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Die verschwundene Betriebsvereinbarung

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Wer einen Betrieb übernimmt, übernimmt nach § 613a BGB auch alle Arbeitsverhältnisse. Betriebsvereinbarungen und/oder Tarifverträge, die beim alten Arbeitgeber galten, muss auch der neue Arbeitgeber beachten. Etwas anders gilt grundsätzlich nur dann, wenn beim neuen Arbeitgeber bereits Betriebsvereinbarungen und/oder Tarifverträge zum selben Regelungsgegenstand bestehen.

Ausschlagen des „kollektiven Erbes″

In der Regel möchte der neue Arbeitgeber vermeiden, dass die „geerbten″ Betriebsvereinbarungen und/oder Tarifverträge bei ihm fortgelten, da er auf deren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Um dieses „kollektive Erbe″ auszuschlagen, haben Betriebs- und Tarifparteien jüngst einen kreativen Weg eingeschlagen, den das LAG Schleswig-Holstein für zulässig hielt (Urteile v. 11. September 2018 – 1 Sa 216/17 und 1 Sa 235/17 sowie v. 26. September 2018 – 3 Sa 224/17, 3 Sa 231/17 und 3 Sa 291/17).

Ursprünglich Gesamtbetriebsvereinbarung und Entgelttarifvertrag geschlossen

Im konkreten Fall ging es um eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem, die der Arbeitgeber im Juli 2009 mit dem Gesamtbetriebsrat geschlossen hatte. Dabei war vereinbart worden, dass diese frühestens zum Ende des Jahres 2017 kündbar sei.

Wenige Monate später, im Dezember 2009, unterzeichneten die Gewerkschaft und der Arbeitgeberverband einen Entgelttarifvertrag. Dieser sah vor, dass in den Betrieben des Arbeitgebers (abweichend vom Manteltarifvertrag) die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem Anwendung finden sollte. Der Tarifvertrag enthielt ferner die Bestimmung, dass Änderungen dieser Gesamtbetriebsvereinbarung fortan nur noch mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien möglich seien. Er war ebenso wie die Gesamtbetriebsvereinbarung frühestens zum Ende des Jahres 2017 kündbar.

Gesamtbetriebsvereinbarung wurde nachträglich befristet

2014 beschloss der Arbeitgeber, einige Betriebe zu veräußern. Im Zuge der Planungen schloss er mit dem Gesamtbetriebsrat eine weitere Betriebsvereinbarung. Diese sah vor, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem aus dem Jahre 2009 in den Betrieben, die veräußert werden sollten, 24 Stunden vor dem jeweiligen tatsächlichen Betriebsübergang ohne Nachwirkung aufgehoben würde.

Im Folgejahr unterzeichneten der Arbeitgeber und die Gewerkschaft einen Firmentarifvertrag. In ihm erklärte die Gewerkschaft, dass sie über die Entscheidung des Arbeitgebers, Betriebe zu veräußern, informiert worden sei und den hieraus resultierenden Änderungen der Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem aus dem Jahre 2009 zustimme. Wiederum ein Jahr später kam es zum Betriebsübergang.

Übernommene Arbeitnehmer erhalten mehrere hundert Euro weniger Gehalt

Der neue Arbeitgeber zahlte den übernommenen Arbeitnehmern Gehälter, die mehrere hundert Euro unter ihrem Verdienst vor dem Betriebsübergang lagen. Zahlreiche Arbeitnehmer klagten die Vergütungsdifferenzen ein. Sie beriefen sich darauf, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung zum Arbeitsentgelt aus dem Jahre 2009 auch von ihrem neuen Arbeitgeber beachtet werden müsse.

Außerkrafttreten der Betriebsvereinbarung

Dieses Argument war zwar auf den ersten Blick nicht von der Hand zu weisen. Beim neuen Arbeitgeber gab es nämlich weder einen Tarifvertrag noch eine Betriebsvereinbarung zur Vergütung. Deshalb müssten die Regelwerke, die beim alten Arbeitgeber galten, an sich auch für den neuen Arbeitgeber verbindlich sein.

Die Besonderheit des Falles bestand aber darin, dass die beim alten Arbeitgeber geltende Gesamtbetriebsvereinbarung nachträglich befristet worden war. Aufgrund der Befristung war sie 24 Stunden vor dem Betriebsübergang ohne Nachwirkung außer Kraft getreten, also „verschwunden″. Der neue Arbeitgeber machte daher geltend, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung im Zeitpunkt des Betriebsübergangs nicht mehr existiert habe und er sie daher auch nicht habe „erben″ können.

Vorwurf des Rechtsmissbrauchs stand im Raum

Die Arbeitnehmer wiederum wandten ein, das Vorgehen der Betriebs- und Tarifvertragsparteien sei rechtsmissbräuchlich, weil hierin eine Umgehung des § 613a BGB liege. Hierbei ist allerdings Vorsicht geboten: Dass die Gesamtbetriebsvereinbarung nachträglich befristet wurde, kann für sich betrachtet nicht rechtmissbräuchlich sein. Problematisch ist allenfalls, dass diese Befristung mit Blick auf einen sich konkret abzeichnenden Betriebsübergangs erfolgte. Denn dies führte dazu, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung und der Entgelttarifvertrag, die beide bis Ende 2017 unkündbar waren, für die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer bereits 2016 außer Kraft traten.

LAG sieht keinen Rechtsmissbrauch – BAG muss entscheiden

Das LAG Schleswig-Holstein hat einen Rechtsmissbrauch abgelehnt, weil die klagenden Arbeitnehmer bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen solchen Missbrauch dargelegt hätten. Abschließend entscheiden über diese Frage wird nun das BAG, bei dem fünf Revisionsverfahren anhängig sind (Az.: 4 AZR 494/18, 4 AZR 495/18, 4 AZR 500/18, 4 AZR 501/18, 4 AZR 502/18).

Billigt das BAG das Vorgehen der Betriebs- und Tarifvertragsparteien, ist die nachträgliche Befristung kollektiver Entgelt-Regelungen im unmittelbaren Vorfeld eines Betriebsübergangs ein geeignetes Mittel zur Erleichterung von Unternehmenssanierungen. Denn im konkreten Fall wäre die Veräußerung des Betriebs ohne die Absenkung des Vergütungsniveaus voraussichtlich gescheitert.

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Erleichterung für Arbeitgeber: Endlich Rechtssicherheit bei der Urlaubskürzung

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Im vergangenen Jahr musste sich sowohl das Landesarbeitsgericht Hamm als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg mit der Kürzungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) befassen. Die jeweils klagenden Arbeitnehmerinnen waren der Auffassung, die Kürzung ihres Urlaubsanspruchs um 1/12 pro vollen Monat der Elternzeit verstoße gegen Europarecht (LAG Hamm, Urteil v. 31. Januar 2018 – 5 Sa 625/17, sowie LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15. Juni 2018 – 3 Sa 42/18).

Beide Landesarbeitsgerichte konnten keine Europarechtswidrigkeit feststellen, ließen aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu. Der Fall des Landesarbeitsgerichts Hamm wurde jetzt vom Bundesarbeitsgericht rechtskräftig entschieden.

Grundsätzlich besteht Kürzungsrecht des Arbeitgebers

Der jährliche Urlaubsanspruch nach § 1 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) entsteht auch während der Elternzeit, obwohl das Arbeitsverhältnis in dieser Zeit ruht. Nach § 17 Abs. 1 BEEG kann der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch aber für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Dies geht nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer* während der Elternzeit bei seinem Arbeitgeber Teilzeit arbeitet.

In dem nunmehr entschiedenen Fall ging es um eine Assistentin der Geschäftsführung, die vom 1. Januar 2013 bis zum 15. Dezember 2015 durchgehend in Elternzeit war. Nach der Rückkehr aus der Elternzeit kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. März 2016 zum 30. Juni 2016 und beantragte die Gewährung ihres Resturlaubs. Der Arbeitgeber erteilte ihr vom 4. April 2016 bis 2. Mai 2016 Urlaub, lehnte aber die Gewährung des auf die Elternzeit entfallenden Urlaubs ab.

Mit ihrer Klage machte die Assistentin die Abgeltung von 89,5 Urlaubstagen aus 2013 bis 2015, d.h. aus dem Zeitraum ihrer Elternzeit geltend. Wie schon das Arbeitsgericht Detmold in der ersten Instanz und das Landesarbeitsgericht Hamm in der Berufung wies auch das Bundesarbeitsgericht die Klage ab.

