg ins Büro anzutreten, ist auf dem Weg zur Kita nicht versichert. Im Übrigen bildet auch hier die Außentür die räumliche Grenze, der Aufenthalt im Haus der Obhutsperson ist nicht versichert: Wer die Kita betritt und dort verunfallt, fällt nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Voraussetzung für einen Versicherungsschutz ist auch, dass das Kind wegen der beruflichen Tätigkeit des Versicherten oder seines Ehegatten oder Lebenspartners fremder Obhut anvertraut wird. Allerdings wird nicht verlangt, dass beide Elternteile aus beruflichen Gründen gleichzeitig abwesend sind (Jahn, SGB VII § 8 Rn. 142).

Fahrgemeinschaften bilden ist möglich

Ausdrücklich in den Versicherungsschutz einbezogen sind Fahrgemeinschaften gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 b SGB VII. Wer einen abweichenden Weg wählt, der dadurch bedingt ist, dass er mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug benutzt, bleibt im Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Es reicht die einmalige Mitnahme von Kollegen aus, es müssen aber Berufstätige bzw. Versicherte sein. Ist dies der Fall, dann bleiben auch lange Umwege oder Abwege zum gemeinsamen Treffpunkt versichert (BSG, Urteil v. 12. Januar 2010 – B 2 U 36/08 R).

Ist Tanken „notwendig“, kann Versicherungsschutz bestehen bleiben

Tanken ist grundsätzlich eine unversicherte Vorbereitungshandlung. Das Tanken ist nur ausnahmsweise vom Versicherungsschutz umfasst, wenn es während des versicherten Wegs unvorhergesehen erforderlich wird. Ob das der Fall war, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Wem also erst auf dem Weg auffällt, dass der Sprit nicht ins Büro reicht, bleibt auch beim Tanken an der Tankstelle versichert. Früh blinkende Tank- und Reichweitenanzeiger bei überschaubaren Fahrstrecken müssten diesen Fall für die Praxis eher zur Ausnahme machen. Das Bundessozialgericht hält Tanken aber auch in den Fällen für „unvorhergesehen“ notwendig, in denen sich – ohne dass es auf den Füllstand des Tanks bei Antritt der Fahrt ankommt – bereits bei Fahrtantritt oder später während der Fahrt ergibt, dass der Reservetank in Anspruch genommen werden muss (BSG, Urteil v. 11. August 1998 – B 2 U 29/97 R). Die jüngere Instanzrechtsprechung handhabt das Merkmal „unvorhergesehen“ jedoch restriktiv: Kraftstoffverlust aufgrund eines technischen Defekts, Motorstörungen, erhöhtes Heizverhalten oder erhöhte Nutzung der Klimaanlage aufgrund eines Staus (Beck-SozialR § 8 Rn. 187.1).

Parken: Verhältnismäßigkeit beachten

Solange der Versicherte den Weg von oder nach dem Ort der versicherten Tätigkeit fortsetzt, tritt keine Unterbrechung ein. Er bleibt im gesamten öffentlichen Verkehrsraum geschützt. Auch das Parken des eigenen Wagens gehört dazu; allerdings kommt es auf den Einzelfall an, welche Umwege zur Parkplatzsuche und Entfernungen zum Tätigkeitsort den Zusammenhang zum Dienst noch aufrechterhalten. Wer einen Parkplatz in weiter Entfernung oder am anderen Ende der Stadt aufsucht, befindet sich auf einem Abweg und ist nicht mehr versichert.

Gemeinsamer Treffpunkt aus Sicherheitsgründen

Nach einer Entscheidung des SG Osnabrück (Urteil v. 16. Mai 2019 – S 19 U 123/18) kann das Verlassen des direkten Weges zum Arbeitsort versichert sein, wenn es aus Sicherheitsgründen erfolgt. Im entschiedenen Fall trafen sich eine langjährige Mitarbeiterin und die Geschäftsführerin eines Juweliergeschäfts in einiger Entfernung, um den Weg zum Juweliergeschäft gemeinsam zurückzulegen und gemeinsam das Geschäft aufzuschließen. Das Sozialgericht entschied, dies sei ein aus Sicherheitsaspekten dem Unternehmen dienender Grund, da die gegenseitige Begleitung der Gefahr eines Unfalls begegne.

Angekommen am Ort der Tätigkeit

Wer sich allerdings schon am Ort der Tätigkeit befindet, ist nicht mehr auf dem „Weg nach dem Ort der Tätigkeit″. Dieser endet im Allgemeinen mit dem Durchschreiten oder Durchfahren des Werkstores. Wer das Gelände des Geschäftsbetriebs bereits erreicht und dort auf dem Weg zum Arbeitsplatz stolperte, erleidet keinen Wegeunfall gemäß § 8 Abs. 2 SGB VII, sondern einen Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII (LAG München, 27.11.2018 – 7 Sa 365/18).

Auch bei Dieter Koslowski war das der Fall: sein Sturz ereignete auf dem Hof seines Arbeitgebers, nachdem er den Hintereingang genommen hatte. Wäre er dagegen beim Weg zum Auto, zur Kita oder vom Parkplatz gestürzt, würde es sich um einen Wegeunfall handeln.

Es gibt weitere Berufsrisiken – die Serie wird fortgesetzt.

Lesen Sie hier: Berufsrisiko: Leider geheim!, Berufsrisiko: Schnelle Fahrt mit Folgen und Berufsrisiko: Besuch vom Amt.

*Unsere Personen und die Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlichen Begebenheiten wären rein zufällig.

**Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitarbeit schon ab der ersten Überstunde

Am 19. Dezember 2018 hat der 10. Senat des BAG ein bedeutsames Urteil zu den häufig in Tarifverträgen zu findenden Mehrarbeitszuschlägen für Teilzeitbeschäftigte gefällt (10 AZR 231/18). Nach Auffassung des Senats verstößt eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, gegen § 4 Abs. 1 TzBfG.

Bisher vertrat der 10. Senat die Ansicht, dass teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer* nicht ungünstiger behandelt werden als Vollzeitkräfte, wenn ihre Überstunden nur mit dem Grundlohn bezahlt werden, falls Teilzeitquote plus Überstunden hinter der betriebsüblichen Vollzeit zurückbleibt (BAG, Urteil v. 26. April 2017 – 10 AZR 589/15). Nunmehr hat er seine langjährige Rechtsprechung aufgegeben und sich insoweit der Meinung des 6. Senats angeschlossen (siehe BAG, Urteil v. 23. März 2017 – 6 AZR 161/16).

Der Fall: Filialleiterin verlangte Mehrarbeitszuschläge

Eine in Teilzeit tätige stellvertretende Filialleiterin verlangte von ihrem Arbeitgeber Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit, die sie über die zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitszeit hinaus leistete.

Für das Arbeitsverhältnis galt der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie. Dieser definiert, dass Mehrarbeit, welche mit einem Mehrarbeitszuschlag zu vergüten ist, (nur) diejenige Arbeitsleistung ist, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden hinausgeht. Im Hinblick auf Teilzeitbeschäftigte ist zudem ausdrücklich geregelt, dass Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit ist, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgeht.

BAG: Zuschlag für über die individuelle vertragliche Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit

Teilzeitbeschäftigten ist nach der Entscheidung des BAG nunmehr bereits dann ein tariflicher Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, wenn sie Mehrarbeit über die individuelle vertragliche Arbeitszeit hinaus leisten und nicht erst, wenn sie die vereinbarte Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschreiten.

Das BAG zieht zur Begründung seiner Entscheidung Sinn und Zweck von Überstundenzuschlägen heran. Mit diesen werde allein der Umstand belohnt, dass Mitarbeiter ohne Freizeitausgleich mehr als vertraglich vereinbart arbeiten und dadurch planwidrig die Möglichkeit einbüßen, über ihre Freizeit auch frei zu verfügen.

Arbeitszeitkonten könnten finanzielle Auswirkungen abdämpfen

Erfreulich ist, dass es nunmehr eine einheitliche Linie beim BAG gibt und damit die bestehende Rechtsunsicherheit aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen des 6. und des 10. Senats ausgeräumt sind.

In der Praxis dürfte die Umorientierung des 10. Senats für Unternehmen allerdings erhebliche finanzielle Auswirkungen (u.a. durch die Nachforderungen von Teilzeitbeschäftigten auf die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen) haben, zumal die Entscheidung auch auf Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge durchschlägt. Abhilfe können hier gegebenenfalls Arbeitszeitkonten schaffen.

Das wirtschaftliche Risiko mag zudem begrenzt sein, wenn der Arbeitnehmer – mit Blick auf die Durchsetzung seiner (vermeintlichen) Ansprüche auf die Zahlung eines Mehrarbeitszuschlags – tarifvertraglich geltende oder arbeitsvertraglich vereinbarte und AGB-rechtlich wirksame Ausschlussfristen zu beachten hat.

Arbeitgeber sollten Nachzahlungsverlangen von Sozialversicherungen einplanen

In sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ist zu bedenken, dass Nachforderungen der Deutschen Rentenversicherung auf die Unternehmen wegen in der Vergangenheit an die Teilzeitbeschäftigten nicht geleisteter Mehrarbeitszuschläge zukommen könnten. Dabei kommt es aufgrund des geltenden Entstehungsprinzips nicht darauf an, ob die entsprechenden Zuschläge von dem Arbeitgeber auch an den Arbeitnehmer gezahlt wurden; ausreichend für eine Beitragspflicht ist bereits, dass der Anspruch auf die Zahlung des Mehrarbeitszuschlags in der Vergangenheit entstanden ist. Dementsprechend sollten gegebenenfalls Rückstellungen gebildet werden.

Ob sich Unternehmen aufgrund der alten, nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung des 10. Senats auf einen Vertrauensschutz berufen können, ist noch offen. Fest steht allerdings, dass die Deutsche Rentenversicherung das Thema auf dem Schirm hat. Dies zeigen die Erkenntnisse aus zuletzt von der Behörde durchgeführten Betriebsprüfungen. Wie die Deutsche Rentenversicherung mit dem Urteil des 10. Senats nun umgeht, insbesondere ob diese sich der Nachverbeitragung von Mehrarbeitszuschlägen von Teilzeitbeschäftigten flächendeckend annehmen und bejahendenfalls in betroffenen Branchen (u.a. der Gebäudereinigung) „Sonderprüfungen″ durchführen wird, ist – soweit bekannt – noch Gegenstand entsprechender (interner) Beratungen.

Unabhängig von der „Vergangenheitsbewältigung″ müssen Unternehmen zukunftsgerichtet aber auch dafür sorgen, dass die obige Rechtsprechung beachtet und umgesetzt wird. Denn das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen auf zu zahlende Mehrarbeitszuschläge von Teilzeitbeschäftigten kann bei einem bedingt vorsätzlichen Verhalten strafrechtliche Konsequenzen haben (§ 266a StGB).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Haftung des Personaldienstleisters bei einem Arbeitsunfall beim Kunden?

Auch der den Zeitarbeitnehmer überlassende Personaldienstleister haftet bei einem Arbeitsunfall beim Kunden. Jedoch kann er sich auf die Privilegierung nach § 104 SGB IV berufen. Eine Haftung ist dabei grundsätzlich auf Vorsatz beschränkt.

Mit der Frage, ob der Personaldienstleister vor diesem Hintergrund für einen Arbeitsunfall beim Kunden haftbar gemacht werden kann, musste sich das Hess. LAG befassen (Urteil v. 5. Juli 2018 – 9 Sa 459/17). Im Ergebnis hat es die von dem verunfallten Zeitarbeitnehmer eingelegte Berufung gegen das klageabweisende Urteil des ArbG Frankfurt a.M. zurückgewiesen.

Kunde steht für arbeitsschutzrechtlichen Pflichten ein, Personaldienstleister für entsprechende Kontroll- und Überwachungsrechte

Im Leitsatz formuliert das Gericht, dass dem beklagten Personaldienstleister im Hinblick auf den vom Kläger erlittenen Arbeitsunfall – diesem sei eine Fluggasttreppe über den Fuß gerollt – Vorsatz gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht vorzuwerfen sei. Eine Verletzung seiner Kontroll- und Überwachungsrechte als Verleiher in Bezug auf die Ausgestaltung und Durchführung des Arbeitsverhältnisses des Klägers war bei dem Kunden nicht erkennbar.

Nach § 11 Abs. 6 S. 1 AÜG unterliege die Tätigkeit des Zeitarbeitnehmers bei dem Kunden den für dessen Betrieb geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Die sich daraus ergebenden arbeitsschutzrechtlichen Pflichten seien damit dem Kunden zugewiesen. Dieser habe für die praktische Wirksamkeit des Arbeitsschutzes in seinem Betrieb auch in Bezug auf Zeitarbeitnehmer einzustehen, während dem Personaldienstleister als Vertragsarbeitgeber entsprechende Kontroll- und Überwachungsrechte verblieben.

Haftung bei vorsätzlicher Verletzung von Kontroll- und Überwachungsrechten

Aus dem Urteil ergibt sich auf Grundlage der „Aufteilung“ der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten gem. § 11 Abs. 6 S. 1 AÜG, dass das Zeitarbeitsunternehmen für einen Arbeitsunfall bei dem Kunden nur haftbar gemacht werden kann, wenn dieser die bei ihm verbleibenden Kontroll- und Überwachungsrechte verletzt hat und ihm dazu noch Vorsatz nachgewiesen werden kann.

Aus der Vorschrift ergibt sich, dass der Kunde für die praktische Wirksamkeit des Arbeitsschutzes in seinem Betrieb auch hinsichtlich der Zeitarbeitnehmer einzustehen hat, während bei dem Personaldienstleister als Vertragsarbeitgeber lediglich entsprechende Kontroll- und Überwachungsrechte verbleiben. Er hat danach sicherzustellen, dass während der Tätigkeit der von ihm überlassenen Arbeitnehmer im Kundenbetrieb die dafür geltenden öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzbestimmungen gewahrt werden, ggf. auf die Unterbindung von Verstößen hinzuwirken oder andernfalls die Tätigkeit der überlassenen Arbeitnehmer zu beenden.

Abweichendes kann allerdings gelten, soweit sich das Zeitarbeitsunternehmen gegenüber dem Kunden verpflichtet hat, nicht nur Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung zu überlassen, sondern diese auch mit der erforderlichen Schutzausrüstung auszustatten (BAG, Urteil v. 7. Juni 2016 – 1 ABR 25/14).

Praxishinweis: Dokumentation von arbeitsschutzrechtlichen Belehrungs-, Kontroll- und Überwachungspflichten

Unter Beachtung des Urteils tun Personaldienstleister gut daran, hinreichend zu dokumentieren, dass diese ihre arbeitsschutzrechtlichen Belehrungs-, aber auch ihre Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber dem Kunden wahrgenommen haben.

Dies gilt erst recht, wenn das Zeitarbeitsunternehmen Kenntnis davon erlangt, dass es der Kunde mit der Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften nicht allzu genau zu nehmen scheint. Dies gilt insbesondere in Zusammenhang mit den Bestimmungen des ArbZG.

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*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Haftung des Geschäftsführers für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge

Die DRV nimmt den Geschäftsführer* einer insolventen Gesellschaft aufgrund deliktischer Ansprüche auf die nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch, die vorsätzlich nicht abgeführt worden sein sollen (§ 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB).

Dieser Plan war und ist nach den bekannt gewordenen Gerichtsentscheidungen bislang – vollkommen zu Recht – nicht bzw. nicht in der Breite von Erfolg gekrönt gewesen. Wie bereits das OLG Sachsen-Anhalt (Urteil v. 9. September 2016 – 10 U 19/15) hat auch das LG Kiel die von der Einzugsstelle geltend gemachten Ansprüche gegen den Geschäftsführer der insolventen Gesellschaft abgelehnt (Urteil v. 7. Dezember 2018 – 1 S 205/17).

Geschäftsführer muss Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung vorsätzlich vorenthalten

Eine persönliche Haftung der Geschäftsführer ist nur durchzusetzen, wenn dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer (bedingter) Vorsatz nachgewiesen werden kann. Die DRV wollte dementsprechend einen Schadensersatzanspruch wegen nicht abgeführter Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung feststellen lassen.

Dieser Plan schlug fehl. Das Gericht führte hierzu aus, der Geschäftsführer habe Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung nicht (vorsätzlich) vorenthalten oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungs­rechtlichen Fragen in Unkenntnis gelassen.

Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP

Aufgrund der Beschlüsse des BAG stand erst seit dem 23. Mai 2012 fest, dass die CGZP seit ihrer Gründung nicht tariffähig war. In der Folge galt nicht mehr die sich aus diesem Tarifvertrag ergebende Lohnvereinbarung, sondern es wäre den Zeitarbeitskräften nach dem Grundsatz „equal pay“ der gleiche, höhere Lohn zu zahlen gewesen wie der vergleichbaren Stammbelegschaft des entleihenden Unternehmens.

Jedoch fehlte es dem Geschäftsführer bis zu den Beschlüssen des BAG an der notwendigen zuverlässi­gen Kenntnis über den zeitlichen Umfang der Tarifunfähigkeit der CGZP. Bis zu diesen Beschlüs­sen bestand Rechtsunsicherheit, auf die sich der Beklagte berufen kann. Erst seit diesem Zeit­punkt stand fest, dass alle Leiharbeitsverhältnisse, die unter der Annahme der Gültigkeit von Tarif­verträgen der CGZP geschlossen waren, rückwirkend seit dem 11. Dezember 2002 nachzuberechnen waren (vgl. OLG Sachsen-Anhalt vom 9. September 2016 – 10 U 19/15 Rn. 38).