Kürzungswunsch muss erkennbar sein

Möchte der Arbeitgeber von der Kürzungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch machen, muss er dies dem Arbeitnehmer mitteilen und diese Erklärung muss dem Arbeitnehmer auch zugehen. Die Mitteilung ist an keine bestimmte Form gebunden, eine Dokumentation gegen Empfangsquittung ist indes zu empfehlen. Im Streitfall muss der Arbeitgeber nämlich den Zugang der Erklärung beweisen.

Nicht erforderlich ist, dass sich der Arbeitgeber ausdrücklich auf sein Kürzungsrecht oder gar § 17 Abs. 1 BEEG bezieht. Es genügt vielmehr, wenn der Arbeitgeber in seiner Mitteilung erkennen lässt, dass er von der Kürzungsmöglichkeit Gebrauch machen will, etwa weil er die Gewährung des auf die Elternzeit entfallenden Urlaubs schlicht ablehnt.

Kürzungsrecht erfasst auch vertraglichen Mehrurlaub

Das Bundesarbeitsgericht stellt ferner klar, dass die Kürzungsmöglichkeit auch den übergesetzlichen Urlaub erfasst. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Arbeitsvertragsparteien für den vertraglichen Mehrurlaub eine von § 17 Abs. 1 BEEG abweichende Regelung vereinbart haben und eine Kürzungsmöglichkeit für den vertraglichen Mehrurlaub ausschließen oder im Vergleich zu § 17 Abs. 1 BEEG reduzieren. Dies ist jedoch aktuell unüblich. Gleiches dürfte im Übrigen für tariflichen Mehrurlaub gelten.

Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs mit Europarecht vereinbar

Die Kürzung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs verstößt nach Auffassung des Bundearbeitsgerichts nicht gegen Europarecht und zwar weder gegen den Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Art. 7 der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88/EG noch gegen § 15 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub im Anhang der Richtlinie 2010/18/EU.

Das Bundesarbeitsgericht bezieht sich auf eine vom Europäischen Gerichtshof ergangene Entscheidung vom 4. Oktober 2018 (Az. C-12/17). Dort ging es um eine Norm aus dem rumänischen Recht, wonach bei der Berechnung des Urlaubsanspruchs Zeiten des Elternurlaubs (rumänisches Pendant zur deutschen Elternzeit) nicht mit eingerechnet werden. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs ist es europarechtskonform, bei der Berechnung von Urlaubsansprüchen ausschließlich Zeiträume zu berücksichtigen, in denen tatsächlich gearbeitet wurde. Zeiten eines Elternurlaubs seien solchen Zeiten nicht gleichzustellen und unterschieden sich insoweit auch von Zeiten der Krankheit oder des Mutterschaftsurlaubs.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts transferiert die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ins deutsche Recht. Arbeitnehmer, die im Urlaubsjahr wegen Elternzeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet waren, müssen daher Arbeitnehmern, die tatsächlich gearbeitet haben, nicht gleichgestellt werden. Ihr Urlaub darf daher gekürzt werden.

Folgen für die Praxis: Kürzung von Urlaubsansprüchen um 1/12 pro Monat möglich

Arbeitgeber, die Urlaubsansprüche um 1/12 pro vollen Monat der Elternzeit kürzen möchten, können dies nun rechtssicher durch entsprechende Erklärung gegenüber dem jeweiligen Arbeitnehmer tun. Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19. März 2019 sind die Unsicherheiten in Bezug auf dieses gesetzliche Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 BEEG beseitigt worden. Es ist nicht zu erwarten, dass das Bundesarbeitsgericht in dem noch anhängigen Revisionsverfahren (Az. 9 AZR 432/18) zu einer anderen Entscheidung kommen wird.

Wichtig ist, dass der Arbeitgeber die Kürzungserklärung jedenfalls vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgibt, da § 17 Abs. 1 BEEG auf den Urlaubsabgeltungsanspruch keine Anwendung findet (vgl. BAG, Urteil v. 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13). Unerheblich hingegen ist, ob die Erklärung vor, während oder nach Beendigung der Elternzeit abgegeben wird.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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BVerfG zum „Streikbrecherverbot“ gem. § 11 Abs. 5 AÜG

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Die AÜG-Reform 2017 ist beim BVerfG angekommen. Am 25. Februar 2018 hat das Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Verbot, Zeitarbeitnehmer* während eines Arbeitskampfes beim Kunden als „Streikbrecher“ einzusetzen (vgl. § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG), abgelehnt (Az. 1 BvR 842/17).

§ 11Abs. 5 S. 1 AÜG enthält in seiner neuen Fassung das Verbot, Zeitarbeitnehmer zu beschäftigen, wenn der Entleiherbetrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Eine Ausnahme gilt nach § 11 Abs. 5 S. 2 AÜG, wenn Zeitarbeitskräfte keine Tätigkeiten übernehmen, die bisher von Streikenden übernommen wurden. Die Verletzung der angegriffenen Regelungen ist zusätzlich bußgeldbewehrt (§ 16 Abs. 1 Nr. 8a, Abs. 2 AÜG: bis zu EUR 500.000 für den Kunden).

Bei einem Verstoß von Personaldienstleistern gegen das Verbot drohen erlaubnisrechtliche Konsequenzen (z.B. Auflagen, Widerruf der Erlaubnis mangels Zuverlässigkeit gem. § 5 AÜG). Zeitarbeitskräfte dürfen also nicht auf mittelbar oder unmittelbar streikbetroffenen Arbeitsplätzen tätig werden, während der Betrieb des Kunden bestreikt wird. Der Gesetzgeber will mit der Bestimmung die Position von Zeitarbeitskräften stärken und eine missbräuchliche Einwirkung auf Arbeitskämpfe unterbinden (BT-Drucksache 18/9232, S. 27 f.).

Arbeitgeberin sieht Streikbrecherverbot als Eingriff in Unternehmerfreiheit

Die Beschwerdeführerin ist Arbeitgeberin in der Unterhaltungsindustrie. Sie betreibt bundesweit Filmtheater. Im Jahr 2012 schlossen die Beschwerdeführerin und weitere Unternehmen der Unternehmensgruppe erstmals Mantel- und Entgeltfirmentarifverträge ab, die von der Gewerkschaft zum Ende des Jahres 2016 gekündigt wurden. Der im Januar 2017 geschlossene Entgelttarifvertrag wurde seitens der Gewerkschaft fristgemäß zum 28. Februar 2019 gekündigt. Während der Arbeitskämpfe in den Jahren 2012 und 2017 setzte die Beschwerdeführerin auf den streikbetroffenen Arbeitsplätzen Leiharbeitskräfte ein.

Die Beschwerdeführerin hat Verfassungsbeschwerde erhoben und diese sodann mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung verbunden. Sie rügt eine Verletzung von Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Sie sei von der angegriffenen Norm unmittelbar und gegenwärtig betroffen, da Arbeitskämpfe zu erwarten seien, für die sie disponieren müsse. Ihr sei kein anderer Rechtsweg eröffnet, um sich zumutbar gegen das Verbot in § 11 Abs. 5 AÜG zur Wehr zu setzen. Die Regelung verletze sie in ihren Grundrechten. Das Verbot, auf Arbeitskampfmaßnahmen mit dem Einsatz von Zeitarbeitskräften zu reagieren, schränke sie in der Wahl der Kampfmittel und damit in der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit als Koalition in unverhältnismäßiger Weise ein. Es handele sich um einen Eingriff in die Unternehmerfreiheit, der nicht durch das Allgemeinwohl gerechtfertigt sei.

BVerfG: Streikbrecherverbot bleibt vorerst bestehen

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde vom BVerfG abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG lägen nicht vor. Aufgrund der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung sei ein strenger Maßstab anzusetzen.

Der Eilantrag sei jedenfalls unbegründet, da keine erheblichen Nachteile erkennbar seien. Die Richter verweisen unter anderem auf die Möglichkeit, eigene arbeitswillige Arbeitskräfte oder zu diesem Zweck befristet eingestellte Kräfte oder aber Drittpersonal im Rahmen eines Werkvertrags mit anderen Unternehmen („Outsourcing“) einzusetzen.

Entscheidung über Verfassungskonformität des Streikbrecherverbot aufgeschoben, noch nicht aufgehoben

Das BVerfG hat mit der Entscheidung allerdings nicht die Verfassungskonformität von § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG bestätigt (oder negiert), sondern aufgrund der im Rahmen der einstweiligen Anordnung zu treffenden Abwägung lediglich festgestellt, dass die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Erwägungen nicht hinreichend waren, um das Pendel eindeutig zu deren Gunsten und damit zu Gunsten des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung ausschlagen zu lassen, nach der § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG zunächst hätte unangewendet bleiben müssen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Anforderungen an eine einstweilige Anordnung, die zur Aussetzung eines Gesetzes führen kann, außerordentlich hoch sind und das Gericht sehr streng prüft.

Das BVerfG hat jedoch klar eine Grundrechtsbetroffenheit der Beschwerdeführerin bestätigt und ergänzend formuliert, dass die Verfassungsbeschwerde

weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist. Eine Verletzung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit sowie der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten beruflichen und wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit der Beschwerdeführerin ist jedenfalls nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen.

Es bleibt also das Hauptsacheverfahren, nämlich die eingelegte Verfassungsbeschwerde, und dessen Ergebnis abzuwarten, ob der Gesetzgeber durch die in der Tat eingriffsintensive Regelung in § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG seine Kompetenzen überdehnt und damit in nicht gerechtfertigter Art und Weise grundrechtlich geschützte Positionen verletzt hat. Karlsruhe dürfte sich die Entscheidung nicht leicht machen – dies ist aus dem vorliegenden Beschluss bereits ersichtlich.

Die unmittelbare Konsequenz des Beschlusses des BVerfG ist, dass § 11 Abs. 5 S. 1, 2 AÜG weiter anzuwenden ist. Das strenge „Streikbrecherverbot“ von Zeitarbeitnehmern bei einem Arbeitskampf im Betrieb des Kunden gilt also (zunächst) uneingeschränkt weiter.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der März-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Online Krankschreibung ohne Untersuchung: Beweiskraft der AU-Bescheinigung beeinträchtigt

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Durch die mediale Berichterstattung ist in den vergangenen Wochen ein Service eines Hamburger Start-ups in den Fokus geraten, welches die Ausstellung online beantragter AU-Bescheinigungen ermöglicht, ohne dass der Arbeitnehmer persönlich von einem Arzt untersucht wurde.

Während Ärztevertreter medizin- und datenschutzrechtliche Bedenken äußern und bezweifeln, ob die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit ohne persönliche Untersuchung rechtlich überhaupt zulässig ist, stellt sich für Arbeitgeber die Frage, wie sie reagieren können, wenn ihnen eine solche AU-Bescheinigung vorgelegt wird.

Online Krankschreibung via WhatsApp

Das Angebot des Hamburger Unternehmens ermöglicht es Arbeitnehmern, aus vorgegebenen Erkältungssymptomen die bestehenden Beschwerden auszuwählen und die erwartete Krankheitsdauer anzugeben. Nachdem die Patientendaten per WhatsApp übermittelt wurden, erhält der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung zunächst digital ebenfalls per WhatsApp, aber auch im Original per Post zugesandt.

Während im gesetzlichen Normalfall – Nachweis der Arbeitsunfähigkeit nach dem dritten Kalendertag – die Vorlage des Originals unproblematisch möglich ist, sieht dies jedoch anders aus, wenn der Arbeitgeber die frühere Vorlage entsprechend § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG verlangt. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer die Bescheinigung je nach Verlangen des Arbeitgebers bereits am ersten Tag vorlegen. Das Original wird dem Arbeitnehmer per Post übersandt, und dürfte daher erst nach ein bis zwei Werktagen bei dem Arbeitnehmer eintreffen. Der Arbeitnehmer hat also nur die Möglichkeit, dem Arbeitgeber zunächst die digitale Version zur Verfügung zu stellen.

Arbeitgeber kann digitale Vorlage der AU-Bescheinigung kaum verweigern

Dieses Vorgehen wäre dann unproblematisch, wenn der Arbeitnehmer gar nicht verpflichtet ist, die AU-Bescheinigung in Schriftform vorzulegen. Obwohl § 5 EFZG sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich äußert, wird aber genau diese Schriftform überwiegend gefordert. Abgestellt wird entweder auf den Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG („Bescheinigung“, „vorzulegen“) oder aber auf die besondere Nachweisfunktion der Bescheinigung.

Weil es aber im Falle des früheren Verlangens nach § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG nicht nur bei Nutzung des neuen Angebots, sondern auch im „Normallfall“ regelmäßig aus praktischen Gründen nicht möglich sein wird, das Original noch am selben Tag vorzulegen, wird man in dieser Situation wohl eine Ausnahme machen müssen. Dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers wird auch dadurch Genüge getan, dass zunächst eine digitale Version der Bescheinigung übersendet und nachträglich das Original vorgelegt wird, sodass er sich von dessen Echtheit überzeugen kann.

Nutzung von WhatsApp ist nicht zu empfehlen

Dem Arbeitnehmer wird die AU-Bescheinigung per WhatsApp zugesandt. Arbeitgeber jedoch sollten darauf bestehen, dass die Vorlage nicht auf diesem Wege, sondern per E-Mail erfolgt.

Nutzen Arbeitgeber auf Firmenhandys WhatsApp, so besteht das Risiko datenschutzrechtlicher Sanktionen. WhatsApp greift nämlich auf die Daten im Telefonbuch des Nutzers zu und übermittelt diese an den Firmenserver in den USA. Für diese Übermittlung muss der Arbeitgeber jedoch regelmäßig die Einwilligung der betroffenen Kontakte einholen, sofern diese nicht selbst Nutzer von WhatsApp sind. Durch die Übersendung per E-Mail können Arbeitgeber das Risiko vermeiden, dass mangels Rechtsgrundlage für die Übermittlung ein Datenschutzverstoß vorliegt.

Online Krankschreibung: Beweiskraft der AU-Bescheinigung ist beeinträchtigt

AU-Bescheinigungen dienen dazu, die Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nachzuweisen. Auch Gerichte verlassen sich grundsätzlich auf deren Richtigkeit, da der Arbeitnehmer durch einen Arzt untersucht wurde, der sich selbst ein Bild über die Arbeitsfähigkeit machen muss. Dieser hohe Beweiswert wird jedoch beeinträchtigt, wenn vor der Ausstellung der Bescheinigung gar keine persönliche Untersuchung des Arbeitnehmers erfolgte.

Dies hat das BAG bereits 1976 entschieden (Urteil v. 11. August 1976 – 5 AZR 422/75). In dem streitigen Fall wurde eine Bescheinigung ausgestellt, obwohl lediglich die Ehefrau des Arbeitnehmers diesen telefonisch bei dem behandelnden Arzt krankmeldete. Fehlt eine vorherige Untersuchung, so könne die Bescheinigung allein die Arbeitsunfähigkeit nicht beweisen, stattdessen müsse der Arbeitnehmer diesen Beweis mittels anderer Beweismittel erbringen.

Arbeitgeber kann Arbeitsunfähigkeit in Zweifel ziehen

Erfährt der Arbeitgeber also von der fehlenden Untersuchung, und kann er diese auch beweisen, so ist im Streitfall der Arbeitnehmer an der Reihe, die Arbeitsunfähigkeit anderweitig nachzuweisen. Der Arbeitgeber hat dann insbesondere die Möglichkeit, die Entgeltfortzahlung zu verweigern, bis der Arbeitnehmer diesen Nachweis erbracht hat. Geht der Arbeitgeber davon aus, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat, kann er auch zu arbeitsrechtlichen Sanktionen greifen.

Oftmals wird der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der fehlenden Untersuchung, sondern allgemein Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben. In diesen Zweifelsfällen kann der Arbeitgeber von der Krankenkasse verlangen, den Medizinischen Dienst mit einem Gutachten über die Arbeitsunfähigkeit zu beauftragen (§ 275 Abs. 1a S. 3 SGB V). Verweigert der Arbeitnehmer die Mitwirkung an der Begutachtung oder die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht, kann dies im Streitfall ebenfalls gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen.

Ein weiteres Indiz ist, wenn die AU-Bescheinigung von einem Arzt ausgestellt wurde, der eine besonders große Zahl von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt. Da der Hamburger Service soweit ersichtlich nur über einen oder zwei Ärzte verfügt, dürfte dies hier auch gegeben sein.

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Merkblatt für Zeitarbeitnehmer aktualisiert

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Gem. § 11 Abs. 2 AÜG hat der Personaldienstleister dem Zeitarbeitnehmer bei Abschluss des Arbeitsvertrages das von der BA herausgegebene Merkblatt über den wesentlichen Inhalt des AÜG auszuhändigen. Dieses ist jüngst von der Erlaubnisbehörde angepasst und aktualisiert worden (Fassung: 3/2019). Die Änderungen betrafen dabei u.a. die Ausführungen zur Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit.