Auch nach BAG-Entscheidung kein (bedingter) Vorsatz

Auch nach dem Wegfall der Rechtsunsicherheit aufgrund der Beschlüsse des BAG vermochte die Kammer nicht festzustellen, dass der Beklagte wusste und billigend in Kauf nahm, die Beiträge im Fälligkeitszeitpunkt trotz Verpflichtung dazu nicht zu erfüllen.

Dem Beklagten ist nicht bewusst gewesen, dass die Beiträge ohne Prüfbescheid sofort fällig waren. Dies ergibt sich aus dem schriftsätzlichen Vorbringen in der Klageerwiderung, ihm habe bis zur Eröffnung des Insol­venzverfahrens keine verbindliche Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung zu den nach dortiger Rechtsauffassung tatsächlich von der X-GmbH geschuldeten Beiträgen vorgelegen.

Eine der Höhe nach (belastbare) Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge für Geschäftsführer weder möglich noch zumutbar

Der Versuch der Einzugsstellen, eine Haftbarkeit der Geschäftsführer für die nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge zu erreichen, mag zwar aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar sein, mit überzeugenden rechtlichen Erwägungen haben die Zivilgerichte allerdings diesem Plan eine Abfuhr erteilt.

Im Ergebnis ist vollkommen zu Recht eine persönliche Haftung eines Geschäftsführers für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge abgelehnt worden. Eingedenk der vollkommen unübersichtlichen Rechtslage vor und insbesondere nach der Entscheidung des BAG zur CGZP aus dem Jahr 2010, die mindestens bis in das Jahr 2012 andauerte, kann den verantwortlichen Personen daraus kein (delikts- oder gar strafrechtlicher) Vorwurf zur Ableitung eines Vorsatzes gemacht werden, dass diese keine Sozialversicherungsbeiträge auf ein im Zweifel höheres Vergleichsentgelt abgeführt haben.

Selbst die DRV tappte hinsichtlich der Folgen der Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2010 (Az.: 1 ABR 19/10) im Dunklen; in den daraufhin angestoßenen und letztlich durchgeführten „Sonderprüfungen“ wurde oftmals nach dem Motto „learning by doing“ agiert, ohne dass aber für die Nachforderungen ein gesicherter rechtlicher Rahmen bestanden hatte. Wer selbst derartige Prüfungen begleitet hat, weiß, wie schwierig es war, insbesondere die Höhe der Nachforderung belastbar zu berechnen. Dies war in der Regel nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Vor diesem Hintergrund hat die DRV auch mitunter die nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträge geschätzt.

Die Frage, die sich die Einzugsstellen in der Tat stellen müssen, wenn diese einen Geschäftsführer persönlich in Anspruch nehmen, ist schlichtweg diejenige, wie dieser eine solche (auch der Höhe nach belastbare) Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge hätte selbst vornehmen können, wenn die DRV in diesem Zusammenhang an ihre Grenzen gelangt ist – eine Behörde mit mehreren tausend Mitarbeitern.

Es dürfte kaum zu erwarten und in diesem Sinne erst recht nicht zumutbar gewesen sein, dass gerade kleinere oder mittelständische Personaldienstleister mit deren organisatorisch-personell beschränkten Ressourcen mehr zu leisten im Stande gewesen sein sollen, als die DRV. Insoweit haben die Zivilgerichte im Rahmen entsprechender Verfahren mit dem entsprechenden Augenmaß agiert und die von den Einzugsstellen angestrengten Klagen – insbesondere auf Grundlage der Leitentscheidung des OLG Sachsen-Anhalt – abgewiesen.

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Arbeitsrechtliche Aspekte der Restrukturierungs-Richtlinie

Der vollständige Name lautet: Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132.

Ende Juni wurde die Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Insolvenzen sollen vermieden werden

Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit der Richtlinie das Ziel, Unternehmensinsolvenzen vorzubeugen. Firmen, die zwar in finanziellen Schwierigkeiten stecken, aber noch überlebensfähig sind, sollen Zugang zu einem wirkungsvollen präventiven (also die Insolvenz abwendenden) Sanierungsverfahren erhalten. Letztlich dient dies auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen, weil eine Insolvenz in aller Regel zu Entlassungen führt.

Mitgliedstaten müssen Richtlinie umsetzen

Die Richtlinie ist nicht unmittelbar anwendbar. Sie fordert vielmehr die Mitgliedstaaten auf, in ihrem nationalen Recht die Vorschriften zu schaffen, die erforderlich sind, um den Anforderungen der Richtlinie gerecht zu werden. Wie auch alle anderen Mitgliedstaaten muss Deutschland diese Vorschriften bis zum 17. Juli 2021 erlassen; von diesem Tag an müssen die Regelungen auch bereits anwendbar sein.

Alles dreht sich um den präventiven Restrukturierungsrahmen

Das Herzstück der Richtlinie ist der präventive Restrukturierungsrahmen. Unternehmen, die insolvenzgefährdet sind, sollen Luft zum Atmen erhalten, um einen Sanierungsversuch mit ihren Gläubigern zu unternehmen. Zu diesem Zweck soll die Geschäftsleitung zwar die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis behalten; es soll also kein Insolvenzverwalter bestellt werden. Sofern erforderlich, soll das zuständige Gericht jedoch einen Restrukturierungsbeauftragten ernennen, der vor allem darüber wacht, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt werden. In bestimmten Fällen ist die Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten zwingend (vgl. Art. 5 der Richtlinie).

Moratorium: Stopp von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

Damit einzelne Gläubiger Sanierungsbemühungen nicht torpedieren können, kann das Gericht anordnen, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen das Unternehmen ausgesetzt werden (Art. 6 der Richtlinie). Ein solches Moratorium ist allerdings bei Forderungen von Arbeitnehmern* nicht möglich, es sei denn, der jeweilige Mitgliedstaat stellt sicher, dass die Erfüllung solcher Forderungen auf einem vergleichbaren Schutzniveau garantiert ist (Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie).

Deutschland beispielsweise könnte das Vollstreckungs-Moratorium auf Arbeitnehmer-Forderungen ausweiten, weil dann, wenn der Arbeitgeber die Gehaltszahlungen einstellt, die Arbeitnehmer Anspruch auf die Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld (§ 157 SGB III) haben. Der Gesetzgeber müsste dann aber wohl bestimmen, dass die Zeit der Gleichwohlgewährung auf die maximale Anspruchsdauer für das Arbeitslosengeld (§ 148 SGB III) nicht angerechnet wird, weil sich andernfalls das Moratorium zu Lasten der Arbeitnehmer auswirkte und damit ggf. kein vergleichbares Schutzniveau mehr gewährleistet wäre.

Arbeitnehmer-Forderungen im Restrukturierungsplan

Ziel eines Sanierungsverfahrens ist die Erstellung eines Restrukturierungsplans, der alle Maßnahmen vorsehen kann, die dem Schuldner die Begleichung seiner Verbindlichkeiten erleichtern (z. B. Stundungen, Teil-Erlasse oder eben auch etwa Entlassungen, Kurzarbeitsregelungen oder ähnliche Maßnahmen). Dem Sanierungsplan muss eine Mehrheit der betroffenen Gläubiger zustimmen (Art. 9 der Richtlinie). Denkbar ist, dass eine Gläubiger-Gruppe eine andere überstimmt (Art. 11 der Richtline). In manchen Fällen, etwa wenn mehr als ein Viertel der Arbeitsplätze abgebaut werden soll, muss der Restrukturierungsplan auch von dem zuständigen Gericht genehmigt werden (Art. 10 der Richtlinie).

Wichtig für Verbindlichkeiten mit Bezug zum Arbeitsrecht ist: Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Forderungen von Arbeitnehmern nicht Gegenstand eines Restrukturierungsplans sein können (Art. 1 Abs. 5 der Richtlinie). Keinesfalls angetastet werden dürfen erworbene Ansprüche auf eine betriebliche Altersversorgung (Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie). Jedenfalls unverfallbare Anwartschaften auf Betriebsrenten müssen also allen Arbeitnehmern ungeschmälert erhalten bleiben.

Änderungen arbeitsvertraglicher Bedingungen

Sehr kryptisch formuliert ist Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie: Er sieht vor, dass dann, wenn der Restrukturierungsplan Maßnahmen vorsieht, die Änderungen an der Arbeitsorganisation oder an den Arbeitsverträgen mit sich bringen, diese Maßnahmen von den Arbeitnehmern genehmigt werden, sofern das nationale Recht oder Tarifverträge in diesen Fällen eine solche Genehmigung vorsehen.

Nach deutschem Recht bedürfen Änderungen arbeitsvertraglicher Vereinbarungen im Grundsatz stets der Zustimmung der Arbeitnehmer, weil der Arbeitgeber solche (nachteiligen) Änderungen nicht einseitig vornehmen kann. Allerdings ist davon auszugehen, dass daneben weiterhin Änderungskündigungen nach § 2 KSchG möglich sind. Denn man kann nicht davon ausgehen, dass der europäische Gesetzgeber dieses Kündigungsrecht ausschließen wollte. Ein Restrukturierungsplan kann also und wird regelmäßig mit der Absicht verbunden werden, Gehaltsreduzierungen oder sonstige Maßnahmen zur Personalkostensenkung über einvernehmliche Regelungen oder Änderungskündigungen zu erreichen.

Für Änderungen an der Arbeitsorganisation bedarf es nach deutscher Rechtslage hingegen grundsätzlich gerade keiner Zustimmung von Mitarbeitern oder ihren Vertretern, sondern lediglich der Durchführung der Prozesse nach dem BetrVG. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie spielt insoweit keine Rolle.

Soweit Beendigungskündigungen unvermeidbar sind, ist aber weiter zu bedenken, dass etwa die Kündigungserleichterungen des § 113 InsO in einem Restrukturierungsverfahren nicht gelten, weil der Anwendungsbereich der insolvenzarbeitsrechtlichen Bestimmungen der §§ 113 bis 128 InsO auf Insolvenzverfahren beschränkt ist.

Neue Rechte der Arbeitnehmervertreter

Die Richtlinie verweist an mehreren Stellen auch auf das kollektive Arbeitsrecht. So müssen die Arbeitnehmervertreter Zugang zu Informationen über die Verfügbarkeit von Frühwarnsystemen (= Mechanismen, die auf eine drohende Insolvenz hinweisen) sowie zu Verfahren und Maßnahmen zur Restrukturierung bzw. Entschuldung haben. (Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie). Es soll den Mitgliedstaaten auch offenstehen, den Arbeitnehmervertretern zur Bewertung der wirtschaftlichen Situation Unterstützung zu gewähren (Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie). Die Arbeitnehmervertretung soll so in die Lage versetzt sein, selbst zu prüfen, ob das Unternehmen auf eine Insolvenz zusteuert.

Der europäische Gesetzgeber wünscht sich sogar, dass der Betriebsrat dem Unternehmen etwaige Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation und in Bezug auf die Notwendigkeit, eine Restrukturierung in Betracht zu ziehen, mitteilt (Art. 13 der Richtlinie).

Die Praxis wird zeigen, wie sich diese neuen Befugnisse auf den betrieblichen Alltag auswirken. Plant das Unternehmen die Ausarbeitung eines Restrukturierungsplans, muss es den Betriebsrat hierüber unterrichten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben, noch bevor der Plan den Gläubigern oder dem Gericht vorgelegt wird (Art. 13 der Richtlinie).

Streikrecht

Schließlich betont die Richtlinie, dass durch eine Restrukturierung weder das Recht auf Tarifverhandlungen noch das Recht auf Arbeitskampfmaßnahmen beeinträchtigt werden darf (Art. 13 der Richtlinie). Die Tatsache, dass ein Unternehmen um sein wirtschaftliches Überleben kämpft und zu diesem Zwecke einen Restrukturierungsplan ausarbeitet, bedeutet für sich genommen also nicht, dass Streiks unzulässig wären. Arbeitsniederlegungen mit dem Ziel, gegen Stellenabbau oder Lohnsenkungen zu protestieren, bleiben unter den allgemeinen Voraussetzungen erlaubt.

Tarifverträge

Für künftige Tarifverhandlungen ist daran zu denken, dass durch einen Restrukturierungsplan von bestehenden Tarifverträgen nicht abgewichen werden kann. Aus Sicht eines Unternehmens wäre es daher wünschenswert, wenn der Tarifvertrag ein Kündigungsrecht für den Fall vorsieht, dass ein Restrukturierungsplan von der Gläubiger-Mehrheit angenommen und von dem zuständigen Gericht genehmigt worden ist.

Der Beitrag ist Teil unserer Blogreihe zum Präventiven Restrukturierungsrahmen. Es erschien bereits ein Beitrag zu den Moratorien und zu den Restrukturierungsplänen. Anschließend haben wir uns mit den Pflichten der Unternehmensleitung, dem Schutz von Finanzierungen und Finanzierungsgebern sowie den Restrukturierungsbeauftragten und Verwaltern befasst. Zuletzt sind wir auf die Entschuldung insolventer Unternehmer eingegangen.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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„Deckelung“ des Branchenzuschlags nach dem TV BZ ME

§ 8 Abs. 4 S. 2 AÜG ermöglicht bei Anwendung eines Branchenzuschlagstarifvertrages eine Abweichung vom grundsätzlich zwingenden equal pay-Grundsatz über den vollendeten 9. Monat der Überlassung an einen Kunden. Das LAG Hamm musste sich insbesondere mit der Bestimmung des Vergleichsentgelts sowie den Anforderungen an eine Deckelung befassen (Urteil v. 8. November 2018 – 18 Sa 1728/17).

Zeitarbeitnehmer fordert Zahlung eines Branchenzuschlags

Ein Zeitarbeitnehmer verlangte von dem beklagten Personaldienstleister die Zahlung eines Branchenzuschlags i.H.v. ca. 13.000,00 EUR brutto gem. § 2 TV BZ ME. Er war von 2003 bis 2008 als Zeitarbeitnehmer für die Beklagte tätig. Das Arbeitsverhältnis wurde im Mai 2009 neu begründet. Der Kläger wurde dabei immer in demselben Betrieb des Kunden im Bereich der Metalloberflächenveredelung und des Korrosionsschutzes eingesetzt. Die Beklagte zahlte an den Kläger nur im Zeitraum von November 2012 bis Januar 2013 einen Branchenzuschlag gem. § 2 TV BZ ME.

Der Zeitarbeitnehmer verlangte die Zahlung eines Branchenzuschlags für den Zeitraum von November 2015 bis Dezember 2016.

LAG Hamm: Branchenzuschlag auf das Stundenentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Kundenbetrieb beschränkt

Das ArbG Hamm und das LAG Hamm wiesen die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Zahlung des Branchenzuschlags. Zwar sei der TV BZ ME arbeitsvertraglich in Bezug genommen worden (als „ergänzender Tarifvertrag“, der zwischen dem iGZ und den DGB-Gewerkschaften geschlossen worden sei) und damit auf das Arbeitsverhältnis anwendbar; zudem sei der Kläger durchgängig in einem Kundenbetrieb der M+E-Industrie i.S.v. § 1 Nr. 2 TV BZ ME eingesetzt worden.

Dem Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Branchenzuschlags stehe allerdings § 2 Abs. 4 TV BZ ME entgegen. Danach sei dieser auf das Stundenentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers im Kundenbetrieb beschränkt. Die Vergütung, die der Kläger von der Beklagten erhalten habe, übersteige das relevante Vergleichsentgelt.

Die Entscheidung des LAG Hamm reiht sich grundsätzlich in die Reihe der bislang veröffentlichten obergerichtlichen Urteile zur Auslegung und Anwendung der in der Zeitarbeitsbranche inzwischen abgeschlossenen Branchenzuschlagstarifverträge ein. Dabei bestätigt das LAG Hamm auf der einen Seite die bislang in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, auf der anderen Seite entwickelt es diese aber weiter.

LAG Hamm stellt Vergleich mit zeitlich zuletzt eingestellten Arbeitnehmern an

Bei der Bestimmung des Vergleichsentgelts sind die zum equal pay gem. § 8 AÜG entwickelten Grundsätze zu beachten. Die ganz herrschende Meinung geht bislang davon aus, dass bei mehreren, auf Grundlage der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit vergleichbaren Stammbeschäftigten des Kunden die niedrigste Vergütung als Vergleichsmaßstab heranzuziehen ist (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 12. November 2014 – 2 Sa 1571/13; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 12. Februar 2014 – 6 Sa 325/13; Bissels/Mehnert DB 2014, 2412; BeckOK/Motz, § 8 AÜG Rn. 137).

Nach Ansicht des LAG Hamm soll hinzukommend nicht immer zwingend die niedrigste Vergütung eines vergleichbaren Stammbeschäftigten den Referenzmaßstab bilden – zumindest wenn dessen Einstellung bei dem Kunden schon lange zurückliegt und in der Zwischenzeit weitere vergleichbare Arbeitnehmer beschäftigt worden sind, die eine höhere Vergütung erhalten haben. Dies mag zwar aus materiellen Gerechtigkeitserwägungen nachvollziehbar erscheinen, bedingt aber, dass der Zeitarbeitnehmer bessergestellt wird als (einige) vergleichbare Mitarbeiter.

Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Branchenzuschlagstarifverträge (und von equal pay) ist es daher nicht gerechtfertigt, eine zeitliche Komponente bei der Bestimmung des Vergleichsentgelts zu berücksichtigen. Maßgeblich ist vielmehr stets die niedrigste Vergütung unter den vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Kunden.

Richtigerweise lehnt das LAG Hamm es zumindest ab, eine Durchschnittsberechnung bei der Bestimmung des Vergleichsentgelts vorzunehmen. Dies ist mit dem Wortlaut des TV BZ ME nicht in Einklang zu bringen, der eine individualisierte Berechnung im Einzelfall vorsieht.

LAG Hamm: Personaldienstleister kann Kunden gerichtlich verpflichten, Arbeitsvertrag und Abrechnungen vorzulegen

Bei der Deckelung des Branchenzuschlags kann sich der Personaldienstleister „spiegelbildlich“ auf die von der Rechtsprechung des BAG (Urteil v. 13. März 2013 – 5 AZR 146/12) in Zusammenhang mit dem equal pay-Anspruch entwickelten Grundsätze berufen. Er genügt diesen, wenn er eine Auskunft des Kunden über die maßgebliche Vergütungshöhe des vergleichbaren Arbeitnehmers vorlegt, die der Zeitarbeitnehmer sodann (substantiiert) bestreiten muss (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 15. Januar 2015 – 17 Sa 1266/14; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 29. März 2016 – 8 Sa 55/15; ArbG Stuttgart v. 18. November 2015 – 18 Ca 2617/15; Bissels, jurisPR-ArbR 14/2016 Anm. 6; BeckOK/Motz, § 8 AÜG Rn. 140; a.A. ArbG Stuttgart, Urteil v. 21. November 2013 – 24 Ca 4398/13; Ulrici, AÜG, § 8 Rn. 145).

Hinsichtlich dieser für die Praxis bedeutenden Frage liegt bislang keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so dass der in Anspruch genommene Personaldienstleister zusätzlich zur Vorlage entsprechender Auskünfte des Kunden versuchen sollte, durch einen darüber hinaus gehenden Sachvortrag die Voraussetzungen für die Deckelung und das dafür notwendige Vergleichsentgelt darzulegen.

Nach Ansicht des LAG Hamm kann der Kunde auch verpflichtet werden, entsprechende Urkunden (hier: Arbeitsvertrag und Abrechnungen) gem. § 142 ZPO vorzulegen. Der Personaldienstleister sollte insoweit darlegen können, dass er diesen bereits außergerichtlich zur Abgabe entsprechender Erklärungen und zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert hat. Sollte der Kunde dies – wie in der Praxis häufig – aus datenschutzrechtlichen Erwägungen ablehnen, können die entsprechenden Informationen mit Hilfe des Gerichts beschafft bzw. validiert werden.

Branchenzuschlag auf 90% des Vergleichsentgelts begrenzt

Die Deckelung durch den Kunden begrenzt den tariflichen Branchenzuschlag auf 90% des Vergleichsentgelts. Im TV BZ ME ergibt sich dies etwas verklausuliert, indem in § 2 Abs. 4 S. 2 TV BZ ME (§ 2 Abs. 5 S. 2 TV BZ ME a.F.) zunächst klargestellt wird, dass das Vergleichsentgelt um

das Äquivalent einer durchschnittlichen Leistungszulage der Branche

zu reduzieren ist. Deren Höhe wird sodann im Verhandlungsergebnis der Tarifvertragsparteien vom 22. Mai 2012 auf 10% festgelegt.

Richtigerweise kommt es dabei nicht darauf an, ob in dem Kundenbetrieb tatsächlich eine Leistungszulage gezahlt wird oder nicht. Maßgeblich ist nämlich eine durchschnittliche Leistungszulage in der M+E-Branche, die von den Tarifvertragsparteien abstrakt auf 10% bestimmt worden ist und gerade nicht auf die tatsächlich-konkreten Gegebenheiten bei dem Kunden abstellt (LAG Hamm, Urteil v. 15. Januar 2015 – 17 Sa 1266/14; LAG Hamm, Urteil v. 12. November 2014 – 2 Sa 1571/13; LAG Hamm, Urteil v. 28. Juli 2014 – 17 Sa 1479/13; Bissels, jurisPR-ArbR 24/2015 Anm. 6; BeckOK/Motz, § 8 AÜG Rn. 133).

Für die Deckelung durch den Kunden sehen die Branchenzuschlagstarifverträge keine bestimmte Form vor. Dies bedeutet, dass diese auch konkludent geltend gemacht werden kann. Ausreichend ist dabei bereits, dass der Kunde das Vergleichsentgelt z.B. im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag oder in einem gesonderten Schreiben oder Ermittlungsbogen benennt, ohne dass er das Wort „Deckelung“ gebraucht oder sich auf die tarifliche Vorschrift beruft. Eine entsprechende Angabe zum Vergleichsentgelt würde nämlich ohne die gleichzeitig damit in Anspruch genommene Deckelung keinen Sinn machen (vgl. LAG Hamm, Urteil v. 28. Juli 2014 – 17 Sa 1479/13; LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 29. März 2016 – 8 Sa 55/15; Bissels, jurisPR-ArbR 21/2016 Anm. 7; Bissels, jurisPR-ArbR 41/2016 Anm. 5; BeckOK/Motz, § 8 AÜG Rn. 130 m.w.N.; a.A. Ulrici, AÜG, § 8 Rn. 144).

Abgabe der Erklärung zur Deckelung nicht zeitlich begrenzt

Keiner Entscheidung bedurfte im konkreten Rechtsstreit die Frage, ob der Kunde eine Erklärung zur Deckelung abgegeben haben muss, bevor der Zeitarbeitnehmer die Ansprüche auf Zahlung des Branchenzuschlags eingefordert hat bzw. bevor diese fällig werden.

Richtigerweise kann die Erklärung nach der Geltendmachung der Zahlung durch den Zeitarbeitnehmer und auch nach der Fälligkeit des Anspruchs auf einen Branchenzuschlag abgegeben werden, da diese Bestandteil einer insoweit anspruchsvernichtenden Einwendung des Personaldienstleisters ist (vgl. LS 2 bei LAG Hamm v. 08.11.2018 – 18 Sa 1728/17). Die Branchenzuschlagstarifverträge selbst enthalten keine zeitliche Begrenzung, bis zu welchem Zeitpunkt eine Erklärung zur Deckelung spätestens abgegeben worden sein muss.

Wenn der Zeitarbeitnehmer seine Ansprüche auf die Zahlung des Branchenzuschlags bis zu einem gewissen Zeitpunkt eingefordert hat, kann eine Deckelung hingegen zweifelsohne noch für Zahlungsansprüche erfolgen, die erst nach diesem Zeitpunkt entstehen. Den Bestimmungen des TV BZ ME ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine Deckelung des Zuschlages für die Zukunft ausgeschlossen sein soll, sobald der Zeitarbeitnehmer einen solchen (für die Vergangenheit) geltend gemacht hat.

Revision beim BAG eingelegt

Die Branchenzuschlagstarifverträge der Zeitarbeit sind aufgrund deren „Neuartigkeit“ nach wie vor streitbefangen. Gerade der fachliche Geltungsbereich, insbesondere mit der Diskussion um die Abgrenzung von Haupt- und Hilfs-/Nebenbetrieb, hat die Gemüter erregt und damit einhergehend die Gerichte beschäftigt. Hierzu liegt inzwischen eine höchstrichterliche Klärung vor (BAG, Urteil v. 22. Februar 2017 – 5 AZR 453/15, 5 AZR 252/16, 5 AZR 253/16, 5 AZR 552/14, 5 AZR 553/14, 5 AZR 554/14, 5 AZR 555/14; dazu: Bissels, jurisPR-ArbR 27/2017).

Hinsichtlich der Bestimmung des Vergleichsentgelts, der Anforderungen an die Deckelung und deren Zeitpunkt sowie der Darlegungs- und Beweislast existieren zwar inzwischen zahlreiche obergerichtliche Urteile. Eine höchstrichterliche Entscheidung steht allerdings nach wie vor aus. Eine solche wäre aus Sicht der Praxis bzgl. der davon ausgehenden Rechtssicherheit wünschenswert.

Das LAG Hamm hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen die Revision für den Kläger zugelassen. Das Verfahren wird unter dem Az. 5 AZR 79/19 beim BAG geführt. Möglicherweise hat Erfurt in Kürze Gelegenheit, mit Blick auf einige noch offene Fragen bei den Branchenzuschlagstarifverträgen für Klarheit zu sorgen.

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*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Drohende Insolvenz wegen nachzuzahlender SV-Beiträge

Die Träger der Rentenversicherung müssen bei jedem Arbeitgeber mindestens alle vier Jahre eine Betriebsprüfung durchführen (§ 28p SGB IV). Das Ergebnis einer solchen kann sein, dass Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden. Ob diese Nachforderung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt, lässt sich oft nur in einem langwierigen Klageverfahren vor den Sozialgerichten klären, insbesondere dann, wenn der Rentenversicherungsträger die Beiträge geschätzt hat.

Beitragsbescheid ist sofort vollziehbar

Was Arbeitgeber wissen müssen: Der Bescheid über die Anforderung von Sozialversicherungsbeiträgen ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 86 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Der Arbeitgeber kann gegen den Bescheid zwar Widerspruch und Anfechtungsklage erheben. Diese Rechtsbehelfe haben aber keine aufschiebende Wirkung. Deshalb ist die Beitragsforderung sofort zahlbar, auch wenn unklar ist, ob sie überhaupt besteht.

Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung

Um die Härten, die sich daraus ergeben, abzumildern, hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass der Arbeitgeber bei der Stelle, die die Beiträge anfordert, beantragen kann, die sofortige Vollziehung des Beitragsbescheids ganz oder teilweise auszusetzen (§ 86a Abs. 3 SGG). Dies ist in der Praxis aber nur eine theoretische Möglichkeit, weil die Sozialversicherungsträger einen solchen Antrag in aller Regel ablehnen. Arbeitgeber sollten sich gut überlegen, ob sie hierfür überhaupt Zeit und Geld (z. B. Anwaltskosten) aufwenden.

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung

Der Gesetzgeber hat aber noch einen Schritt weiter gedacht: Der Arbeitgeber kann bei dem Sozialgericht den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid ganz oder teilweise anzuordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitgeber gegen den Bescheid Widerspruch erhoben hat. Lässt er die Widerspruchsfrist ungenutzt verstreichen, wird der Beitragsbescheid bestandskräftig, so dass gegen seine Vollziehbarkeit nichts mehr unternommen werden kann.

Ermessensentscheidung des Sozialgerichts

Das Sozialgericht entscheidet über den Antrag in einem beschleunigten Verfahren. Es handelt sich um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Dabei trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, ob aus seiner Sicht in dem konkreten Einzelfall das öffentliche Interesse an der Beitreibung der Beiträge oder das private Interesse des Arbeitgebers, zunächst die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids im Hauptsacheverfahren klären zu lassen, überwiegt.

Keine einheitliche Handhabung der Sozialgerichte

Dabei muss man Folgendes wissen: Der Gesetzgeber hat in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den Instanzenzug beschränkt, um sicherzustellen, dass die Verfahren zügig abgeschlossen werden. Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts kann nur Beschwerde zum Landessozialgericht eingelegt werden. Eine anschließende Anrufung des Bundessozialgerichts ist – anders als gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren – nicht möglich. Da das Bundesozialgericht somit mit Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nie befasst wird, kann es für diese Streitigkeiten keine allgemeinen Leitlinien aufstellen. Dies hat zur Folge, dass die 14 Landessozialgerichte in Deutschland (Niedersachsen und Bremen sowie Berlin und Brandenburg haben jeweils ein gemeinsames) unterschiedliche Maßstäbe anlegen.

Insolvenzrisiko als unbillige Härte?

Einig sind sich die Gerichte noch darin, dass die Vollziehung eines Beitragsbescheids einstweilen ausgesetzt wird, wenn ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheids bestehen oder die Vollziehung des Bescheids für den Arbeitgeber eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Der erste Fall (ernsthafte Zweifel) liegt selten vor. Denn oft sind die rechtlichen Fragen kompliziert, so dass das richtige Ergebnis nicht auf der Hand liegt. Arbeitgeber können sich alternativ aber auf den zweiten Fall stützen, also darlegen, dass ihre sofortige Zahlungspflicht eine unbillige Härte darstellt.

Immerhin können die Beitragsforderungen, die die Sozialversicherungsträger nach einer Betriebsprüfung erheben, bei einer großen Belegschaft schnell in die Millionen gehen. Für viele Unternehmen können solche Beträge ein Insolvenzrisiko bedeuten. Die interessante Frage ist daher, ob eine drohende Insolvenz eine unbillige Härte für den Arbeitgeber ist, die es rechtfertigt, die Vollziehung des Beitragsbescheids auszusetzen. Genau in dieser Frage sind sich die Landessozialgerichte uneinig. Dies wurde jüngst wieder einmal deutlich, als zwei Landessozialgerichte diese Frage gegensätzlich entschieden.

So sah das Bayerische LSG (Beschluss v. 11. März 2019 – L 16 BA 174/18 B ER) in dem Umstand, dass der Arbeitgeber im Falle der sofortigen Begleichung der Beitragsforderung zahlungsunfähig geworden wäre und einen Insolvenzeröffnungsantrag hätte stellen müssen, eine unbillige Härte. Zur Begründung wies es unter anderem darauf hin, dass eine solche Insolvenz zum Wegfall der Arbeitsplätze führen würde. Im Gegensatz hierzu meinte das LSG Schleswig-Holstein (Beschluss v. 2. Mai 2019 – L 5 BA 37/19 B ER), dass selbst eine drohende Insolvenz nicht die Aussetzung der Vollziehung gebiete, weil die Beitragslast jeden Beitragspflichtigen unabhängig von seinem Vermögen und seinen Einkommensverhältnissen treffe.

Praxistipp: Gründliche Darlegung und Ratenzahlungsangebot

Arbeitgeber, die mit existenzbedrohenden Beitragsnachforderungen konfrontiert sind, müssen das Insolvenzrisiko substantiiert und nachvollziehbar darlegen. Hierzu bedarf es, wie der Fall des Bayerischen LSG zeigt, einer Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse.

Daneben kann es – dies scheint im Fall des Bayerischen LSG Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts gehabt zu haben – sinnvoll sein, der Stelle, die die Sozialversicherungsbeiträge einzieht, eine Ratenzahlungsvereinbarung anzubieten. Denn wenn die Beiträge nach und nach gezahlt werden, vermindert sich das Risiko des Sozialversicherungsträgers, kein Geld zu erhalten. Bei einem Arbeitgeber, der sich von sich aus mit einer Ratenzahlung einverstanden erklärt, wird es dem Sozialversicherungsträger daher schwer fallen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die sofortige Begleichung der gesamten Beitragsschuld zur Verhinderung von Beitragsausfällen erforderlich ist.

Natürlich sollte bei Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung klargestellt werden, dass alle Zahlungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgen, wenn der Arbeitgeber der Ansicht ist, dass die Beiträge in Wirklichkeit nicht geschuldet sind, und dies in einem Hauptsacheverfahren vor den Sozialgerichten klären lassen möchte. Hebt das Sozialgericht später den Beitragsbescheid auf, erhält der Arbeitgeber die bereits geleisteten Zahlungen nebst 4 % Zinsen zurück (§ 27 Abs. 1 SGB IV).

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Neues zur (Schein-)Selbständigkeit von Pflegekräften und Honorarärzten

Schon lange wurde in der juristischen Fachliteratur kontrovers diskutiert und vor den Sozialgerichten gestritten, ob in stationären Pflegeeinrichtungen eingesetzte Pflegekräfte sowie sog. Honorarärzte* im Krankenhaus tatsächlich selbständig tätig werden können oder ob es sich bei diesen Beschäftigungsformen nicht um eine Scheinselbständigkeit handelt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 30. Januar 2019 – L 9 KR 163/16; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16. Mai 2018 – L 8 R 233/15).

Mit beiden Konstellationen hat sich inzwischen das BSG in Kassel befassen müssen und sowohl bzgl. der Pflegekräfte als auch der Honorarärzte festgestellt, dass diese regelmäßig sozialversicherungspflichtig seien.

BSG: Honorarärzte und Pflegekräfte sind regelmäßig sozialversicherungspflichtig tätig

In der Pressemitteilung vom 4. Juni 2019 (B 12 R 11/18 R) heißt es vom BSG zu Honorarärzten wie folgt:

Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht. […]

Bei einer Tätigkeit als Arzt ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht von vornherein wegen der besonderen Qualität der ärztlichen Heilkunde als Dienst „höherer Art″ ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob die Betroffenen weisungsgebunden beziehungsweise in eine Arbeitsorganisation eingegliedert sind. Letzteres ist bei Ärzten in einem Krankenhaus regelmäßig gegeben, weil dort ein hoher Grad der Organisation herrscht, auf die die Betroffenen keinen eigenen, unternehmerischen Einfluss haben. […] Unternehmerische Entscheidungsspielräume sind bei einer Tätigkeit als Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht gegeben. Die Honorarhöhe ist nur eines von vielen in der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien und vorliegend nicht ausschlaggebend.