Falsche Hinweise im Merkblatt für Zeitarbeitnehmer

Die Änderungen sind mit Blick auf die Geltung von Ausschlussfristen nicht überzeugend bzw. ungenau, wenn nicht sogar falsch. In dem Merkblatt wird behauptet, dass Ausschlussfristen den Anspruch auf Vergütung in Höhe der Lohnuntergrenze nicht erfassen sollen. Dies ist auf Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest streitbar, da das BAG den gesetzlichen Mindestlohn und wohl auch Mindestentgelte aus Rechtsverordnungen dann nicht dem Anwendungsbereich einer Ausschlussfrist unterwerfen möchte, wenn der Arbeitsvertrag vor dem Inkrafttreten der Rechtsgrundlage, aus der sich der Mindestlohn-/Mindestentgeltanspruch ergibt, abgeschlossen worden ist (vgl. BAG v. 18.09.2018 – 9 AZR 162/18). In dem Merkblatt wird allerdings suggeriert, dass Ausschlussfristen in jedem Fall und damit absolut unwirksam sein sollen, was schlichtweg nicht richtig ist.

Zeitarbeitsunternehmen sollten Merkblatt dennoch verwenden

Dennoch sollten Zeitarbeitsunternehmen das neue Merkblatt ab sofort verwenden, selbst wenn Vorbehalte gegen dessen inhaltliche Ausgestaltung bestehen. Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 2 AÜG stellt nämlich eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einem Bußgeld von bis zu EUR 1.000,00 geahndet werden kann (§ 16 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 AÜG).

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der März-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

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Acqui-Hire - Know-how auf Knopfdruck für die Automobilbranche?

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Die Digitalisierung bringt in vielen Industriezweigen das bisherige Geschäftsmodell ins Wanken. Die Automobilbranche bildet hierbei keine Ausnahme und muss sich unter anderem auf die Herausforderungen der Elektromobilität sowie des vernetzten und autonomen Fahrens einstellen.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen benötigen die Unternehmen spezialisiertes Know-how und hochqualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter. Sie sind der Schlüssel zu Innovationen und treiben die Digitalisierung voran. Das Fördern und Entwickeln eigener Talente im Unternehmen braucht Zeit, die gerade in der Automobilbranche wegen des rasanten technologischen Wandels und des hohen Konkurrenzdrucks nicht zur Verfügung steht. Innovative und hochqualifizierte Mitarbeiter lassen sich eben nicht auf Knopfdruck beschaffen – oder doch?

Acqui-Hire bietet die Möglichkeit, hochqualifizierte, ideenreiche und spezialisierte Teams von Mitarbeitern „auf einen Schlag″ in das eigene Unternehmen zu holen. Acquisition und Hiring in einem Vorgang, kurz Acqui-Hire, bedeutet die gezielte Übernahme aller oder eines Teils der Mitarbeiter eines Unternehmens, um diese im Unternehmen des Erwerbers anzustellen. Der Zukauf ganzer Teams von hochqualifizierten Mitarbeitern gewinnt als Mittel der schnellen und effektiven Talentbeschaffung immer mehr an Bedeutung.

Vorteile und Herausforderungen eines Acqui-Hire in der Automobilbranche

Mit Acqui-Hire entfällt das langwierige und oft kostspielige Anwerben einzelner Mitarbeiter. Das Team ist zudem mit den selbst entwickelten Technologien vertraut, was den Wissenstransfer in das Unternehmen erleichtert; eine langwierige Einarbeitungsphase erübrigt sich. In der oft sehr strukturierten und prozessorientierten Gedankenwelt eines (Konzern-)Unternehmens kann die Arbeits- und Denkweise eines Start-up-Teams außerdem für neue Impulse sorgen und im Ergebnis eine positive Disruption der bisherigen Arbeitsweisen auslösen. Start-ups können ihrerseits über ein Acqui-Hire das eigene Geschäftsmodell weiterentwickeln und mit dem finanziellen und organisatorischen Potenzial eines etablierten Unternehmens neue (komplementäre) Märkte und Technologien erschließen.

Die größte Chance eines Acqui-Hire ist zugleich auch die größte Herausforderung: Die positive Disruption der Arbeitsabläufe und Strukturen, die ein Start-up-Team im Unternehmen auslösen kann, führt unweigerlich auch zu einem „clash of cultures“. Der Erwerber, meist ein Konzern mit etablierten Strukturen, einem gewissen Sicherheitsdenken und M&A-Erfahrung, trifft bei einer Acqui-Hire Transaktion auf Tech-Start-ups, die weit weniger prozessgesteuert aufgestellt und mit Unternehmenstransaktionen meist nicht vertraut sind. Es empfiehlt sich daher, sich die Unterschiede in den Unternehmenskulturen bewusst zu machen und diesen offen zu begegnen. So wird nicht nur die Durchführung der Transaktion bis zum Closing einfacher. Auch die Integration des Start-ups und die Mitarbeiterbindung nach der Übernahme des Start-ups werden erleichtert.

Acqui-Hire-Transaktion: Share-Deal oder Asset Deal

Ist die Entscheidung für ein Acqui-Hire gefallen, stellt sich die Frage, ob die Teams über einen Kauf der Unternehmensanteile (Share Deal) oder der Wirtschaftsgüter des Unternehmens (Asset Deal) übergehen sollen.

Ist der Erwerber nicht nur an den Mitarbeitern und dem Know-how des Start-ups interessiert, kann ein Acqui-Hire in Form eines Share Deals vorteilhafter sein. Das gilt vor allem dann, wenn wichtige Vertragsbeziehungen mit auf den Erwerber übergehen sollen und die Zustimmung der Vertragspartner, die bei einem Asset Deal erforderlich ist, nicht eingeholt werden kann oder soll. Liegt das Augenmerk des Erwerbers hingegen ausschließlich auf den Mitarbeitern, ist der Asset Deal gegenüber dem Share Deal vorzugswürdig. Dies gilt umso mehr, wenn lediglich ein organisatorisch verselbständigter Teil des Teams auf den Erwerber übertragen werden soll.

Intellectual Property: Sicherung des geistigen Eigentums

Geradezu typisch für Acqui-Hire-Transaktionen ist, dass sich der Erwerber das innovative geistige Eigentum des Start-ups sichern und dieses für sich selbst nutzbar machen will. Doch Vorsicht: nicht jede Marke, nicht jedes Patent oder sonstiges gewerbliche Schutzrecht steht auch immer dem Start-up selbst zu. Um böse Überraschungen zu vermeiden sollte im Rahmen der Due Diligence daher genau geprüft werden, ob tatsächlich das Start-up Inhaber des jeweiligen Schutzrechts ist oder ob dieses nicht vielmehr einem Dritten (z.B. einzelnen Mitarbeitern oder einem Endkunden) zusteht.

Soweit der Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung eine patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindung macht, steht ihm diese nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz grundsätzlich auch zu. Der Arbeitgeber kann sich die Erfindung des Mitarbeiters allerdings durch eine entsprechende Erklärung zu eigen machen. In diesem Fall erwirbt der Arbeitgeber sämtliche Verwertungsrechte an der Erfindung, ist aber zugleich verpflichtet, dem Mitarbeiter einen wirtschaftlichen Ausgleich zu leisten. Die Ausgleichszahlung fällt dabei solange an, wie die Erfindung Wirkung entfaltet und vom Arbeitgeber genutzt wird. Dass aufgrund der Acqui-Hire-Transaktion womöglich zwischenzeitlich ein Arbeitgeberwechsel stattgefunden hat, ist dabei nicht von Belang. Denn dann ist der Erwerber zur fortlaufenden Entrichtung der Ausgleichszahlung verpflichtet.

Anders ist die Lage im Anwendungsbereich des Urheberrechtsgesetzes. Wird vom Mitarbeiter bei Wahrnehmung der betrieblichen Aufgaben oder nach Anweisung des Arbeitgebers ein urheberrechtlich geschütztes Werk geschaffen, sind die Rechte hieran allein dem Arbeitgeber zugewiesen. Eine neben die Grundvergütung tretende, gesonderte Entschädigung kann der Arbeitnehmer hierfür nicht beanspruchen. Vom Schutz des Urheberrechts umfasst sind insbesondere Computerprogramme, deren Entwicklung und Fortführung von Tech-Start-ups schwerpunktmäßig betrieben werden.

Die unterschiedliche Behandlung schöpferischer Arbeitsergebnisse der Belegschaft sowie die hieraus folgenden rechtlichen Konsequenzen sind bei Start-ups oftmals nicht in ein standardisiertes Verfahren eingebettet. Mit den klar geregelten Zuständigkeiten und Prozessabläufen sowie den für die „Verwaltung″ gewerblicher Schutzrechte bereitgestellten Ressourcen in großen Unternehmen der Automobilindustrie ist die Lage in Start-ups häufig nicht vergleichbar. Auch ist in Start-ups zwar häufig der Umstand klar, dass Erfindungen gemacht oder Urheberrechte hervorgebracht wurden, es fehlt aber an einer eindeutigen Zuordnung des diesbezüglichen Verwertungsrechts (z.B. weil dieses an einen Endkunden des Start-ups abgetreten wurde). All diese Aspekte müssen im Rahmen einer Acqui-Hire-Transaktion – insbesondere im Rahmen der erwerberseitigen Due Diligence – berücksichtigt werden.

Mitarbeiter halten und an die Zielgesellschaft binden (Employee Retention)

Die Acqui-Hire-Transaktion kann ihren Zweck gänzlich verfehlen, wenn die Mitarbeiter des Start-ups den Erwerber ablehnen und vom Eigentümerwechsel insgesamt nicht überzeugt sind. Denn dann droht die Gefahr, dass die Mitarbeiter – und damit die wesentlichen Know-how-Träger des Targets – abwandern und ihr Glück andernorts suchen. Um dem vorzubeugen, können in den Vertragswerken der High-Potentials verschiedene Regelungen getroffen werden.

So können etwa mit Schlüsselmitarbeitern längere beidseitige Kündigungsfristen vereinbart werden. Auch die Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote, die dem Mitarbeiter nach Ende des Arbeitsverhältnisses für eine Maximaldauer von zwei Jahren die Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen untersagen, kommt als Mittel der Mitarbeiterbindung in Betracht. Wegen der zu zahlenden Karenzentschädigung sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote aber teuer. Auch kann mit einem solchen Verbot nur die Beschäftigung bei einem Konkurrenzunternehmen verhindert werden – der Abwanderung von Mitarbeitern zu einem branchenfremden Arbeitgeber steht das nachvertragliche Wettbewerbsverbot also gerade nicht entgegen.

Größter „Haken″ vertraglicher Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung ist aber, dass diese von der Mitwirkung des Mitarbeiters abhängen und ihm nicht gegen seinen Willen aufgezwängt werden können.

Bei der Mitarbeiterbindung sind neben rechtlichen Maßnahmen, die die Abwanderung erschweren sollen, auch zahlreiche weitere Faktoren entscheidend. So müssen gerade die für die Automobilbranche so wichtigen Mitarbeiter im technischen Bereich die Möglichkeit haben, sich im Job weiterzuentwickeln und ihre Fähigkeiten stetig auszubauen, um mit dem technologischen Wandel Schritt halten zu können. Flexible Arbeitszeitmodelle werden in manchen Branchen von den Mitarbeitern fast schon vorausgesetzt und auch die Automobilbranche kann sich dem Wunsch nach mehr Arbeitszeitsouveränität nicht verschließen – gibt sich der Erwerber hier „altmodisch″, ist das für viele High-Potentials ein absolutes No-Go. Die realistische Aussicht, die Karriereleiter aufsteigen zu können, ist ebenfalls wichtiges Argument für den langfristigen Verbleib der Mitarbeiter im Unternehmen.

Zudem können monetäre Aspekte eine Rolle spielen. So kann der Erwerber mit sog. Retention Boni, deren Auszahlung vom Verbleib im Unternehmen bis zu einem bestimmten Stichtag abhängt, eine Bindungswirkung erzeugen. Längerfristig kommt auch die Ausgabe von Unternehmensaktien an Schlüsselmitarbeiter in Betracht, die auf diese Weise an der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens partizipieren und sich mit diesem so noch besser identifizieren.

Insgesamt gilt es aus Erwerbersicht, frühzeitig die Interessen und Prioritäten der High-Potentials in Erfahrung zu bringen, um durch geeignete rechtliche und tatsächliche Maßnahmen deren Verbleib im Unternehmen zu sichern.

Vereinheitlichungsprozesse nach der Transaktion (Post-Merger-Integration)

Für die Parteien beginnt nach dem Closing die Phase der Post-Merger-Integration, die den langfristigen Erfolg oder Misserfolg der Acqui-Hire-Transaktion entscheidend mitbestimmt. Bereits während der Transaktion treten die Unterschiede in der Unternehmenskultur und Arbeitsweise der Parteien deutlich zu Tage.

Im Rahmen der Due Diligence und in der Verhandlungsphase gilt es, die Unterschiede zu erkennen und Wege zu finden, diese zu überbrücken. Hierfür müssen alle Parteien frühzeitig an Konzepten und Ideen für die Phase der Post-Merger-Integration arbeiten und auch ihre gegenseitigen Erwartungen für die Zusammenarbeit unmittelbar nach Closing anpassen. Hierbei kann es aus Sicht des Erwerbers vorteilhaft sein, das Start-up-Team nicht unmittelbar vollständig in die eigenen Unternehmensstrukturen zu integrieren. Ein größeres Maß an Unabhängigkeit des Start-up-Teams gerade in der Anfangsphase der Integration kann dazu beitragen, das gewünschte Innovationspotenzial langfristig zu erhalten.

Fazit: Acqui-Hire bietet der Automobilbranche großes Potential

Acqui-Hire-Transaktionen bieten Erwerbern erhebliches Potential, gerade auch im Automotive Bereich. Die optimale Ausschöpfung dieses Potentials setzt aber eine gute Vorbereitung der Transaktion sowie einige „Folgearbeiten″ nach deren Vollzug voraus (Stichwort: Post-Merger-Integration). Wesentliches Augenmerk ist erwerberseitig dabei auf die Belegschaft des zu akquirierenden Start-ups sowie dessen geistiges Eigentum zu legen. Hat der Erwerber kein stimmiges Konzept mit Blick auf die Mitarbeiterbindung sowie die Sicherung der relevanten gewerblichen Schutzrechte, kann schon das die Transaktion zum Scheitern verurteilen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie „M&A im Zeichen des Wandels der Automobilindustrie“. Erschienen sind Beiträge zur M&A und DSGVO – Wirtschaftssektoren in der digitalen Transformation″, zu der „Automobilbranche in China″ sowie Tipps zur Automotive M&A in unberechenbaren Zeiten.

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Lohnpfändung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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Bereits dargestellt haben wir die Lohnpfändung im laufenden Arbeitsverhältnis. Dieser Beitrag betrifft den Fall, dass dem Arbeitgeber der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt wird und in diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis bereits gekündigt ist oder demnächst gekündigt werden soll.

Pfändung ist auch noch nach Kündigung möglich

Grundsätzlich gilt: Gläubiger können die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auch pfänden, wenn das Arbeitsverhältnis bereits gekündigt ist.

Beispiel 1: Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer* am 4. April das Kündigungsschreiben ausgehändigt. Es handelt sich um eine ordentliche Beendigungskündigung. Da die Kündigungsfrist einen Monat zum Monatsende beträgt, endet das Arbeitsverhältnis am 31. Mai. Vorher, am 15. April, wird dem Arbeitgeber ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. In diesem heißt es, gepfändet würden alle Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis.

In dem Beispiel erstreckt sich die Pfändung auf alle Ansprüche des Arbeitnehmers, die nach dem 15. April fällig werden (§ 832 ZPO). Enthält der Arbeitsvertrag keine abweichende Regelung, wird der Anspruch auf das Arbeitsentgelt am letzten Tag eines jeden Monats fällig (§ 614 BGB). Damit sind die pfändbaren Lohnbestandteile für April und Mai gepfändet.

Vergleich mit Arbeitnehmer ist trotz Pfändung möglich

Auch wenn eine Lohnpfändung vorliegt, kann der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer einen Vergleich schließen.

Beispiel 2: Der Arbeitnehmer aus dem Beispiel 1 erhebt Kündigungsschutzklage. Der Gütetermin findet, weil er wegen der allgemeinen Urlaubszeit mehrmals verlegt werden musste, erst am 3. August statt. Im Termin schließen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einen Vergleich. Er sieht vor, dass die Kündigungsfrist um zwei Monate verlängert wird, das Arbeitsverhältnis also erst am 31. Juli geendet hat.

Dieser Vergleich ist problemlos möglich. Die Zustimmung des Gläubigers, der die Pfändung erwirkt hat, ist nicht erforderlich. Der Arbeitgeber sollte dem Gläubiger jedoch die Eckpunkte des Vergleichs mitteilen. Denn die Pfändung erstreckt sich auf alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, und durch den Vergleich sind neue Ansprüche hinzugekommen, nämlich zwei Monatsgehälter. Die Mitteilung des Arbeitgebers an den Gläubiger stellt eine Ergänzung seiner Drittschuldner-Auskunft dar.

Pfändungsfreibeträge gelten für jeden Monat

Ein Teil des Arbeitsentgelts ist unpfändbar. Nur der darüber hinaus gehende Betrag ist pfändbar. Die Pfändungsfreibeträge sollen gewährleisten, dass der Arbeitnehmer trotz der Pfändung noch so viel Geld erhält, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie zu bestreiten. Die Frage ist nun, wie die Pfändungsfreibeträge zu berechnen sind, wenn Gehalt für mehrere Monate als Einmalbetrag nachgezahlt wird.