Ein etwaiger Fachkräftemangel im Gesundheitswesen hat keinen Einfluss auf die rechtliche Beurteilung des Vorliegens von Versicherungspflicht. Sozialrechtliche Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht können nicht außer Kraft gesetzt werden, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete″ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

Zu Pflegekräften verhält sich das BSG in der Pressemitteilung vom 7. Juni 2019 (Az. B 12 R 6/18 R) wie folgt:

Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, sind in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterliegen als Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht. […]

Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssen gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichen hierfür nicht. […]

An dieser Beurteilung ändert auch ein Mangel an Pflegefachkräften nichts: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht sind auch in Mangelberufen nicht zu suspendieren, um eine Steigerung der Attraktivität des Berufs durch eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete″ und deshalb höhere Entlohnung zu ermöglichen.

Selbständige Tätigkeit von Honorarärzten und Pflegekräften theoretisch möglich

Mit den Leitentscheidungen stellt das BSG fest, dass grundsätzlich eine abhängige und insoweit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt. Eine selbständige Tätigkeit ist regelmäßig ausgeschlossen, freilich aber nicht unmöglich. Damit setzt das BSG den dazu in der Instanzrechtsprechung und der Literatur geführten Streitigkeiten wohl ein Ende, indem es dem bislang von zahlreichen Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern praktizierten Modell, Pfleger und Ärzte als (vermeintlich) selbständige Personen einzusetzen, eine grundsätzliche Absage erteilt. Ob und inwieweit die Entscheidungen des BSG überzeugend sind, soll an dieser Stelle nicht vertieft diskutiert werden; es müssen dazu zunächst noch die vollständig abgesetzten, bislang aber nicht vorliegenden Gründe der Urteile abgewartet werden.

Fest steht aber, dass die Entscheidungen des BSG und deren Umsetzung in der Praxis im ärztlich-pflegerischen Bereich für erhebliche Probleme sorgen werden, wurde dort das Modell der (vermeintlichen) Selbständigkeit von Pflegekräften und Ärzten doch regelmäßig im wechselseitigen und wohl verstandenen Einvernehmen gelebt. Auf Grundlage der Urteile des BSG ist ein „weiter so, wie bisher″ nicht mehr möglich; dies gilt insbesondere aufgrund der strafrechtlichen Risiken, die damit verbunden sind, wenn bedingt vorsätzlich Sozialversicherungsbeiträge bei scheinselbständig beschäftigten Personen nicht abgeführt werden (gem. § 266a StGB).

Arbeitnehmerüberlassung von Ärzten und Pflegekräften als mögliche Alternative

Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser müssen daher bzgl. der bislang gewählten (scheinselbständigen) Einsatzformen bei Pflegern und Ärzten umdenken, allein um eine mögliche Strafbarkeit der Entscheidungsträger der Einrichtungen zu vermeiden. In Betracht kommt auf der einen Seite eine Festanstellung der Pflegekräfte bzw. der Ärzte; dies dürfte aufgrund der damit verbundenen Erhöhung der Personalkosten und des Verlustes der Flexibilität bei der Personaldisposition insbesondere von den Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, aber auch seitens der Pflegekräfte und Ärzte oftmals nicht gewünscht sein. Auf der anderen Seite kann sich eine Arbeitnehmerüberlassung als Alternative darstellen, um den Einsatz rechtssicher abzubilden.

Die Herausforderung wird darin bestehen, insbesondere die Pflegekräfte und Ärzte davon zu überzeugen, sich bei einem Personaldienstleister sozialversicherungspflichtig anstellen zu lassen und damit die bisher (vermeintlich) praktizierte Selbständigkeit – zumindest für entsprechende Einsätze – aufzugeben.

Die Arbeitnehmerüberlassung dürfte zumindest dem Bedürfnis der Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser entsprechen, den eigenen Mitarbeiterbestand und damit deren Personalkosten (dauerhaft) nicht zu erhöhen und die Flexibilität bei der Personaldisposition zu erhalten. Letztlich dürfte entsprechende Überzeugungsarbeit erforderlich werden, die bislang vermeintlich selbständig tätigen Pflegekräfte und Ärzte von den Vorzügen einer Arbeitnehmerüberlassung zu überzeugen. Die Entscheidungen des BSG – mögen diese für die betreffenden Einrichtungen und die betroffenen Personen auch noch so hart – stellen damit für die Zeitarbeit eine echte Chance dar, sich als Alternative für das höchstrichterlich nunmehr verworfene Modell der (vermeintlich) selbständigen Tätigkeit ins Spiel zu bringen. Diese gilt es nun zu nutzen.

Fazit: die Selbständigkeit von Ärzten und Pflegekräften dürfte zukünftig nur Theorie bleiben

Zwar wäre es im Ergebnis denkbar, dass die Einsatzumstände der Pflegekräfte und Honorarärzte dergestalt angepasst werden, dass die vom BSG für eine abhängige Beschäftigung als relevant angesehenen Kriterien ausgeschlossen werden und sich die Tätigkeit im Rechtssinne als selbständig darstellen würde. Diese theoretische Möglichkeit dürfte jedoch aufgrund der integrativen Abläufe in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, in die die Pflegekräfte und Ärzte zwingend einzubinden sind, schwerfallen bzw. sich – auch unter dem Gesichtspunkt, dass Rechtsrisiken, insbesondere aufgrund möglicher Verstöße gegen § 266a StGB, möglichst rechtssicher ausgeschlossen werden müssen – als unmöglich darstellen.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der Juli-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Ablösung von Betriebsvereinbarungen

Wir haben bereits über die Möglichkeit berichtet, das Fortgelten von Betriebsvereinbarungen des Betriebsveräußerers zu vermeiden oder sie durch Kollektivvereinbarungen beim Erwerber abzulösen. Bei vielen Restrukturierungen ist dieses Vorgehen erforderlich, um überhaupt einen Betriebserwerber zu finden.

Eine der letzten Zweifelsfragen in diesem Zusammenhang hat jüngst das BAG (Urteil v. 12. Juni 2019 – 1 AZR 154/17) geklärt.

Zwei aufeinanderfolgende Betriebsübergänge

Das BAG hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Kläger war lange Zeit bei der A-GmbH beschäftigt. Diese schloss 1992 mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung über die Gewährung einer Betriebsrente an ihre Arbeitnehmer (Versorgungsordnung). 1999 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines Betriebsübergangs auf die B-GmbH über. Seinerzeit gab es bei der B-GmbH noch keinen Betriebsrat; dieser wurde erst 2002 gewählt.

2013 wurde die B-GmbH auf die C-GmbH verschmolzen. Bei der C-GmbH galt bereits seit 2008 eine Versorgungsordnung – ebenfalls in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Um die durch die Verschmelzung neu hinzugekommenen Versorgungslasten abzumildern, vereinbarte die C-GmbH mit dem (aufgrund seines Restmandats noch bestehenden) Betriebsrat der B-GmbH einen Sozialplan, der eine Absenkung der Betriebsrenten vorsah, also die Versorgungsordnung der C-GmbH abänderte. Die ursprünglich von der A-GmbH zugesagte Rentenhöhe sollte somit nicht mehr maßgeblich sein.

§ 613a BGB ist anwendbar

Die Zulässigkeit dieses Vorgehens hängt maßgeblich von § 613a Abs. 1 BGB ab. Die Vorschrift hat mehrere Sätze, die aufeinander aufbauen: Der Grundsatz lautet, dass die Arbeitsverhältnisse mit all ihren Rechten und Pflichten auf den Betriebserwerber übergehen (Satz 1). Der Erwerber muss also für all das einstehen, was der bisherige Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern zugesagt hat.

Sind Ansprüche der Arbeitnehmer* nicht arbeitsvertraglich, sondern in einer Betriebsvereinbarung geregelt, werden diese Regelungen Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber (Satz 2). Etwas anderes gilt nur dann, wenn beim Erwerber bereits eine Betriebsvereinbarung (oder ein Tarifvertrag) zum selben Regelungsgegenstand besteht und diese auch für die vom Übergang betroffenen Mitarbeiter gilt (Satz 3).

Kläger nahm zu Unrecht Umwandlung der Betriebsvereinbarung an

Im konkreten Fall gab es bei der C-GmbH bereits eine Versorgungsordnung. Die C-GmbH war daher der Ansicht, dass ihre eigene Versorgungsordnung die alte Versorgungsordnung, die der Kläger von der A-GmbH über die B-GmbH eigentlich mitbringen würde, verdränge. Der Kläger vertrat hingegen die Auffassung, dass die Versorgungsordnung der A-GmbH nach dem ersten Betriebsübergang, also jenem auf die B-GmbH, ihre normative Geltung verloren habe, Teil seines Arbeitsvertrags geworden sei und daher nunmehr als individualvertragliche Vereinbarung weitergelte. Dies müsse, so der Kläger, schon deshalb gelten, weil bei der B-GmbH zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs kein Betriebsrat bestanden habe.

Da die Versorgungsordnung der A-GmbH somit beim ersten Betriebsübergang Teil seines Arbeitsvertrags geworden sei, hätte, so der Kläger weiter, beim Betriebsübergang auf die C-GmbH keine kollektivrechtliche Regelung mehr bestanden, die durch die kollektivrechtliche Versorgungsordnung der C-GmbH hätte abgelöst werden können. Vielmehr sei es zu einer Kollision zwischen einer einzelvertraglichen und einer kollektivrechtlichen Regelung gekommen. Da in solch einem Fall aber die einzelvertragliche Regelung Vorrang habe, sei für ihn die Versorgungsordnung der C-GmbH in der Fassung des Sozialplans nicht maßgeblich. Vielmehr gelte für ihn weiterhin die Versorgungsordnung der A-GmbH, wenn auch mit der Besonderheit, dass ihre Regelungen nunmehr den Stellenwert einzelvertraglicher Vereinbarungen hätten.

BAG betonte Fortbestand der kollektivrechtlichen Regelung

Dieser Auffassung des Klägers schloss sich das BAG zu Recht nicht an. Denn der Kläger übersah in seiner Argumentation zwei entscheidende Punkte:

Falsch war schon seine Annahme, dass sich beim ersten Betriebsübergang die Versorgungordnung von einer kollektivrechtlichen Regelung in eine einzelvertragliche Regelung umgewandelt hätte. Das BAG hat bereits 2009 entschieden, dass kollektivrechtliche Regelungen ihren kollektivrechtlichen Charakter auch nach dem Betriebsübergang behalten (BAG, Urteil v. 22. April 2009 – 4 AZR 100/08). Sie sind auch dann nicht mit arbeitsvertraglichen Vereinbarungen gleichzustellen, wenn sie in das Arbeitsverhältnis transformiert werden.

Deshalb kollidierten beim zweiten Betriebsübergang durchaus zwei kollektive Regelwerke miteinander, nämlich die Versorgungsordnung der A-GmbH und die bei der C-GmbH geltende Versorgungsordnung. Damit konnte die Versorgungsordnung der C-GmbH grundsätzlich auch jene der A-GmbH ablösen, sofern sie die besonderen Anforderungen, die im Bereich der betrieblichen Altersversorgung gelten (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit etc.) gewahrt hat.

Prinzip gilt auch im betriebsratlosen Betrieb

An diesem Ergebnis änderte der Umstand nichts, dass bei der B-GmbH im Zeitpunkt des ersten Betriebsübergangs kein Betriebsrat bestand. Auch in einem solchen Fall behalten Arbeitsbedingungen, die in einer vom Betriebsveräußerer geschlossenen Betriebsvereinbarung enthalten waren und im Rahmen eines Betriebsübergangs in das Arbeitsverhältnis transformiert werden, ihren kollektivrechtlichen Charakter.

Zwar hat der Betriebserwerber mangels Betriebsrats nicht die Möglichkeit, diese kollektiven Regelungen durch eine eigene Betriebsvereinbarung abzuändern. Er kann die Fortgeltung der Betriebsvereinbarung aber dadurch verhindern, dass er sie allen Arbeitnehmern gegenüber kündigt. Dieses Recht zur Kündigung (ohne Angabe von Gründen) hat der Arbeitgeber immer. Es besteht auch dann, wenn ihm kein Betriebsrat als Verhandlungspartner zur Verfügung steht (BAG, Beschluss v. 18. September 2002 – 1 ABR 54/01).

In der Praxis machen Arbeitgeber von dieser Möglichkeit etwa dann Gebrauch, wenn sie mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen haben und im nächsten Wahljahr kein Betriebsrat mehr gebildet wird, etwa weil sich keine Kandidaten aufstellen ließen.

BAG hat für Rechtsklarheit gesorgt: § 613a BGB ohne Einschränkung auch bei aufeinanderfolgenden Betriebsübergängen anwendbar

Das BAG hat mit dieser Entscheidung für Rechtsklarheit gesorgt. Es hat erstmals klargestellt, dass auch bei zwei aufeinanderfolgenden Betriebsübergängen die Regelungen des § 613a BGB ohne Einschränkung Anwendung finden. Auch bei einem früheren Betriebsübergang transformierte Regelungen können bei einem späteren Betriebsübergang durch entgegenstehende Kollektivregelungen des Erwerbers verdrängt werden.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Unterlassungsanspruch des Betriebsrats nicht grenzenlos!

Der Betriebsrat eines Krankenhauses in Niedersachsen hat den Bogen überspannt. Das BAG hat in seiner Entscheidung vom 12. März 2019 (1 ABR 42/17) die Unterlassungsansprüche des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG und § 23 Abs. 3 BetrVG erstmals eingeschränkt.

Krankenhausbetreiber streitet mit Betriebsrat über Mitbestimmung von Monatsdienstplänen

Zunächst hat die Arbeitgeberin dem Betriebsrat den Monatsdienstplan mit der Bitte um Zustimmung vorgelegt. Der Betriebsrat hat dem Dienstplan mit einer pauschalen Begründung nur teilweise zugestimmt. Das daraufhin von der Arbeitgeberin ausgesprochene Angebot, kurzfristig eine freiwillige Einigungsstelle einzusetzen, lehnte der Betriebsrat ab.

Die Arbeitgeberin hat sodann die Einsetzung der Einigungsstelle gerichtlich beantragt. Nachdem das Arbeitsgericht die Einigungsstelle antragsgemäß eingesetzt hat, hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat vergeblich darum gebeten, sich zeitnah vor Beginn des Monatsdienstplans, mit einem Einigungsstellentermin einverstanden zu erklären.

Der Betriebsrat hat lediglich mitgeteilt, dass er die Durchführung der Einigungsstelle für nicht sinnvoll erachte, da der Sachverhalt zu komplex sei. Des Weiteren hat er gegen die Einsetzung der Einigungsstelle Beschwerde eingelegt und mitgeteilt, dass er erst nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens an der Einigungsstelle mitwirken wolle.

Im Ergebnis konnte die Einigungsstelle durch die wiederholte Blockadehaltung des Betriebsrats ihre Tätigkeit nicht aufnehmen. Um den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten, hat die Arbeitgeberin die Mitarbeiter angewiesen, ihre Arbeit entsprechend dem nicht zugestimmten Monatsdienstplan zu verrichten.

Der vorstehende Ablauf hat sich mehrfach wiederholt. Schlussendlich hat der Betriebsrat gegen die Arbeitgeberin gerichtlich einen Unterlassungsanspruch gegen die Anweisung der Arbeitgeberin an die Mitarbeiter*, entsprechend des nicht mitbestimmten Dienstplans zu arbeiten, geltend gemacht.

Unterlassungsanspruch des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG besteht grundsätzlich

Der Betriebsrat hat zwar nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung gegen den Arbeitgeber einen Unterlassungsanspruch nach § 87 Abs. 1 BetrVG, wenn sein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten verletzt worden ist. Jedoch findet dieser Unterlassungsanspruch dort seine Grenze, wo der Betriebsrat gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstößt.

Verhalten des Betriebsrats rechtsmissbräuchlich

Obwohl das BAG ausdrücklich festgestellt hat, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG wiederholt verletzt habe, stehe dem durch den Betriebsrat geltend gemachten Unterlassungsanspruch der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Der Betriebsrat habe den Unterlassungsanspruch nur erlangt, da er selbst seine Mitwirkungspflichten aus § 74 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG verletzt habe.

Es obliegt nicht nur der Arbeitgeberin, die Mitbestimmung beim Aufstellen von Dienstplänen sicherzustellen. Auch der Betriebsrat hat eine Mitwirkungspflicht aus § 74 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 BetrVG. Danach haben die Betriebsparteien über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.

Gegen diese Grundsätze hat der Betriebsrat vorliegend in erheblicher Weise wiederholt verstoßen, indem er weder innerbetrieblich einen konstruktiven Dialog über die nach seiner Auffassung nicht ordnungsgemäßen Dienstpläne geführt, noch an der in § 87 Abs. 2 BetrVG ausdrücklich vorgesehenen Konfliktlösung in der Einigungsstelle mitgewirkt hat. Durch sein Verhalten hat der Betriebsrat wiederholt eine Einigung mit der Arbeitgeberin ggf. in der Einigungsstelle noch vor dem Dienstplanzeitraum verhindert.

Dieses Verhalten gleicht einem Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, der nach ständiger Rechtsprechung des BAG jedoch unzulässig ist (vgl. BAG, Urteil v. 22. August 2017 – 1 ABR 5/16). Die Arbeitgeberin hingegen hat vorliegend so früh wie möglich den Betriebsrat um Zustimmung zu den Monatsdienstplänen gebeten und alles getan, um das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG einzuhalten.

Folgen für die Praxis: Blockadehaltung des Betriebsrates von Beginn an erschweren

Die Rechtsprechung des BAG führt nicht grundsätzlich dazu, dass Mitbestimmungsrechte durch den Arbeitgeber nicht einzuhalten sind, wenn der Betriebsrat aus Sicht der Arbeitgeberin mauert oder zeitverzögernd handelt. Allerdings kann das in Fällen, in denen das Zeitfenster zur Durchführung des Mitbestimmungsrechts sehr kurz ist, anders sein.

Ein besonderes Eilbedürfnis besteht nicht nur bei der Mitbestimmung zu Dienstplänen, sondern beispielsweise auch bei der Anordnung von Überstunden. Damit dem Arbeitgeber der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegengehalten werden kann, sollte in der Praxis auch bei sehr kurzen Zeitfenstern zur Durchführung der Mitbestimmung so früh wie möglich der Betriebsrat um Zustimmung gebeten werden.

Um dem Betriebsrat bereits im Voraus eine solche Blockadehaltung zu erschweren, bietet es sich an, in der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit für Streitigkeiten im Rahmen von Dienstplänen und Ähnlichem eine dauerhafte Einigungsstelle einzurichten. Außerdem sollte ein dauerhaft blockierender Betriebsrat darauf hingewiesen werden, dass die Realisierung der Mitbestimmungsrechte – auch unter Zeitdruck – seine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht ist. Er kann insbesondere nicht die Mitwirkungspflicht durch inhaltslose pauschale Ablehnungen der beabsichtigen Maßnahmen auf den Arbeitgeber abwälzen.

Entsprechende Überlegungen wird man auch auf andere Beteiligungsrechte des Betriebsrats, etwa in wirtschaftlichen Angelegenheiten übertragen können.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Betriebsübergang und betriebliche Altersversorgung

Die Haftung des Betriebserwerbers für Versorgungslasten kann ein hohes Risiko bedeuten. So sind bei unmittelbaren Versorgungszusagen für die Verbindlichkeiten Rückstellungen in der Bilanz zu bilden, die den Unternehmenswert mindern.

Werden die Versorgungszusagen über mittelbare Durchführungswege durchgeführt, muss der Erwerber Beiträge an den jeweiligen Versorgungsträger (Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds) abführen und ist mit der vom Betriebsrentengesetz angeordneten Ausfallhaftung (§ 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG) belastet. Betriebserwerber versuchen daher insbesondere im Nachgang eines Betriebsübergangs oft, die übernommenen Versorgungslasten abzumildern oder das übernommene Versorgungssystem in ein bereits bei ihnen bestehendes Versorgungssystem zu überführen.

In seinem Urteil vom 12. Juni 2019 (Az. 1 AZR 154/17) hat das BAG neben Aussagen zur Ablösung von Betriebsvereinbarungen noch einmal klargestellt, dass es einem Betriebserwerber nicht grundsätzlich verboten ist, kollektive Regelungen wie Versorgungsordnungen zu verschlechtern.

Versorgungsordnung des Betriebserwerbers gilt auch für übernommene Arbeitnehmer

Relativ unproblematisch lassen sich Pensionsverpflichtungen jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft ab dem Betriebsübergang begrenzen. Hierfür muss sowohl beim Betriebsveräußerer als auch beim Betriebserwerber vor dem Betriebsübergang die betriebliche Altersversorgung jeweils durch eine Betriebsvereinbarung oder jeweils durch einen Tarifvertrag geregelt sein und das Regelwerk des Betriebserwerbers geringere Versorgungsleistungen vorsehen.

Hintergrund ist: Auch im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung gelten insoweit grundsätzlich die allgemeinen Regelungen des Betriebsübergangsrechts. Demnach verdrängen kollektivrechtliche Regelungen, die beim Betriebserwerber bestehen, die kollektivrechtlichen Regelungen, die die übernommenen Arbeitnehmer von ihrem alten Arbeitgeber „mitbringen″, soweit sie denselben Regelungsgegenstand haben und soweit es sich um dieselbe Regelungsebene handelt (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Dies bedeutet, dass Regelungen aus Betriebsvereinbarungen nur von Betriebsvereinbarung verdrängt werden können und Reglungen aus Tarifverträgen nur von Tarifverträgen.

Aber: Besitzstandswahrung beachten

Diese Verdrängung gilt bei der betrieblichen Altersversorgung allerdings nicht uneingeschränkt. Denn würden die gesetzlichen Regelungen „pur″ angewendet, würde auch für die Versorgungsanwartschaften aus der Zeit vor dem Betriebsübergang die Versorgungsregelung des Betriebserwerbers gelten.

Um dies zu verhindern, hat die Rechtsprechung zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer einen Besitzstandschutz entwickelt: Den übergehenden Arbeitnehmern muss der Besitzstand, den sie bei ihrem alten Arbeitgeber vor dem Betriebsübergang erdient haben, in aller Regel erhalten bleiben. Dies hat das BAG (Urteil v. 24. Juli 2001 – 3 AZR 660/00) damit begründet, dass die versorgungsberechtigten Arbeitnehmer, die beim bisherigen Arbeitgeber unter der Geltung der dortigen Versorgungsordnung eine bestimmte Zeit im Arbeitsverhältnis zurückgelegt hätten, darauf vertrauen dürften, dass ihnen die dort erworbenen Anwartschaften nicht mehr genommen würden. Besitzstandswahrung bedeutet in diesem Fall, dass bei Eintritt des Rentenfalls die Betriebsrente mindestens so hoch sein muss, wie sie gewesen wäre, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre. Der Wert dieses Besitzstands ist gemäß § 2 BetrAVG (sog. m/n-tel Berechnung) zu berechnen.

Nur zwingende Gründe können einen Eingriff in den solchermaßen geschützten Besitzstand rechtfertigen. Dies kann der Fall sein, wenn das Unternehmen durch die Versorgungslast ausgezehrt wird. In der Praxis wird es einem Arbeitgeber kaum gelingen, dies nachzuweisen.

Sonstige Eingriffe mit Auswirkungen auf zu erwerbende Anwartschaften möglich

Möglich sind hingegen zumeist Eingriffe, die sich auf noch nicht erdiente, sondern künftig erst noch zu erwerbende Anwartschaften auswirken. Die Einzelheiten sind komplex. Dabei genügen für eine Kürzung künftiger dienstzeitabhängiger Zuwachsraten sog. sachlich-proportionale Gründe.

Ein Beispiel hierfür ist eine Versorgungsordnung, nach der der Arbeitnehmer in jedem Jahr des Arbeitsverhältnisses eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente in Höhe von 0,5 % des Bruttojahresgehalt erhält. Soll dieser Prozentsatz für künftige Jahre auf 0,3 abgesenkt werden, muss der Arbeitgeber nachvollziehbare, anerkennenswerte und damit willkürfreie Gründe darlegen. Hierfür kann eine wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Unternehmens genügen (BAG, Urteil v. 13. Oktober 2015 – 3 AZR 18/14), wobei die Rechtsprechung auch in einem solchen Fall von dem Arbeitgeber im Rechtsstreit umfangreiche Darlegungen erwartet. Einer sauberen Dokumentation insbesondere der wirtschaftlichen Grundlagen des Eingriffs kommt daher eine besondere Bedeutung zu.

Kein allgemeines Verschlechterungsverbot durch europäische Vorgabe

Seit längerem wurde diskutiert, ob sich diese Grundsätze der Rechtsprechung des BAG halten lassen oder ob aufgrund europäischer Vorgaben die Eingriffsmöglichkeiten in Versorgungsanwartschaften noch weiter begrenzt werden müssen. Anlass für diese Unsicherheit war ein Urteil des EuGH (Urteil v. 6. September 2011 − C-108/10; Rechtssache Scattolon). Dieses Urteil wurde von Teilen der Literatur so interpretiert, dass sich infolge eines Betriebsübergangs die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer nicht verschlechtern dürften, wobei dieses Verschlechterungsverbot auch für die betriebliche Altersversorgung gelten sollte.

Das BAG hat aber nun klargestellt, dass solch eine Schlussfolgerung unzutreffend ist. Denn der EuGH hat an anderer Stelle selbst ausgeführt, dass ein Betriebserwerber berechtigt ist, die bei ihm geltenden kollektivrechtlichen Regelungen ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs auch auf die übernommenen Arbeitnehmer anzuwenden. Die hergebrachten Grundsätze des BAG, unter welchen Voraussetzungen in Versorgungsanwartschaften eingegriffen werden darf (sog. Drei-Stufe-Theorie), finden also nach wie vor Anwendung.

Praxistipp: Versorgungslasten prüfen

Für die Praxis bedeutet dies, dass die betriebliche Altersversorgung weiterhin ein wichtiger Aspekt bei dem Erwerb eines Betriebs ist. Jeder Erwerber sollte im Vorfeld im Rahmen der Due Diligence prüfen, welche Versorgungszusagen bei dem Veräußerer bestehen und wie hoch die finanziellen Verpflichtungen sind. Dabei sollte aus Erwerbersicht auch überleget werden, ob übernommene Versorgungszusagen unverändert fortgeführt werden sollen oder ob Möglichkeiten bestehen, die Versorgungslasten zu reduzieren.

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Kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen – Tipps für Arbeitgeber

Häufig kommt es vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer* den ihnen zustehenden Urlaubsanspruch nicht vollständig im laufenden Kalenderjahr nehmen. Gründe sind vielfältig, etwa wegen einer unvorhergesehenen Auftragsspitze zum Jahresende, oder schlicht, weil sie den Urlaub lieber im Folgejahr nehmen möchten. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss Urlaub jedoch grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr genommen und gewährt werden.

Ins Folgejahr übertragen werden darf er nur, wenn dies wegen dringender Gründe erforderlich ist. Der Urlaub muss dann jedenfalls bis spätestens zum 31. März genommen werden.

Bisherige Rechtsprechung: Grundsätzlicher Verfall von Urlaubsansprüchen

Bislang wurde daraus geschlossen, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, grundsätzlich verfällt. Das galt nach bisheriger Rechtsprechung selbst für den Fall, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos aufgefordert hatte, ihm Urlaub zu gewähren.

Allerdings konnten Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz vom Arbeitgeber verlangen, wenn der Urlaub tatsächlich nicht gewährt wurde.

Aktuelle Rechtsprechung des EuGH: Verfall von Urlaubsansprüchen nur noch nach Information und Aufforderung, Urlaub zu nehmen

Nach einer wegweisenden Entscheidung des EuGH vom 6. November 2018 (Az.: C-684/16) gelten jedoch neue Pflichten für Arbeitgeber: Sie sind nunmehr gehalten, konkret und transparent dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt werden, ihren Jahresurlaub vollständig zu nehmen, indem sie sie förmlich auffordern, dies zu tun.

Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmern dementsprechend klar und rechtzeitig zu informieren, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen wird, wenn sie ihren Urlaub nicht nehmen.

BAG folgt EuGH: Arbeitgeber muss belehren und auffordern, Urlaub zu nehmen

Diese Rechtsprechung hat das BAG mit einer aktuellen Entscheidung vom 19. Februar 2019 nun umgesetzt (Az.: 9 AZR 541/15). Der Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub erlösche nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber sie zuvor konkret über ihren bestehenden Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt und auffordert, den Urlaub zu nehmen, und die Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken – also trotz tatsächlicher Möglichkeit – nicht nehmen. Dies folge aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG.

In den Urteilsgründen gehen die Richter des 9. Senats im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ins Detail:

Infolge des Fehlens konkreter gesetzlicher Vorgaben sei der Arbeitgeber grundsätzlich in der Auswahl der Mittel frei, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bediene. Die Mittel müssten jedoch zweckentsprechend sein. Sie müssten geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nehme. Insbesondere dürfe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Er dürfe weder Anreize schaffen noch den Arbeitnehmer dazu anhalten, seinen Urlaub nicht zu nehmen.

Vorgaben des BAG

Im Einzelnen führt das BAG Folgendes aus:

  • Der Arbeitgeber muss sich bei der Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen konkret bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen. Er kann beispielsweise dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteilen, wie viele Urlaubstage ihm in diesem Jahr zustehen.
  • Er genügt seinen Mitwirkungsobliegenheiten z.B. dadurch, dass er seinen Arbeitnehmer auffordert, den Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann.
  • Die Anforderungen an eine klare Unterrichtung sind regelmäßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter über die Konsequenzen belehrt, die eintreten, wenn der Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt wird, er also darauf hingewiesen wird, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfällt.
  • Abstrakte Angaben etwa im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in einer Kollektivvereinbarung, genügen den Anforderungen einer konkreten und transparenten Unterrichtung in der Regel nicht.
  • Eine ständige Aktualisierung dieser Mitteilungen, etwa anlässlich einer Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs, ist nicht notwendig. Entscheidend sind aber stets die Umstände des Einzelfalls.
  • Soweit der Arbeitgeber seine zuvor beschriebenen Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt hat und der Arbeitnehmer dennoch nicht verlangt, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BGB.
  • Entspricht der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nicht, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres verbleibende Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht.

Das LAG Köln ist dieser Rechtsprechung unlängst gefolgt. Die Richter haben die konkrete Aufforderungspflicht des Arbeitgebers auch auf evtl. vorhandene Urlaubsansprüche aus vorangehenden Kalenderjahren erweitert (Urteil vom 9. April 2019 – 4 Sa 242/18).

Praxistipps: Arbeitnehmer ordnungsgemäß unterrichten

Vor diesem Hintergrund erscheint es ratsam, die Belegschaft im Sinne der Rechtsprechung des BAG zu unterrichten und aufzufordern, (Rest-)Urlaub zu nehmen. Eine solche Information kann über E-Mail oder sonstige im Betrieb zur Information verwendete Kommunikationswege erfolgen. Im Streitfall muss der Arbeitgeber die erfolgte Information und Aufforderung nachweisen– genau genommen wäre hierfür sogar ein Zugangsnachweis beim Arbeitnehmer erforderlich. Intern sollte entschieden werden, ob der damit verbundene Umsetzungsaufwand – etwa durch die Abgabe von Empfangsbekenntnissen / E-Maillesebestätigung etc. – geleistet werden soll.

Je nach internen Urlaubsregeln und Handhabung wird es für dieses Kalenderjahr sicherlich auch noch rechtzeitig im Sinne der Rechtsprechung sein, wenn die Unterrichtung und Aufforderung an die Mitarbeiter bis Ende des 3. Quartals 2019 versendet wird – die Arbeitnehmer hätten dann bis Jahresende Gelegenheit, ihren Urlaub zu nehmen. Freilich muss dies mit den unternehmensinternen betrieblichen Abläufen auch vereinbar sein.

Für das Jahr 2020 und die Folgejahre sollte optimalerweise jedem Mitarbeiter zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitgeteilt werden, wie viel Urlaub ihm im Kalenderjahr zusteht. Darüber hinaus sollte er aufgefordert werden, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann. Auch sollten Konsequenzen, also der Verfall des Urlaubsanspruchs, aufgezeigt werden, falls der Arbeitnehmer untätig bleibt.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Arbeitsvertrag: Ausschlussfristen sind wichtig

Zahlreiche Arbeitsverträge enthalten Ausschlussfristen (auch Verfallfristen genannt). Solche Ausschlussfristen sind wichtig, weil im Arbeitsverhältnis eine Vielzahl von Ansprüchen (z. B. Gehalt, Überstundenvergütung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) entstehen. Schnell kann Streit darüber entstehen, wie hoch ein Anspruch ist und ob er bereits erfüllt wurde.

Ausschlussfristen lassen Ansprüche erlöschen

Wäre nur die allgemeine Verjährungsfrist maßgeblich, müssten Arbeitgeber sämtliche Unterlagen, die sie im Streitfall für einen Beweis benötigen, viele Jahre lang aufbewahren. Dies gilt etwa für die Dokumentation von Überstunden, wenn ein Arbeitnehmer nach Jahr und Tag behauptet, in einem bestimmten Monat zwei Stunden mehr gearbeitet zu haben, als ihm bislang vergütet worden seien.

Deshalb sind Ausschlussfristen wichtig. Anders als Verjährungsfristen begründen sie nicht nur ein Leistungsverweigerungsrecht, auf das der Arbeitgeber sich berufen kann. Sie führen zum Erlöschen von Ansprüchen.

Einstufige und zweistufige Ausschlussfristen

In der Praxis wird zwischen ein- und zweistufigen Ausschlussfristen unterschieden. Eine einstufige Ausschlussfrist sieht vor, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist von z. B. drei Monaten nach Fälligkeit vom Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht wurden. Diese Formulierung ist wichtig. Die Frist muss sowohl für Ansprüche des Arbeitnehmers als auch für solche des Arbeitgebers gelten. Andernfalls benachteiligt sie den Arbeitnehmer unangemessen und ist damit unwirksam (§ 307 Abs. 1 BGB).