Beispiel 3: Der Arbeitnehmer hat einen unterhaltsberechtigten Angehörigen. Aus seiner Brutto-Vergütung errechnet sich ein monatliches Netto-Gehalt von EUR 1.700. Nach dem Vergleich (oben Beispiel 2) werden im August die Gehälter für Juni und Juli in Höhe von insgesamt netto EUR 3.400 (zweimal EUR 1.700) ausgezahlt.

In solchen Fällen stehen Arbeitgeber oft vor der Frage, ob bei Berechnung des pfändbaren Betrages vom monatlichen Arbeitsentgelt oder von dem gezahlten Einmalbetrag auszugehen ist. Ginge man von dem Einmalbetrag aus, wären im Beispiel 3 (1 unterhaltsberechtigter Angehöriger, Einmalzahlung von netto EUR 3.400) EUR 2.480,25 unpfändbar und EUR 919,75 pfändbar. Dieser Berechnungsweise ist allerdings vom BGH eine Absage erteilt worden (Beschl. v. 25. Oktober 2012 – VII ZB 31/12; Beschl. v. 24. Januar 2018 – VII ZB 27/17): 

[Werden] Leistungen für mehrere Monate in einem Zahlbetrag zusammengefasst […], sind die Einzelbeträge […] für die Berechnung des pfandfreien Betrages dem Leistungszeitraum zuzurechnen, für den sie gezahlt werden.

Dies bedeutet, dass die pfändungsfreien Beträge für jeden Monat separat bestimmt werden müssen. Im Beispiel 3 ist also der Lohn für jeden Monat in einen unpfändbaren und einen pfändbaren Teil zu zerlegen. Von jedem Monatslohn von netto EUR 1.700 sind bei einem unterhaltsberechtigten Angehörigen EUR 1.630,25 unpfändbar und EUR 69,75 pfändbar.

Der Unterschied ist beachtlich: Bei dieser Berechnungsweise erhält der Gläubiger, der die Pfändung erwirkt hat, von zwei Monatslöhnen insgesamt nur EUR 139,50 (nämlich zweimal EUR 69,75). Nach der anderen Berechnungsweise erhielte er EUR 919,75.

Abfindung ist mitgepfändet

Wenn es im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss heißt, gepfändet würden alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, ist eine Abfindung mitgepfändet, auch wenn sie erst nach der Zustellung des Beschlusses vereinbart wird. Die Besonderheiten, die für die Abfindung gelten, werden wir demnächst in einem eigenen Blog-Beitrag darstellen.

Pfändung gilt auch für binnen neun Monaten begründetes neues Arbeitsverhältnis

Eine wichtige Vorschrift sollten Arbeitgeber kennen: Endet das Arbeitsverhältnis und begründen Arbeitnehmer und Arbeitgeber innerhalb von neun Monaten ein neues Arbeitsverhältnis, so erstreckt sich die Pfändung auch auf die Forderungen aus dem neuen Arbeitsverhältnis (§ 833 ZPO). Wurde das Arbeitsverhältnis beispielsweise nur beendet, um dem Arbeitnehmer eine Weltreise zu ermöglichen, und kehrt der Arbeitnehmer binnen neun Monaten zum Arbeitgeber zurück, lebt der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wieder auf.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Recht auf Arbeit im Homeoffice – Bald gesetzlich geregelt?

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Nach derzeitiger Planung des BMAS scheint ein gesetzlich verankertes Recht auf Homeoffice-Arbeit nicht ausgeschlossen. Wie der Spiegel unter Bezugnahme auf Björn Böhning, Staatssekretär im BMAS, Anfang Januar berichtete, sollen Arbeitnehmer dabei jedoch kein „Recht“ im Sinne eines schrankenlosen Anspruchs auf Homeoffice-Arbeit erhalten. Vielmehr soll der Arbeitgeber ein entsprechendes Begehren des Mitarbeiters – unter hinreichender Begründung – auch ablehnen können.

Potentielles Vorbild: „Wet flexibel werken″ in den Niederlanden

Eine ähnliche Regelung ist in den Niederlanden seit dem 1. Januar 2016 mit Art. 2 des „Wet flexibel werken″ (WfW) bereits vorhanden. Auch Art. 2 WfW gewährt dem Arbeitnehmer keinen bedingungslosen Anspruch auf Homeoffice-Tätigkeit. Der Arbeitgeber wird lediglich verpflichtet, einen entsprechenden Antrag mit dem Mitarbeiter zu beraten und eine negative Entscheidung schriftlich zu begründen (Art. 2 Abs. 4, 6 WfW). Im Rahmen dieser Begründung räumt das Gesetz dem Arbeitgeber einen breiten Spielraum ein; insbesondere ist er nicht an bestimmte (betriebliche) Ablehnungsgründe gebunden. Zutreffend wird dieser Mechanismus auch als „a right to ask, a duty to consider″ bezeichnet (Achenbach, Bedrijfsjuridische Berichten 2016, 105, 106). Auf Betriebe mit weniger als zehn Arbeitnehmern findet Art. 2 WfW darüber hinaus keine Anwendung; Kleinbetriebe sind von den Vorgaben des Art. 2 WfW also gänzlich befreit.

Gesetzliche Bestimmungen zur Arbeit im Homeoffice finden sich darüber hinaus auch in anderen EU-Mitgliedstaaten, etwa in Polen, Ungarn und Portugal. Da die im Jahre 2002 im Rahmen des europäischen sozialen Dialogs geschlossene Rahmenvereinbarung über Telearbeit nicht verbindlich ist, besteht indes keine unionsrechtliche Verpflichtung zum Erlass entsprechender Regelungen.

Derzeitige Rechtslage in Deutschland: Kein grundsätzliches Recht auf Arbeit im Homeoffice

In Deutschland existiert bislang kein gesetzlich verankertes Recht des Arbeitnehmers auf Arbeit im Homeoffice. Lediglich für den öffentlichen Dienst bestimmt § 16 Abs. 1 S. 2 Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), dass der Dienstherr dem Beschäftigten einen Tele(heim)arbeitsplatz anzubieten hat, wenn dieser mit Familien- oder Pflegeaufgaben betraut ist und die Arbeit außerhalb der Dienststätte im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten liegt.

Auch aus den zwischen den Parteien nach § 241 Abs. 2 BGB bestehenden Rücksichtnahmepflichten kann in der Regel kein Recht auf Homeoffice-Arbeit abgeleitet werden. Der Arbeitgeber kann hiernach allenfalls verpflichtet sein, im Rahmen seines Direktionsrechts nach billigem Ermessen über den Wunsch nach Tele(heim)arbeit zu entscheiden (LAG Hessen, Urteil v. 18. Dezember 2014 – 5 Sa 378/14, Rn. 31 ff., juris; vgl. BAG, Urteil v. 19. Mai 2010 – 5 AZR 162/09, Rn. 27 ff., DB 2010, 2056).

Ein Recht auf Arbeit im Homeoffice kann allerdings aus entsprechenden Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen erwachsen. Insbesondere größere Unternehmen haben von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht und entsprechende Kollektivvereinbarungen abgeschlossen. Auch zahlreiche Tech-Firmen sowie Start-Ups bieten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ganz oder teilweise von zu Hause zu arbeiten. Gerade in kleineren Unternehmen wird dem Arbeitnehmer aber oftmals kein allgemeiner Anspruch eingeräumt, sondern die Gewährung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes unter den Vorbehalt der Abstimmung im Einzelfall gestellt.

Bei Einführung von Homeoffice-Arbeit Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachten

Da es sich bei der Frage, ob und inwiefern Homeoffice-Arbeitsplätze eingeführt werden, um eine unternehmerische Entscheidung handelt, die (bislang) allein dem Arbeitgeber obliegt, kann der Betriebsrat die Einführung von Tele(heim)arbeit weder verbieten noch erzwingen. Gleichwohl kann die Ausgestaltung der Arbeit im Homeoffice Gegenstand verschiedener Beteiligungsrechte des Betriebsrats sein (näher Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell, 2016, 109): Neben einem umfassenden Unterrichtungsrecht bei der Einführung von Homeoffice-Arbeitsplätzen (§ 80 Abs. 2 S. 1 BetrVG), kommen insbesondere Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG in Betracht. So ist der Betriebsrat z. B. gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG bei Fragen zur Verteilung und Festlegung der täglichen Arbeitszeit im Homeoffice einzubeziehen.