Eine zweistufige Ausschlussfrist verbindet die Frist für die schriftliche Geltendmachung mit einer Klagefrist. Sie kann etwa vorsehen, dass alle Ansprüche des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten gegenüber dem jeweils anderen schriftlich geltend zu machen sind (1. Stufe). Wenn der jeweils andere den Anspruch ablehnt oder sich nicht innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Schreibens äußert, verfallen die Ansprüche, es sei denn sie werden innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten mittels Klage beim Arbeitsgericht geltend gemacht (2. Stufe).

Ausschlussfrist gilt nicht für Mindestlohn

Probleme entstanden mit dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes am 1. Januar 2015. Denn Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Anspruchs auf den Mindestlohn beschränken oder ausschließen, sind unwirksam (§ 3 MiLoG). Da im Arbeitsvertrag enthaltene Verfallklauseln in aller Regel Allgemeine Geschäftsbedingungen sind, sind sie unwirksam, soweit sie von einer gesetzlichen Regelung abweichen und mit wesentlichen Grundgedanken dieser Regelung nicht zu vereinbaren sind (§ 307 Abs. 2 BGB). Da eine geltungserhaltende Reduktion Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht möglich ist, muss eine Verfallklausel inzwischen zwingend den Zusatz enthalten, dass sie nicht für Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn gilt. Andernfalls ist sie insgesamt unwirksam, so dass sie für keine Ansprüche mehr gilt (BAG, Urteil v. 18. September 2018 – 9 AZR 162/18).

Aber was gilt für all die Arbeitsverträge, die vor dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes geschlossen wurden? Die Arbeitgeber konnten seinerzeit nicht vorhersehen, dass der Mindestlohn eingeführt würde. Hier hat das BAG bereits für Entwarnung gesorgt: Wurde der Arbeitsvertrag vor dem 1. Januar 2015 geschlossen, ist die Verfallklausel hinsichtlich der Ansprüche auf den Mindestlohn zwar unwirksam, im Übrigen aber wirksam (BAG, Urteil v. 30. Januar 2019 – 5 AZR 43/18). Arbeitgeber können sich also weiterhin auf sie berufen, wenn es um eine Jahressonderzahlung, eine Reisekostenentschädigung oder Gehaltsbeträge oberhalb des Mindestlohns geht.

Geltendmachung von Ansprüchen

Die Ansprüche müssen – so sehen es die meisten Verfallklauseln vor – vor Fristablauf schriftlich geltend gemacht werden. Das BAG hat jüngst klargestellt, was unter einer Geltendmachung zu verstehen ist: Der Anspruchssteller muss den Anspruchsgegner zur Erfüllung des Anspruchs auffordern. Dies setzt voraus, dass er den Grund des Anspruchs, den Zeitraum, in dem er entstanden sein soll, und seine Höhe hinreichend deutlich bezeichnet. Für den Anspruchsgegner müssen die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die er gestützt wird, erkennbar sein.

Deshalb genügt es nicht, wenn der Arbeitnehmer um ein Personalgespräch bittet und dem Arbeitgeber zur Vorbereitung des Gesprächs eine Liste mit Gesprächsthemen übergibt, in der z. B. ″Tantiemen für das Jahr 2018″ steht (BAG, Urteil v. 17. April 2019 – 5 AZR 331/18). Noch nicht einmal der Umstand, dass der Arbeitnehmer im Gespräch mündlich die Zahlung der Tantiemen verlangt, genügt, wenn nach der Ausschlussklausel – was die Regel ist – eine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs erforderlich ist.

Praxistipp: Ausschlussfristen überprüfen

Arbeitgeber sollten prüfen, ob die Ausschlussklauseln in „Altverträgen″ noch den Anforderungen der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung genügen. Verwenden Arbeitgeber in neu abzuschließenden Verträgen Verfallklauseln, die nicht ausdrücklich den Anspruch auf den Mindestlohn von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen, riskieren sie, dass die Klauseln insgesamt unwirksam sind.

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Wechselprämien zum Abwerben von Mitarbeitern

Der Fachkräftemangel bringt Unternehmen zuweilen auf neue Ideen. Nicht selten wird bei Wettbewerbern nach geeigneten Kandidaten Ausschau gehalten. Zuletzt lockten beispielsweise die Kreiskliniken Darmstadt-Dieburg durch Flyer, die sie in den Krankenhäusern der Region verteilten, mit einer Prämie von EUR 5.000,00 um neue Mitarbeiter. Dies stieß bei den umliegenden Krankenhäusern auf wenig Gegenliebe und wurde scharf kritisiert.

Doch bewegen sich solche Unternehmen, die beschäftigten Mitarbeitern von Konkurrenzunternehmen eine solche „Wechselprämie“ (oft auch „Signing Bonus″ genannt) versprechen, in einer rechtlichen Grauzone?

Verleiten zum Vertragsbruch als wettbewerbswidrige Handlung

Das Abwerben fremder Beschäftigter, denen für diesen Zweck eine „Wechselprämie“ versprochen wird, kann durchaus wettbewerbswidrig sein. Höchstrichterlich ist dieses Thema im deutschen Recht noch nicht abschließend geklärt.

Der BGH hat aber entschieden, dass das Abwerben fremder Mitarbeiter als Teil des freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt ist. Es sei nur dann wettbewerbswidrig, wenn unlautere Umstände hinzukämen, wie z.B. den Mitarbeiter eines Konkurrenten zum Vertragsbruch zu verleiten (BGH, Urteil v. 11. Januar 2007 – I ZR 96/04). Dies setzt ein bewusstes gezieltes Hinwirken auf den Vertragsbruch, also der Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht, voraus. In Betracht kommt z.B., dass der abgeworbene Arbeitnehmer dazu veranlasst wird, noch vor Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses die Tätigkeit für den Anwerbenden aufzunehmen. Eine ordentliche und fristgerechte Eigenkündigung ist für sich genommen aber unproblematisch.

Ausnutzen fremden Vertragsbruchs grundsätzlich erlaubt

Abzugrenzen ist das Verleiten zum Vertragsbruch vom Ausnutzen fremden Vertragsbruchs. Auch das Ausnutzen ist nach Auffassung des BGH grundsätzlich zulässig, wenn nicht besondere, die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten (BGH, Urteil v. 11. September 2008 – I ZR 74/06).

Die Abgrenzung zwischen dem unzulässigen Verleiten zum Vertragsbruch einerseits und dem zulässigen Ausnutzen zum Vertragsbruch andererseits kann im Einzelfall schwierig sein. Es stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber, der eine bereits bestehende Bereitschaft des Arbeitnehmers zum Jobwechsel durch das Versprechen von finanziellen Vorteilen verstärkt und einen Verstoß des Arbeitnehmers gegen wesentliche Vertragspflichten dabei in Kauf nimmt, diesen bereits zum Vertragsbruch verleitet. Das Verstärken des Entschlusses könnte hingegen auch nur unter den Begriff des „Ausnutzen zum Vertragsbruch″ fallen.

Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers

Wenn die Abwerbung durch Kollegen erfolgt, sind die Grenzen zur Unlauterbarkeit bereits sehr schnell erreicht. Ausreichend ist ernsthaftes und beharrliches Einwirken des Arbeitnehmers auf Kollegen, um diese zu veranlassen für ihn oder einen anderen Arbeitgeber tätig zu werden (BAG, Urteil v. 19. Dezember 2018 – 10 AZR 233/18). In dem entschiedenen Fall hatte eine Arbeitnehmerin ihre Kollegen in eine Bäckerei eingeladen, ihnen von ihrer geplanten Selbständigkeit erzählt und Musterkündigungen ihrer bestehenden Arbeitsverhältnisse sowie Arbeitsverträge für die neue Tätigkeit vorgelegt, die noch vor Ort unterzeichnet wurden. Der Grat zur „Wechselprämie″ ist damit äußerst schmal.

Überwiegend wird in der Literatur vertreten, dass das Versprechen oder Gewähren von Vorteilen im Zusammenhang mit einem Jobwechsel nicht ohne Weiteres gegen das UWG verstoßen würde. Die attraktive Wirkung, die von einem Angebot ausginge, begründe für sich genommen noch nicht die Unlauterkeit. Daher sei das Versprechen von Prämien zum Zwecke der Abwerbung grundsätzlich zulässig. Ein wettbewerbswidriges Verhalten könne erst dann bejaht werden, wenn unlauter auf die Entscheidungsfreiheit des Beschäftigten eingewirkt werde. Das ist dann immer eine Frage des Einzelfalls. Das bloße Anbieten einer Wechselprämie ist insoweit unbedenklich.

In Österreich sind Wechselprämien von der Rechtsprechung als zulässig bestätigt

Der österreichische Oberste Gerichtshof hatte mit Beschluss vom 17. September 2014 (4 Ob 125/14g) entschieden, dass das Ausnützen fremden Vertragsbruches – auch wenn es zu Zwecken des Wettbewerbs geschieht – an sich nicht wettbewerbswidrig sei. Es sei denn, das (abwerbende) Unternehmen habe den Vertragsbruch bewusst gefördert oder sonst aktiv dazu beigetragen. Erst durch das Hinzutreten besonderer Begleitumstände, die den Wettbewerb verfälschen (z.B., wenn das Abwerben unter Irreführung oder mittels aggressiver geschäftlicher Handlung vorgenommen werde), liege ein unlauteres Verhalten vor.

Der OGH verneinte im konkreten Fall das Vorliegen unlauterer Begleitumstände, weil das beklagte Unternehmen nicht von sich aus auf die abgeworbenen Mitarbeiter herangetreten war, sondern diese sich vielmehr selbst aktiv an das Unternehmen gewandt und ihre Bereitschaft zum Wechsel bekundet hatten. Dass ihnen im Zusammenhang mit dem Wechsel finanzielle Vorteile versprochen worden waren, begründe kein unlauteres Verhalten. Darüber hinaus entschied der OGH, dass die Beeinflussung der Entscheidungsfreiheit durch finanzielle Vorteile nicht unlauter, sondern wettbewerbsimmanent sei. Nach seiner Auffassung sei das Versprechen von Wechselprämien oder sonstigen Vorteilen zum Zwecke des Abwerbens daher grundsätzlich zulässig.

Praxishinweis: Wechselprämie in der Regel zulässig

Sogenannte „Wechselprämien″ oder „Signing Boni″ sind also nur dann rechtswidrig, wenn das anwerbende Unternehmen unlauter auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers eingewirkt hat. Das bloße Anbieten einer solchen „Wechselprämie″ ist daher unbedenklich. Allerdings zieht das BAG in einer jüngeren Entscheidung die Grenzen etwas enger, wenn einem Arbeitskollegen direkt Musterkündigungsschreiben und ein neuer Arbeitsvertrag vorgelegt werden.

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Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern bei den Schwellenwerten der unternehmerischen Mitbestimmung

Durch die AÜG-Reform 2017 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmer* sowohl bei den Schwellenwerten der Betriebsverfassung als auch der Unternehmensmitbestimmung beim Kunden zu berücksichtigen sind (vgl. § 14 Abs. 2 S. 4, 5 AÜG). Damit wurde die Rechtsprechung des BAG umgesetzt, das nach der Aufgabe der sog. Zwei-Komponenten-Lehre″ von dem Grundsatz, dass Zeitarbeitnehmer bei dem Kunden „wählen, aber nicht zählen″, ausdrücklich Abstand genommen hat.

Das BAG geht nun davon aus, dass Zeitarbeitnehmer bei dem Kunden sehr wohl „wählen dürfen und gleichzeitig zählen″ (vgl. BAG, Beschluss v. 5. Dezember 2012 – 7 ABR 48/11; BAG, Urteil v. 13. März 2013 – 7 ABR 69/11; BAG, Beschluss v. 4 November 2015 – 7 ABR 42/13; dazu ausführlich: Bissels in: Henssler/Grau, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge, § 5 Rn. 334 ff.).

Umstrittene Frage: Ist Einsatzdauer von sechs Monaten arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogen

Schwierigkeiten bereitete in der Praxis bei der Bestimmung der Schwellenwerte der unternehmerischen Mitbestimmung jedoch die gesetzliche Regelung in § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG, die wie folgt formuliert ist:

Soweit die Anwendung der in Satz 5 genannten Gesetze [Anm.: dort ist insbesondere das MitbestG und das DrittelbG genannt] eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern erfordert, sind Leiharbeitnehmer im Entleiherunternehmen nur zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.

Hoch umstritten war, ob die erforderliche Einsatzdauer von sechs Monaten, die für ein „Mitzählen″ überschritten sein muss, an den einzelnen Arbeitnehmer (arbeitnehmerbezogene Betrachtung; so: BeckOK ArbR/Motz, § 14 AÜG Rn. 26; ErfK/Oetker, § 1 MitbestG Rn. 9 f.; ErfK/Wank, § 14 AÜG Rn. 34; Oetker NZA 2017, 33; Ulrici, AÜG, § 14 Rn. 42; Bissels in: Henssler/Grau, Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge, § 5 Rn. 347; Bungert/Rogier, DB 2016, 3027; Löwisch/Wegmann, BB 2017377; Schubert/Liese, NZA 2016, 1303; Neighbour/Schröder, BB 2016, 2873; Bauer, NZA-Beilage 2017, 87) oder an den Arbeitsplatz (arbeitsplatzbezogene Betrachtung; so: Schüren/Hamann, AÜG, § 14 Rn. 141 f.; Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 1 MitbestG Rn. 41e; Düwell, jurisPR-ArbR 32/2018 Anm. 3; Fuchs/Köstler/Pütz AiB 5/2017, 25; Flockenhaus, EWiR 2019, 74; Hay/Grüneberg, AuR 2019, 136) anknüpft.

Je nach Auffassung konnte das Ergebnis hinsichtlich der Überschreitung der für die unternehmerische Mitbestimmung maßgeblichen Schwellenwerte durchaus unterschiedlich ausfallen – insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein arbeitnehmerbezogener Ansatz die Möglichkeit eröffnet hätte, durch ein rechtzeitiges Austauschen des jeweiligen Zeitarbeitnehmers (vor dem Ablauf von sechs Monaten) zu verhindern, dass diese bei dem Kunden mitzuzählen sind. Eine unternehmerische Mitbestimmung hätte durch entsprechende Rotationen (dauerhaft) verhindert werden können.

BGH: Einsatzdauer von sechs Monaten ist arbeitsplatzbezogen

Der BGH hat sich dabei gegen die in der Literatur herrschende Ansicht einer arbeitnehmerbezogenen Betrachtung entschieden und vertritt einen arbeitsplatzbezogenen Ansatz (Beschluss v. 25. Juni 2019 – II ZB 21/18; so auch schon die Vorinstanz: OLG Celle, Beschl. v. 7. September 2018 – 9 W 31/18; a.A. LG Hannover, Beschl. v. 12. Dezember 2017 – 26 O 1/17). In dem maßgeblichen Leitsatz fasst der BGH dessen Ergebnis wörtlich wie folgt zusammen:

Die Mindesteinsatzdauer in § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG ist arbeitsplatzbezogen zu verstehen. Maßgeblich ist danach, ob das Unternehmen während eines Jahres über die Dauer von mehr als sechs Monaten Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Einsatz bestimmter oder wechselnder Leiharbeitnehmer handelt und ob die Leiharbeitnehmer auf demselben oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden. Ist dies der Fall, sind die betreffenden Arbeitsplätze bei der Bestimmung des Schwellenwerts nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG mitzuzählen, wenn die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern über die Dauer von sechs Monaten hinaus regelmäßig erfolgt.

In der ausführlich begründeten Entscheidung stellt der BGH zunächst fest, dass der Wortlaut von § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG keinen Aufschluss darüber gebe, wie die erforderlich „Mindesteinsatzdauer″ zu bestimmen sei. Dieser Begriff sei insoweit neutral und könne sich sowohl auf den Einsatz einer bestimmten Person als auch auf die Besetzung von Arbeitsplätzen beziehen.

Weiter führt der BGH aus, dass auch die Gesetzesmaterialien keine nähere Begründung zur Auslegung von § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG enthielten. Allerdings der systematische Zusammenhang der Vorschrift für einen Arbeitsplatzbezug. § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG treffe nämlich eine Regelung zur Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer im Rahmen des Anwendungsschwellenwerts von § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, dem seinerseits eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung zugrunde liege. Vor diesem Hintergrund wäre die Hinzufügung einer personenbezogenen Regelung zur Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern im Rahmen von § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG – sei sie klarstellend, konkretisierend oder einschränkend – systemfremd. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG einen solchen Systemwechsel beabsichtigte, seien den Gesetzesmaterialien nämlich ebenfalls nicht zu entnehmen. Schließlich seien auch der Sinn und Zweck der Vorschrift für ein arbeitsplatzbezogenes Verständnis von § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG anzuführen.

BGH gibt zweistufige Prüfung zur Berechnung der Schwellenwerte vor

Die Praxis wird nun mit der arbeitsplatzbezogenen Betrachtung umgehen müssen. Gerade für Unternehmen, die mit ihrer Stammbelegschaft unter Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern in einem „Nahebereich″ der unternehmensmitbestimmungsrechtlich relevanten Schwellenwerten (2.000 gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG; 500 gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 DrittelbG) agieren, mag der Beschluss des BGH mit Blick auf die personelle Besetzung des Aufsichtsrates einschneidende Bedeutung haben; dies gilt insbesondere, wenn diese Unternehmen die Anzahl der „in der Regel beschäftigten″ Arbeitnehmer bislang auf Grundlage einer arbeitnehmerbezogenen Betrachtung gestützt haben. Letztlich müssen diese nunmehr neu „rechnen″.