Darüber hinaus kann die Einführung von Tele(heim)arbeit je nach Umfang der Umgestaltung als grundlegende Änderung der Betriebsorganisation gemäß § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG interessenausgleichs- und – bei Vorliegen wirtschaftlicher Nachteile – sozialplanpflichtig sein. Aus § 99 Abs. 1 BetrVG können sich weitere Beteiligungsrechte ergeben: Wird einem bisher in den Büroräumen des Arbeitgebers tätigen Mitarbeiter ein Homeoffice-Arbeitsplatz zugewiesen, bedarf diese regelmäßig als Versetzung i. S. d. § 95 Abs. 3 BetrVG zu qualifizierende personelle Einzelmaßnahme der Zustimmung des Betriebsrats.

Regelungsgegenstände einer Betriebsvereinbarung zur Arbeit im Homeoffice

Entscheiden sich die Betriebsparteien für den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung, empfiehlt es sich, neben den ohnehin mitbestimmungspflichtigen Aspekten auch weitere Punkte zur konkreten Ausgestaltung der Homeoffice-Arbeit in die Vereinbarung aufzunehmen.

Dabei sollten u. a. die Einzelheiten zur Überlassung von Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber sowie Vorgaben zur Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen geregelt werden. Sicherzustellen wäre außerdem, dass der Arbeitnehmer die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes – das auch bei Arbeit im Homeoffice anwendbar ist (vgl. zu der Entschließung des Bundesrates „Arbeitszeiten an die Herausforderungen der digitalisierten Arbeitswelt anpassen“ BR-Drucks. 24/19) – beachtet und seine Arbeitszeiten ggf. dokumentiert.

Darüber hinaus sollte dem Arbeitgeber ein Zutrittsrecht zur Wohnung des Arbeitnehmers eingeräumt werden, damit er (weiterhin) seinen arbeitsschutzrechtlichen (Kontroll-)Pflichten nachkommen kann. Schließlich bleibt der Arbeitgeber auch bei Arbeitsplätzen im Homeoffice insbesondere zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 ArbStättV verpflichtet und ist dafür verantwortlich, dass der (Bildschirm-)Arbeitsplatz des Mitarbeiters den in Nr. 6 der Anlage zur ArbStättV vorgesehenen Anforderungen entspricht. Besteht kein Betriebsrat, ist es ratsam, die oben aufgeführten Aspekte in einer (schriftlichen) Homeoffice-Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer festzuhalten.

Ausblick: Vermutlich kein uneingeschränkter Anspruch auf Arbeit im Homeoffice

Die Aussicht auf bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, mehr Flexibilität und Freizeit – es gibt viele Gründe, warum sich knapp 40 % der Arbeitnehmer in Deutschland, zumindest die Möglichkeit wünschen, ihren Arbeitsort in die eigene Wohnung verlegen zu dürfen.

Zentrale Erwägungen aus Arbeitgebersicht, die bei der Einführung von Homeoffice-Arbeit eine Rolle spielen, sind neben einer Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit sowie deren Produktivität häufig Flexibilitätsgründe und die Hoffnung auf eine Einsparung von (Büro-) Kosten. Inwiefern eine gesetzliche Regelung zu einem „Recht“ des Arbeitnehmers auf Arbeit im Homeoffice dazu beiträgt, diese Erwartungen umzusetzen, bleibt abzuwarten. Konkrete Einzelheiten zu dem Gesetzesvorhaben sind bislang nicht bekannt.

Nach den bisherigen Äußerungen Böhnings ist allerdings davon auszugehen, dass – sollten die aktuellen Planungen des BMAS tatsächlich umgesetzt werden – ein gesetzlich verankertes Recht auf Arbeit im Homeoffice keinen uneingeschränkten Anspruch des Arbeitnehmers konstituieren wird, seine Arbeitsleistung von zu Hause aus erbringen zu dürfen. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass ein zukünftiger Gesetzesentwurf einen Schritt weiter geht als das niederländische WfW und die Zurückweisung eines Homeoffice-Antrags nur in bestimmten Fallkonstellationen zulässt. Anknüpfungspunkt für eine entsprechende Regelung könnte z. B. § 8 TzBfG sein, nach dem der Arbeitgeber ein Gesuch des Mitarbeiters auf Verringerung der Arbeitszeit nur aus betrieblichen Gründen ablehnen darf (§ 8 Abs. 4 S. 1 TzBfG).

Um Kleinbetriebe vor einer Überforderung durch die aus einem Recht auf Tele(heim)arbeit resultierenden Konsequenzen zu schützen, könnte überdies in Betracht gezogen werden, diese nach dem Vorbild des niederländischen WfW oder der Mindestbetriebsgrößen aus anderen deutschen Gesetzen (z. B. § 2 Abs. 1 S. 4 Familienpflegezeitgesetz (FPfZG), §§ 8 Abs. 7, 9a Abs. 1 S. 2 TzBfG sowie § 15 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 BEEG) aus dem Anwendungsbereich der zukünftigen gesetzlichen Regelung zur Arbeit im Homeoffice auszunehmen.

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Lohnpfändung: Abfindung und Verzichtsklauseln

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Nach unseren Ausführungen zur Lohnpfändung im laufenden Arbeitsverhältnis und der Lohnpfändung im zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses widmen wir uns nun zwei Klauseln, die sich in vielen Aufhebungsvereinbarungen und Vergleichen finden.

Beispiel 1: Der Arbeitgeber kündigt das Arbeitsverhältnis am 4. April (unter Einhaltung der Kündigungsfrist) mit Wirkung zum 31. Mai. Noch vor Ablauf der Kündigungsfrist, am 15. April, wird dem Arbeitgeber ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. In diesem heißt es, gepfändet würden alle Ansprüche des Arbeitnehmers* gegen den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis. Im Kündigungsschutzprozess schließen Arbeitgeber und Arbeitgeber am 3. August einen Vergleich. Er sieht vor, dass der Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung von brutto EUR 24.000 erhält. Angesichts der Lohnsteuerabzugsmerkmale des Arbeitnehmers ergibt sich hieraus ein Netto-Betrag von EUR 20.000.

Abfindung ist mitgepfändet

Heißt es im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, gepfändet würden alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, ist eine Abfindung mitgepfändet, auch wenn sie erst nach der Zustellung des Beschlusses vereinbart wird. Die Abfindung ist sogar in voller Höhe pfändbar, weil die Pfändungsfreibeträge nur für regemäßiges Arbeitseinkommen, nicht aber für einmalige Zahlungen gelten. Von der Abfindung bliebe dem Arbeitnehmer also unter Umständen nichts.

Pfändungsfreibetrag für die Abfindung auf Antrag

Da dieses Ergebnis vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, sieht § 850i ZPO vor, dass der Arbeitnehmer für Abfindungen die Gewährung eines besonderen Freibetrags beantragen kann (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 13. Dezember 2005 – 2 Sa 384/05). Dieser Freibetrag wird allerdings nur auf Antrag gewährt. Den Antrag stellt der Arbeitnehmer bei dem Amtsgericht, das den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen hat.

Bemessung des Pfändungsfreibetrags für die Abfindung

Eine einheitliche Praxis der Vollstreckungsgerichte, wie sie den Freibetrag für Abfindungen bemessen, gibt es nicht. Denn die Gerichte haben einen Ermessensspielraum. In der Regel prognostizieren sie, wann der Arbeitnehmer voraussichtlich eine neue Arbeitsstelle finden wird, für wie viele Monate er also die Abfindung als Lebensunterhalt benötigt.

In dem obigen Beispiel könnte man, wenn der Arbeitnehmer gut qualifiziert ist und in der Umgebung seines Wohnortes derzeit Bedarf an Arbeitskräften mit seiner Ausbildung besteht, davon ausgehen, dass die Arbeitssuche höchstens ein halbes Jahr dauern wird. Angenommen, in dem beendeten Arbeitsverhältnis waren von dem monatlichen Lohn EUR 1.630,25 unpfändbar, könnte das Gericht das Gericht das Sechsfache dieses Betrags und damit knapp EUR 10.000 von der Abfindung für unpfändbar erklären.

Umgekehrt könnte das Gericht bei einem Arbeitnehmer, bei dem wegen seines Alters zu befürchten ist, dass er bis zum Renteneintrittsalter keine neue Arbeitsstelle findet, die gesamte Abfindung für unpfändbar erklären. Allerdings kann es auch in diesem Fall einen pfändbaren Betrag bestimmen, etwa wenn der Arbeitnehmer hohe Nebeneinkünfte (zum Beispiel aus der Vermietung einer Immobilie) hat oder wenn überwiegende Belange des Gläubigers die Pfändbarkeit wenigstens eines Teils gebieten. Letzteres kann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer dem Gläubiger vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat und der Gläubiger wegen dieses Schadensersatzanspruchs das Arbeitseinkommen gepfändet hat.