Der BGH gibt dazu eine „Arbeitshilfe″ vor, wie zu ermitteln ist, ob der relevante Schwellenwert erreicht bzw. überschritten ist. In einer zweistufigen Prüfung ist

  1. festzustellen, ob das Unternehmen während eines Jahres über die Dauer von sechs Monaten hinaus Arbeitsplätze mit Zeitarbeitnehmern besetzt, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Einsatz eines bestimmten oder wechselnder Zeitarbeitnehmers/n handelt und ob diese/rauf demselben oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt wird/werden (§ 14 Abs. 2 S. 6 AÜG).
  2. Ist dies der Fall, sind die betreffenden Arbeitsplätze bei der Bestimmung des Schwellenwerts mitzuzählen, wenn diese Beschäftigung von Zeitarbeitnehmern über die Dauer von sechs Monaten hinaus regelmäßig erfolgt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG).

Gerade in „Grenzfällen″ können hier Konflikte über die Korrektheit der Berechnung entstehen, die im Zweifel gerichtlich in einem Statusverfahren nach §§ 97 ff. AktG geklärt werden müssen. Dies gilt insbesondere, wenn zum ersten Mal ein Aufsichtsrat mit Arbeitnehmervertretern besetzt wird, weil die maßgebliche Schwelle von 500 Mitarbeitern nach dem DrittelbG erreicht wird bzw. erreicht worden sein soll, oder weil es einen „Mitbestimmungszuwachs″ gegeben hat bzw. gegeben haben soll, wenn ein Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern den Schwellenwert von 2.000 Mitarbeitern nach dem MitbestG überschritten hat bzw. haben soll.

Umgekehrt sind natürlich auch Fälle denkbar, in denen es zu „Mitbestimmungsverlusten″ oder zu einem Ausschluss der Unternehmensmitbestimmung kommen kann (Mitarbeiterzahl fällt unter 500 Arbeitnehmer). Die beiden letztgenannten Konstellationen dürften aufgrund der von dem BGH vertretenen Zählweise aber eher die Ausnahme darstellen.

Im Ergebnis steht fest, dass eine hochumstrittene Frage zur Auslegung von § 14 Abs. 2 S. 6 AÜG jetzt höchstrichterlich geklärt ist. Der Beschluss des BGH mag zwar von der Begründung angreifbar sein, jedoch ist durch diesen eine (zumindest abstrakte) Rechtsklarheit geschaffen worden, wie die Schwellenwerte der Unternehmensmitbestimmung unter Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern zu bestimmen sind.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die erste höchstrichterliche Entscheidung zur AÜG-Reform 2017 in der Praxis auswirken wird. Klar ist bereits jetzt, dass die Bestimmung des maßgeblichen Schwellenwertes – trotz des Beschlusses des BGH – mit (tatsächlichen) Schwierigkeiten verbunden ist und daher streitanfällig bleibt.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der September-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Änderung der „Fachlichen Weisungen AÜG″– Mischbetriebe stehen vor neuen Herausforderungen!

Bei den FW AÜG handelt es sich um interne Verwaltungsanweisungen, die auf Grundlage von § 17 Abs. 1 AÜG das „Arbeitsprogramm″ der BA definieren. Diese schreiben für die Behörde verbindlich fest, wie die Vorschriften des AÜG auszulegen und anzuwenden sind. Die FW AÜG bieten daher eine Orientierungshilfe, wie die BA das AÜG verstanden wissen möchte; diese verhindern damit, dass – zumindest wenn die FW AÜG wortgetreu umgesetzt werden – die BA im Rahmen oder im Nachgang von Prüfungen Beanstandungen gegenüber dem Personaldienstleister ausspricht oder darüber hinaus gehende erlaubnisrechtliche Maßnahmen ergreift.

Neufassung der FW AÜG wirft weitere Fragen auf

Zuletzt wurden die FW AÜG anlässlich der AÜG-Reform Ende März 2017 mit Wirkung zum 1. April 2019 angepasst. Gesamtbetrachtend bleibt durch die Neufassung der FW AÜG zum 1. August 2019 der „große Wurf″ aus; für die Praxis wesentliche Fragen werden (weiterhin) nicht hinreichend geklärt. Dies gilt insbesondere in Zusammenhang mit der Frage, ob die Konkretisierung der Zeitarbeitnehmerin und des Zeitarbeitnehmers* unter Beachtung der Schriftform erfolgen muss. Die FW AÜG n.F. werfen – im Gegenteil – neue Diskussionspunkte auf; sie hinterlassen bei dem geneigten Leser (noch) mehr Fragezeichen und liefern bedauerlicherweise nicht die erhofften Antworten.

Wesentliche Änderungen in der FW AÜG für Mischbetriebe zur Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz

Auch für sog. Mischbetriebe/-unternehmen, die sowohl Arbeitnehmerüberlassung betreiben als auch Werk-/Dienstverträge anbieten, ergeben sich nicht unerhebliche Änderungen, um während eines Einsatzes gem. § 1 AÜG den Gleichstellungsgrundsatz abbedingen zu können.

Die BA hat die FW (Ziff. 8.5 Abs. 5 Nr. 5, S. 86 f.: Inbezugnahme von Flächentarifverträgen der Zeitarbeit sowohl für Einsatzzeiten wie für Nichteinsatzzeiten) nämlich wie folgt ergänzt:

5. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 12.10.2016 – B 11 AL 6/15 R) setzt § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 a.F. (§ 8 Abs. 2 Satz 3 n.F.) für die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag der Zeitarbeit zur Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz kein Überwiegen der Arbeitnehmerüberlassung in einem Betrieb voraus. Demnach eröffnet das AÜG auch Betrieben mit unterschiedlichen Betriebszwecken (Mischbetriebe), die nicht überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben, die Möglichkeit, auf einen Tarifvertrag der Zeitarbeit zur Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz Bezug zu nehmen. Unternehmen und Betriebe mit unterschiedlichen Unternehmens- bzw. Betriebszwecken (Mischunternehmen bzw. -betriebe), die auch Arbeitnehmerüberlassung betreiben, können vom Gleichstellungsgrundsatz durch Anwendung eines Tarifvertrages der Arbeitnehmerüberlassung abweichen, wenn sie unter dessen Geltungsbereich fallen. Welche Betriebe, Unternehmen oder Arbeitnehmergruppen von einem Tarifvertrag umfasst werden, ist durch Auslegung des tarifvertraglichen Geltungsbereichs festzustellen. Das Bundessozialgericht hat für den von der DGB-Tarifgemeinschaft mit dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) vereinbarten Manteltarifvertrag vom 22.7.2003, geändert durch Änderungstarifverträge vom 22.12.2004, 30.5.2006 und 9.3.2010, für Recht erkannt, dass ihm nicht das Industrieverbandsprinzip zugrunde liegt, sondern dass der Manteltarifvertrag für Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG gilt (Urteil vom 12.10.2016, B 11 AL 6/15 R). Sein Geltungsbereich umfasst daher auch Arbeitnehmerüberlassung in Mischunternehmen oder Mischbetrieben, in denen nicht arbeitszeitlich überwiegend Arbeitnehmerüberlassung stattfindet. Diese Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auf die aktuell für die Arbeitnehmerüberlassung bestehenden Flächentarifverträge, die zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) sowie zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) abgeschlossen worden sind, angesichts der inhaltlichen Ausgestaltung der Geltungsbereiche dieser Tarifverträge zu übertragen. Damit können auch Mischunternehmen bzw. Mischbetriebe, die nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband der Arbeitnehmerüberlassung sind und nicht überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben, durch Inbezugnahme der von der DGB-Tarifgemeinschaft mit dem BAP oder dem iGZ abgeschlossenen Flächentarifverträge vom Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 Abs. 1 Satz 1) abweichen. Die Tarifpartner der Zeitarbeit haben in den genannten Flächentarifverträgen Leistungen für Einsatzzeiten und Zeiten des Nichtverleihs in einem Gesamtkonzept geregelt. Die tariflichen Regelungen müssen folglich sowohl für Einsatzzeiten wie für Nichteinsatzzeiten in Bezug genommen werden. Eine auf die Dauer der Überlassung beschränkte Inbezugnahme befreit den Verleiher nicht von der Anwendung des Gleichstellungsgrundsatzes. Das entsprechende Tarifwerk ist im Falle der Inbezugnahme grundsätzlich vollständig und umfassend auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden (FW 8.2 Abs. 3 a.E.). Mischunternehmen bzw. -betriebe, die arbeitszeitlich nicht überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben und die ihre nicht verliehenen Arbeitnehmer nach dem für sie geltenden Branchentarifvertrag beschäftigen, können vom Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 Abs. 1 Satz 1) abweichen, wenn dieser Tarifvertrag eine ausdrückliche Klausel enthält, wonach er im Falle des Verleihs des Arbeitnehmers ebenfalls anwendbar ist.

Aus der neu in die FW AÜG eingefügten Bestimmung ergibt sich nunmehr ausdrücklich die im Rahmen von Prüfungen auch schon in der Vergangenheit von der BA vertretene Ansicht, dass eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz bei Mischbetreiben nur zulässig ist, wenn die tariflichen Regelungen der Zeitarbeit sowohl die Zeiten des (Nicht-)Einsatzes im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung als auch bei Werk-/Dienstverträgen vereinbart und angewendet werden.

Ansicht der BA: Anwendung der Tarifwerke der Zeitarbeit auch bei Werk-/Dienstverträgen

Auf Grundlage der bisher in der Praxis bei vielen Mischbetrieben gelebten Konzeption ist es so, dass ein Tarifwerk der Zeitarbeit – oftmals aufgrund von befristet mit dem Mitarbeiter geschlossenen Zusatzvereinbarungen – nur gelten soll, wenn dieser tatsächlich im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich eingesetzt wird bzw. werden soll (für die Zulässigkeit ausdrücklich: Tschöpe/Bissels, Teil 6 D Rn. 118 m.w.N.).

Mischbetriebe müssen sich nun aufgrund der eindeutigen Weisungslage die Frage stellen, ob die nur teilweise (im Bedarfsfall) überlassenen Arbeitnehmer in Gänze dem Regime der Tarifwerke der Zeitarbeit unterworfen werden (auch in Zeiten, in denen diese z.B. im Rahmen von Werk-/Dienstverträgen tätig sind) oder ob diese an der bisher gelebten Struktur festhalten. Dies wird im Zweifel zu einer Beanstandung in der nächsten Prüfung der BA oder sogar zu darüber hinaus gehenden erlaubnisrechtlichen Maßnahmen führen.

Müssen Mischbetriebe Tarifwerke der Zeitarbeit anwenden? Gerichtliche Klärung dürfte absehbar sein!

Gesamtbetrachtend wirkt die von der BA vorgenommene Ergänzung so, als wolle die Behörde die Niederlage vor dem BSG im Jahr 2016 (Urteil v. 12. Oktober 2016 – B 11 AL 6/15 R) zu kompensieren versuchen. Zwar ist nunmehr – entgegen der vormals von der BA vertretenen Auffassung – höchstrichterlich geklärt, dass die Tarifwerke BAP/DGB und iGZ/DGB auch Mischbetriebe erfassen (und daran gibt es nichts zu rütteln), aber anstatt als „guter Verlierer″ erhobenen Hauptes vom Platz zu gehen, scheint die BA weiterhin bestrebt zu sein, Mischbetrieben das Leben schwer machen zu wollen. Wenn man diese schon nicht ausschließen kann, dann sollen diese die Tarifwerke der Zeitarbeit ohne Wenn und Aber anwenden – auch bei Konstellationen, die mit einer Arbeitnehmerüberlassung schlicht nichts gemein haben, nämlich bei Werk- und Dienstverträgen.

Dass sich dies „beißt″, dürfte auf der Hand liegen. Abgesehen davon überzeugt diese Ansicht auch in rechtlicher Hinsicht nicht: in § 8 Abs. 1 S. 1 AÜG wird festgelegt, dass der Gleichstellungsgrundsatz nur für die Zeit der Überlassung des Zeitarbeitnehmers an den Kunden gilt. Die gesetzlich vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten gem. § 8 Abs. 2, 4 AÜG beziehen sich auf diese „Grundregel″, so dass deren Abbedingung auch nur für die Zeit der Überlassung möglich sein muss, selbst wenn während der Nichtüberlassung ein anderer Tarifvertrag oder sonstige (individualvertraglich) vereinbarte Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis maßgeblich sind.

Vor diesem Hintergrund dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt schon feststehen, dass die von der BA vertretene, u.E. jedoch nicht überzeugende Ansicht streitbefangen ist und im Ergebnis über kurz oder lang die Gerichte befassen wird.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der August-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Qualifizierung von Mitarbeitern – neue Herausforderungen arbeitsrechtlicher Restrukturierung

Im Rahmen der digitalen Transformation der Arbeitswelt bauen viele Unternehmen in erheblichen Umfang Stellen ab. Zugleich entstehen neue Stellen mit neuen Anforderungsprofilen, die besetzt werden müssen. Dabei birgt die gleichzeitige Einstellung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter* mit anderen Qualifikationen das Risiko, dass es sich um einen arbeitsrechtlich unzulässigen Austausch von Mitarbeitern handelt. Vor diesem Hintergrund gilt es unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Gestaltungsmittel neue Konzepte zu entwickeln.

Grenzen klassischer Mittel der Restrukturierung

Bisherige Wege der arbeitsrechtlichen Restrukturierung sind allein auf den Abbau von Personal ausgerichtet. Klassische Maßnahmen sind Massenentlassungen, oftmals begleitet von Freiwilligenprogrammen, und die Errichtung einer sog. Transfergesellschaft, die der Vermittlung von Mitarbeitern in den externen Stellenmarkt dient. 

Diese herkömmlichen Instrumente werden dem Umstand nicht gerecht, dass der Beschäftigungsbedarf im Zuge der digitalen Transformation mit veränderten Anforderungen bestehen bleibt und gleichzeitig ein erheblicher Fachkräftemangel besteht. Darüber hinaus wendet der Arbeitgeber Geld für ehemalige Mitarbeiter auf, anstatt es in die Bestandsmitarbeiter und deren Zukunft zu investieren. Klassische Mittel der Restrukturierung helfen daher nur bedingt weiter.

Bildung von Qualifizierungseinheiten

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die Bestandsmitglieder zu halten, sie auf der Grundlage der bereits vorhandenen Qualifikationen weiterzubilden und ihnen neue Qualifikationen zu vermitteln. Das vorhandene Budget kann so in die Weiterbildung der bestehenden Mitarbeiter investiert werden. Die zu qualifizierenden Mitarbeiter können organisatorisch in einer Qualifizierungseinheit gebündelt werden, innerhalb derer die Qualifizierung erfolgt. Der einhergehende Steuerungs- und Transparenzgewinn spart langfristig Kosten für das Unternehmen. Zugleich wird die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern auf dem umkämpften Fachkräftemarkt umgangen. Schließlich dürften Qualifizierungseinheiten gegenüber klassischen Restrukturierungsmittel mit einer höheren Akzeptanz der Mitarbeiter und einem Imagegewinn für das Unternehmen verbunden sein.

Ausgestaltung der Qualifizierungseinheit als „Qualifizierungsbetrieb“ oder als „Qualifizierungsgesellschaft“

Qualifizierungseinheiten können als „Qualifizierungsbetrieb“ oder als „Qualifizierungsgesellschaft“ ausgestaltet werden. In einem Qualifizierungsbetrieb ließe sich die Bündelung unter Beibehaltung desselben Arbeitgebers durch eine Versetzung des Mitarbeiters in den neu geschaffenen Betrieb bewirken. Während der Dauer der Qualifizierung können die Mitarbeiter bei Bedarf im Unternehmen eingesetzt werden.

Bei einer Qualifizierungsgesellschaft findet dagegen mittels dreiseitiger Vereinbarung ein Arbeitgeberwechsel statt. In der Qualifizierungsgesellschaft würde zunächst eine befristete Einstellung erfolgen. Diese hohe Hürde hat den großen Vorteil, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber (zunächst) endet und so dem Risiko begegnet wird, dass die Qualifizierung nicht den entsprechenden Erfolg erbringt. Bei erfolgreicher Qualifizierung kann der Mitarbeiter auf einer freien Stelle (des bisherigen Arbeitgebers) beschäftigt werden. Während der Qualifizierung kann ein Einsatz beim bisherigen Arbeitgeber im Wege der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung erfolgen.

Der Weg über die Qualifizierungsgesellschaft ist zwar ohne Zustimmung des Mitarbeiters nicht möglich, bei entsprechender Stringenz und Kommunikation aber auch nicht ausgeschlossen („Du hast die Wahl: Qualifizierung oder Verlust des Arbeitsplatzes“). Dieses Gestaltungsmittel hätte jedenfalls den großen Vorteil, dass die Risiken nicht nur auf der Schulter des Arbeitgebers lasten.

Konkretes Planungskonzept für Qualifizierungseinheiten

Die Bündelung der Mitarbeiter in Qualifizierungseinheiten bedarf eines konkreten Planungskonzepts unter Einbeziehung der Arbeitnehmervertretungen. Vorweg müssen die zu qualifizierenden Mitarbeiter bestimmt und sämtliche Qualifizierungsaktivitäten in der Qualifizierungseinheit gebündelt werden.

Gegenüber den zu qualifizierenden Mitarbeitern müssen die Vorteile des Wechsels in die Qualifizierungseinheit klar kommuniziert werden. Mit den Mitarbeitern sind bei einer Ausgestaltung als Qualifizierungsgesellschaft befristete Arbeitsverträge mit entsprechend weiter Versetzungsklausel abzuschließen. In jedem Fall muss sorgfältig geprüft werden, inwieweit Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats z.B. aus § 97 Abs. 2 BetrVG, § 99 BetrVG oder § 102 BetrVG begründet werden. Darüber hinaus ist zu prüfen, inwieweit es zusätzlich einer Massenentlassungsanzeige i.S.d. § 17 KSchG gegenüber der Agentur für Arbeit bedarf.

Fördermöglichkeit durch Qualifizierungschancengesetz

Qualifizierungseinheiten können durch staatliche Weiterbildungszuschüsse seitens der Agentur für Arbeit teilfinanziert werden. Bezuschusst werden sowohl die Weiterbildungskosten als auch das Arbeitsentgelt für die zu qualifizierenden Mitarbeiter. Die Höhe der Bezuschussung ist abhängig von der Unternehmensgröße. Die Weiterbildungsförderung basiert auf den §§ 81 ff. SGB III, die durch das Qualifizierungschancengesetz vom 1. Januar 2019 neu gefasst wurden.

Mit dem derzeit vom Bundesarbeitsministerium geplanten „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ sollen die Fördermöglichkeiten noch einmal erweitert werden. Sofern ein Unternehmen sich für die Nutzung einer Qualifizierungsgesellschaft oder eines Qualifizierungsbetriebs entscheidet, müsste daher sorgfältig geprüft werden, inwieweit sich diese Maßnahme jeweils auf die Förderfähigkeit auswirkt. Hier ist im Vorfeld eine enge Abstimmung mit der Arbeitsagentur empfehlenswert.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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AU-Bescheinigung adé?

Das Bundeswirtschaftsministerium hat sein seit längerem angekündigtes drittes Bürokratieentlastungsgesetz (BEG III) vorgelegt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte es am 10. September 2019 vor. Ziel des Gesetzes ist der Abbau „überbordender Bürokratie″, die die Wirtschaft belaste.

Eine der Änderungen betrifft § 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG), der die Meldepflicht der Beschäftigten* im Fall der Arbeitsunfähigkeit betrifft.

Meldepflicht und AU-Bescheinigung

Wir erinnern uns: Der Mensch wird krank. Eine Krankheit kann sogar dazu führen, dass man unfähig ist, zu arbeiten (Arbeitsunfähigkeit). In diesem Fall sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 5 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen.

  1. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Diese ärztliche Bescheinigung hat ihre Tücken. Zuletzt war das Verfahren Anfang des Jahres 2016 durch geänderte Formulare angepasst und vereinfacht worden.

Neue Vorschriften im EFZG und SGB IV geplant

Die AU-Bescheinigung, nach wie vor gerne „gelber Zettel″ genannt, soll nun in bestimmten Fällen überflüssig werden. Hierfür sieht das Bürokratieentlastungsgesetz in § 5 EFZG einen neuen Absatz 1a vor, der lauten soll:

Absatz 1 Satz 2 bis 5 gilt nicht für Arbeitnehmer, die Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Diese sind verpflichtet, zu den in Abs. 1 Satz 2 bis 4 genannten Zeitpunkten das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer feststellen und sich eine ärztliche Bescheinigung nach Abs. 1 Satz 2 oder 4 aushändigen zu lassen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten (§ 8a viertes Buch SGB) oder bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt.

Parallel dazu sind Änderungen im vierten Sozialgesetzbuch (SGB IV), das die Krankenversicherung regelt, vorgesehen. § 109 SGB IV über die „Meldung der Arbeitsunfähigkeit und Vorerkrankungszeiten an die Arbeitgeber″ soll folgendermaßen aussehen:

  1. Die Krankenkasse hat nach Eingang der Daten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches eine Meldung zum Abruf für den Arbeitgeber zu erstellen, die die Daten über den Namen des Beschäftigten, den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Ausstelldatum und die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung enthält. In den Fällen, in denen die Krankenkasse die Daten nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches für ein geringfügig beschäftigtes Mitglied erhält, hat sie diese Daten nach Satz 1 am Tag des Eingangs an die zuständige Einzugsstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zur Bereitstellung zum Abruf für den Arbeitgeber zu übermitteln. Unberührt bleibt die Verpflichtung des behandelnden Arztes, dem Versicherten eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit nach § 73 Absatz 2 Satz 1 Nummer 9 des Fünften Buches in Verbindung mit § 5 Absatz 1a Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz auszuhändigen.

  2. Im Falle einer Mehrfachbeschäftigung können Beschäftigte bis zum Abruf durch den Arbeitgeber gegenüber der Krankenkasse die Sperrung des Abrufes für einen oder mehrere Arbeitgeber verlangen.

  3. Stellt die Krankenkasse auf Grundlage der Angaben zur Diagnose in den Meldungen nach § 295 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Fünften Buches und weiteren ihr vorliegenden Daten fest, dass die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten für einen Arbeitgeber ausläuft, übermittelt sie dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten. Satz 1 gilt nicht für geringfügige Beschäftigte.

  4. Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Beschäftigte nach § 12.

  5. Das Nähere zu den Angaben und zum Verfahren regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen in Grundsätzen. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist vorher anzuhören.

Versicherte sollen weitestgehend von Vorlagepflicht der AU-Bescheinigung befreit werden

Nach den Vorstellungen des Ministeriums soll also die Krankenkasse gesetzlich krankenversicherter Arbeitnehmer dem jeweiligen Arbeitgeber zahlreiche Daten „in elektronischer Form als Meldung zum Abruf″ bereitstellen, sobald sie die Arbeitsunfähigkeitsmeldung des Arztes erhält. Dazu gehören der Name, Beginn und Ende der AU, das Ausstellungsdatum und die Kennzeichnung, ob es sich um eine Ersterkrankung oder eine Folgemeldung handelt.

Gleichzeitig soll die Pflicht des Arbeitnehmers entfallen, dem Arbeitgeber die AU-Bescheinigung vorzulegen. Dies gilt nicht für diejenigen Beschäftigten, die nicht gesetzlich krankenversichert sind oder bei denen die elektronische Meldung nicht greift. Das wiederum sind geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten oder die Fälle, in denen die Arbeitsunfähigkeit nicht durch einen Arzt erfolgt, der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Meldepflicht für Arbeitnehmer bleibt bestehen

Die Krankenkassen werden im Ergebnis die Übermittler der Arbeitsunfähigkeit, wenn das Gesetz so in Kraft tritt. Allerdings ist die Information für den Arbeitgeber als „Meldung zum Abruf″ vorgesehen. Der Arbeitgeber muss bei der Krankenkasse abrufen, ob AU-Bescheinigungen für ihn vorliegen.

Bescheid sagen, dass er nicht arbeiten kann, muss der Arbeitnehmer auch weiterhin: Denn § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG bleibt unberührt. Von der Papierbescheinigung für den Arbeitnehmer sieht der Entwurf ebenso nicht ab. Der Arbeitnehmer solle weiterhin ein Beweismittel erhalten, mit dem von der Rechtsprechung zugebilligten hohen Beweiswert für Störfälle. Hierunter versteht das Ministerium die „fehlgeschlagene Übermittlung im elektronischen Verfahren″.

AU-Bescheinigung auf Abruf – Eine Änderung zum Besseren?

Richtig: Durch die Änderungen wird die Versendung der AU-Bescheinigung gespart. Aber in wie vielen Fällen reichen Beschäftigte die Bescheinigung überhaupt noch per Briefumschlag mit Briefmarke ein?

Und ja: in den Personalabteilungen werden zukünftig nicht mehr die Daten aus AU-Bescheinigungen in Systeme eingegeben. Aber der so gesparte Aufwand wird möglicherweise durch den neuen Aufwand für den Abruf solcher Meldungen ersetzt.

Es bleibt zu hoffen, dass die Krankenkassen eine schnelle Weiterleitung der bei Ihnen eingehenden ärztlichen Meldungen für die Arbeitgeber ermöglichen.

Gleiches gilt für den nach § 109 Abs. 3 SGB IV vorgesehenen Hinweis der Krankenkasse, dass die Entgeltfortzahlung wegen anrechenbarer Vorerkrankungszeiten ausläuft. Hier müssen die Arbeitgeber auf eine schnelle eine Meldung mit den Angaben über die für ihn relevanten Vorerkrankungszeiten hoffen. Der Vorschlag spricht hier davon die Krankenkasse „übermittelt […] dem betroffenen Arbeitgeber eine Meldung″. Soll hier also kein Abruf durch den Arbeitgeber erfolgen, sondern er bekommt eine Nachricht der Krankenkasse? Wir hoffen, sie kommt nicht mit der Post.

Hilfreich wären auch elektronische Systeme, die ein einfaches „Überspielen″ der zur Verfügung gestellten Daten in die Personalverarbeitungssysteme der Unternehmen ermöglichen.

Was mit der neuen Regelung wegfiele, ist die Erkenntnis über den die Bescheinigung ausstellenden Arzt oder die ausstellende Ärztin. Und was bleibt, ist das Stück Papier, das der Arbeitnehmer ausgehändigt bekommt, um es hoffentlich für Zweifelsfälle aufzubewahren.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Einstellung auch ohne Zustimmung des Betriebsrats

Das LAG Niedersachsen (Beschluss v. 13. August 2019 – 5 Ta 170/19) hat entschieden, dass gegen einen Arbeitgeber kein Zwangsgeld festgesetzt werden darf, wenn er ein und dieselbe Arbeitnehmerin beziehungsweise ein und denselben Arbeitnehmer* wiederholt vorläufig beschäftigt.

Einstellung eines Arbeitnehmers erfordert Zustimmung des Betriebsrats

In Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern benötigt der Arbeitgeber für jede Einstellung die Zustimmung des Betriebsrats (§ 99 Abs. 1 BetrVG). Dieser kann seine Zustimmung verweigern, allerdings nur aus bestimmten, im Gesetz aufgeführten Gründen (§ 99 Abs. 2 BetrVG).

Möchte der Betriebsrat die Zustimmung verweigern, muss er dies dem Arbeitgeber binnen einer Woche nach Erhalt der arbeitgeberseitigen Unterrichtung über die beabsichtigte Einstellung schriftlich mitteilen; andernfalls gilt seine Zustimmung als erteilt (§ 99 Abs. 3 BetrVG).

Arbeitgeber muss bei Zustimmungsverweigerung Arbeitsgericht anrufen

Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung kann durch eine Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren ersetzt werden (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Allerdings ist ein solches Verfahren oftmals langwierig, insbesondere wenn es sich über zwei oder gar drei Instanzen erstreckt. So lange kann der Arbeitgeber in aller Regel nicht warten, zumal er auch den Bewerber nicht so lange „vertrösten″ kann.

Vorläufige Beschäftigung ist trotz Zustimmungsverweigerung möglich

Das Gesetz hilft dem Arbeitgeber: Er darf die Einstellung vorläufig vornehmen, wenn er den Betriebsrat unverzüglich hierüber unterrichtet und die vorläufige Beschäftigung aus sachlichen Gründen (z. B. großer Bedarf an der Arbeitskraft) dringend erforderlich ist. Der Betriebsrat kann die dringende Erforderlichkeit bestreiten, was er in der Praxis regelmäßig tut.

Von dem Zeitpunkt seines Bestreitens an läuft eine Frist von drei Tagen. Innerhalb dieser Frist muss der Arbeitgeber bei dem Arbeitsgericht zwei Anträge stellen: Den Antrag auf Ersetzung der vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung und den Antrag auf Feststellung, dass die vorläufige Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist. Nur wenn er diese Frist wahrt, darf er den Arbeitnehmer vorläufig weiterbeschäftigen (§ 100 BetrVG).

Betriebsrat kann mit Widerantrag zum „Gegenangriff″ übergehen

In dem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geht der Betriebsrat zumeist zum „Gegenangriff″ über: Denn er kann im Wege eines Widerantrags beantragen, den Arbeitgeber zu verpflichten, die Einstellung aufzuheben.

Kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass der Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung zu Recht verweigert hat, weist es den Antrag des Arbeitgebers auf Ersetzung der Betriebsratszustimmung ab. Darüber hinaus verpflichtet es auf den Widerantrag des Betriebsrats hin den Arbeitgeber, die Einstellung aufzuheben.

Betriebsrat kann Zwangsgeld gegen Arbeitgeber erwirken

In der Praxis beginnt das „Spiel″ nun oft von Neuem: Der Arbeitgeber leitet ein neues Stellenbesetzungsverfahren ein, wählt denselben Bewerber wieder aus und beantragt bei dem Betriebsrat abermals die Zustimmung zu seiner Einstellung. Der Betriebsrat verweigert die Zustimmung erneut. Der Arbeitgeber entschließt sich wiederum zur vorläufigen Beschäftigung und stellt bei dem Arbeitsgericht beide obigen Anträge (Zustimmungsersetzungs- und Feststellungsantrag).

Der Betriebsrat erinnert sich nun daran, dass er in dem ersten gerichtlichen Verfahren auch mit seinem Widerantrag Erfolg hatte. Denn das Arbeitsgericht hat den Arbeitgeber in jenem Verfahren verpflichtet, die Einstellung aufzuheben. Der Betriebsrat stellt sich auf den Standpunkt, dass der Arbeitgeber diese Verpflichtung bislang nicht erfüllt habe, und beantragt deshalb bei dem Arbeitsgericht die Festsetzung von Zwangsgeld gegen den Arbeitgeber (§ 85 Abs. 1 ArbGG).

Auf den ersten Blick scheint es so, als hätte der Betriebsrat recht. Denn der Arbeitnehmer ist ohne Unterbrechung weiterbeschäftigt worden. Der Arbeitgeber hat, um den Arbeitnehmer nicht entlassen zu müssen, ein neues Stellenbesetzungs- und ein neues gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet.

Wiederholte vorläufige Beschäftigung desselben Arbeitnehmers möglich

An dieser Stelle hat nun das LAG Niedersachsen (Beschluss v. 13. August 2019 – 5 Ta 170/19) für Entwarnung gesorgt: Es sei, so das LAG, unerheblich, ob der Arbeitnehmer – wie der Arbeitgeber in jenem Verfahren behauptet hatte – aus dem Betrieb ausgegliedert und einen Tag später wieder in ihn eingegliedert worden sei. Denn es komme nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer für eine Sekunde, einen Tag oder eine ganze Woche den Betrieb verlassen habe.

Entscheidend sei allein, dass der Arbeitgeber, nachdem er das erste Zustimmungsersetzungsverfahren verloren habe, von der zunächst beabsichtigten (ersten) Einstellung Abstand genommen habe. Dass er dies getan habe, folge daraus, dass er die erste Einstellung nicht weiterverfolgt, sondern stattdessen eine neue, zweite Einstellungsentscheidung getroffen habe. Da der Arbeitgeber hierdurch die erste Einstellung aufgehoben habe, habe er genau das getan, wozu ihn das Gericht verpflichtet habe.

Der Arbeitgeber müsse auch nicht erst im Wege einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) gegen den seinerzeitigen Beschluss vorgehen, durch den er zur Aufhebung der Einstellung verpflichtet worden war. Dass es sich um eine völlig neue Einstellung handle, könne der Arbeitgeber als Einwand dem Zwangsgeldantrag des Betriebsrats entgegenhalten.

Gute Neuigkeiten für Arbeitgeber: Verfahrenskosten werden gespart

Dies sind gute Neuigkeiten für Arbeitgeber: Denn müsste zunächst eine Vollstreckungsabwehrklage erhoben werden, entstünden weitere Anwaltskosten, insbesondere auch für den Anwalt des Betriebsrats. Da der Arbeitgeber den Einwand unmittelbar dem Zwangsgeldantrag entgegenhalten kann, werden diese Kosten vermieden.

Die Zukunft wird zeigen, ob der Arbeitgeber es in solchen Fällen sogar ablehnen kann, die Kosten des Anwalts zu übernehmen, den der Betriebsrat für den Zwangsgeldantrag beauftragt hat. Zwar muss der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten tragen (§ 40 Abs. 1 BetrVG), auch die Kosten eines von dem Betriebsrat eingeschalteten Anwalts. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Rechtsverfolgung des Betriebsrats offensichtlich aussichtslos ist (BAG, Beschluss v. 22. November 2017 – 7 ABR 34/16).

Arbeitgeber können künftig versuchen, sich unter Berufung auf die Entscheidung des LAG Niedersachsen auf den Standpunkt zu stellen, dass sie keine Anwaltskosten übernehmen müssen, wenn der Betriebsrat in einem Fall wie dem vorliegenden einen Anwalt beauftragt, um die Festsetzung eines Zwangsgelds gegen den Arbeitgeber zu erwirken. Denn nach der Entscheidung des LAG Niedersachsen steht fest, dass solch ein Zwangsgeld nicht verhängt werden kann, wenn der Arbeitgeber eine neue Einstellungsentscheidung getroffen hat. Letzte Gewissheit werden Arbeitgeber aber erst haben, wenn das BAG die Auffassung des LAG Niedersachsen bestätigt hat.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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