Arbeitgeber muss bei Lohnpfändung mit Auszahlung der Abfindung abwarten

Folgendes muss der Arbeitgeber beachten, wenn eine Abfindung mitgepfändet ist:

  1. Ein Freibetrag für die Abfindung gilt nur, wenn das Amtsgericht ihn festgesetzt hat. Der Arbeitgeber erfährt hiervon, weil das Amtsgericht auch ihm den entsprechenden Beschluss zustellt. Ohne einen solchen Beschluss ist die Abfindung in voller Höhe pfändbar (aber natürlich maximal bis zur Höhe des Betrages, wegen dem der Gläubiger die Pfändung erwirkt hat).
  2. Damit der Arbeitnehmer Gelegenheit hat, den Freibetrag zu beantragen, darf der Arbeitgeber die Abfindung erst vier Wochen nach der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auszahlen (§ 835 Abs. 5 ZPO). In diesen vier Wochen muss der Arbeitgeber also abwarten, ob ihm ein Beschluss des Amtsgerichts zugestellt wird, durch den ein Freibetrag für die Abfindung festgesetzt wird.
  3. Fraglich ist, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweisen muss, dass er bei dem Amtsgericht einen Freibetrag für die Abfindung beantragen kann. Das BAG hat eine solche Aufklärungspflicht in einem älteren Urteil abgelehnt (Urteil v. 13. November 1991 – 4 AZR 20/91). In der aktuellen arbeitsrechtlichen Literatur wird eine Hinweispflicht des Arbeitgebers allerdings zuweilen angenommen. Vorsorglich sollte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer daher über diese Möglichkeit aufklären.

Arbeitnehmer kann nicht auf gepfändete Ansprüche verzichten

Viele Vergleiche sehen vor, dass der Arbeitnehmer auf Ansprüche verzichtet oder bestätigt, dass Ansprüche nicht bestehen.

Beispiel 2: Der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber aus dem obigen Beispiel haben schon vor der Kündigung darüber gestritten, ob einige Reisen des Arbeitsnehmers privat oder beruflich veranlasst waren und ob dem Arbeitnehmer noch Resturlaub zustand. Weil sie nun alle Streitpunkte beilegen möchten, soll der Vergleich folgende Klauseln enthalten:

  1. Der Arbeitnehmer verzichtet auf alle ihm noch nicht ausgezahlten Reisekostenentschädigungen; der Arbeitgeber nimmt diesen Verzicht an.
  2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der gesamte Anspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung von Erholungsurlaub in natura erfüllt wurde.

Die erste Klausel ist unwirksam. Denn durch die Pfändung hat der Arbeitnehmer das Recht verloren, über die gepfändeten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu verfügen (§ 829 ZPO). Der Forderungsverzicht wäre jedoch eine Verfügung (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 5. April 2011 – L 11 R 112/10). Dies bedeutet natürlich nicht, dass der Gläubiger, der die Pfändung erwirkt hat, ohne Weiteres von dem Arbeitgeber die Reisekostenentschädigungen verlangen kann. Verlangt er sie, muss er, also der Gläubiger, beweisen, dass die Reisen dienstlich veranlasst waren (so wie es auch der Arbeitnehmer selbst hätte beweisen müssen).

Die zweite Klausel ist ein Tatsachen-Vergleich: Der Arbeitnehmer verzichtet nicht auf seinen Urlaubsanspruch, sondern bestätigt, dass ihm kein Urlaub mehr zusteht. An diese Klausel ist der Gläubiger, der die Pfändung erwirkt hat, nicht gebunden (denn er ist am Vergleich nicht beteiligt). Er könnte also den Arbeitgeber auf Zahlung von Urlaubsabgeltung mit der Begründung verklagen, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch Urlaubstage offen gewesen seien.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Berufsrisiko: Besuch vom Amt

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Thomas Rahluffs*, Inhaber und Geschäftsführer der Rahluffs & Sohn GmbH, hatte es sich gerade in seinem Büro bequem gemacht. Eigentlich wollte er sich der Planung der Folgewoche widmen und Rechnungen durchsehen, die ihm vom Sekretariat in einer Unterschriftsmappe hingelegt worden waren. Nachdem es nach den ersten warmen Tagen zuletzt nochmals kalt und regnerisch geworden war, gab es keinen Grund, diese Aufgabe weiter aufzuschieben.

Während er an den ersten Rechnungen saß, bekam er mit, dass der Empfang in seinem Sekretariat angerufen hatte und dieser Anruf plötzliche Hektik auslöste.

Frau Krakowski, seine Assistentin, stand in der Tür, dabei wollte er doch jetzt eigentlich nicht gestört werden. Sie räusperte sich. „Da sei jemand“, sagte sie, während sie sein Büro durch die offene Tür betrat. Rahluffs schaute auf, was sollte jetzt diese Störung?

„Ein Beamter“, sagte Frau Krakowski, „vom Amt für Arbeitsschutz!“.

Augenblicke später trat ein Beamter mit strahlendem Lächeln in sein Büro. Dessen freundliche Begrüßung ließ Rahluffs für einen Moment lang vergessen, dass es sich um einen Behördenbesuch handelte, und zwar einen unangekündigten. Aber der Beamte wurde offenbar von einer Aura umgeben, die durchsetzte, was sie sich vorgenommen hatte. Und so hatte er sich zielstrebig vom Empfang bis hierher in sein Büro bringen lassen. Jetzt konnte Rahluffs sich auch nicht mehr verstecken.

Der Beamte stellte sich vor, zeigte einen Ausweis und übergab Rahluffs seine Karte. Rahluffs griff nach seinen Visitenkarten.

Der Beamte kam recht schnell zur Sache. Die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen sei Sache des Arbeitgebers. Es gehöre zu dessen Grundpflichten, alle notwendigen Maßnahmen für den Arbeitsschutz zu ergreifen. Er habe auch auf allen Führungsebenen für die Durchführung der Maßnahmen zu sorgen.

Rahluffs dachte gerade daran, wie der Name der externen Fachkraft für Arbeitssicherheit sei und wen er als Betriebsarzt beauftragt hatte, da hörte er aus dem Mund des Beamten die Worte „Überprüfung“, „Einhaltung“ und „Organisationspflichten“. Der bat um „entsprechende Unterlagen“, aber die nachfolgenden Punkte waren ein wenig schnell für Rahluffs.

Er schlug vor, dass man sich an den Besprechungstisch in seinem Büro setzte, um die Punkte im Einzelnen durchzugehen.

Folgendes wollte der Beamte von Rahluffs für seinen Betrieb erläutert haben:

  • Regelungen zur Einbindung von Führungskräften und sonstigen beauftragten Personen,
  • wie die Organisationspflichten aus dem ASIG, also die schriftliche Bestellung der Fachkraft für Arbeitssicherheit, des Betriebsarztes und die Festlegung der erforderlichen Einsatzzeiten nach der DGUV Vorschrift 2 organisiert seien,
  • wie die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Unterweisung der Mitarbeiter organisiert seien und
  • wie es mit den Prüfunterlagen für Arbeitsmittel aussehe.

Zudem, so bat der Beamte, wolle er auch die Arbeitszeitnachweise der Mitarbeiter für die vergangenen vier Monate einsehen.

Rahluffs rauchte der Kopf. Aber es gelang ihm, ein freundliches Lächeln aufzusetzen. Die Frage nach einem Betriebsrat bei der Rahluffs & Sohn GmbH konnte er verneinen. Er hörte seine Stimme, wie sie etwas von Rechnungen und Wochenplanung sagte und darum bat, dass man die gewünschten Informationen in den kommenden Tagen zusammenstellen möge.

Der Beamte war einverstanden, innerhalb kurzer Zeit war ein Folgetermin vereinbart.

Die Zeit bis dahin würde Rahluffs nutzen müssen. Am Nachmittag saß Rahluffs mit dem Betriebsleiter, der Fachkraft für Arbeitssicherheit und der herbeigerufene Betriebsärztin zusammen. Die Wochenplanung und die Rechnungen würde er später durchsehen.

Die Arbeitsschutzbehörden

Die Überwachung des Arbeitsschutzes ist eine staatliche Aufgabe, die die zuständigen Behörden gem. § 21 ArbSchG innehaben. Die Zuständigkeiten werden von den Bundesländern geregelt, die nach Art. 83 GG die Überwachung des Arbeitsschutzgesetzes und seiner Verordnungen als eigene Aufgabe ausführen.

Bis in die 1990er-Jahre waren in den alten Bundesländern meist die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter zuständig. Inzwischen wurden in einigen Bundesländern die Aufgaben auf die Bezirksregierungen bzw. Regierungspräsidien übertragen. Die Zuständigkeit wird in den einzelnen Bundesländern durch landesrechtliche Zuständigkeitsverordnungen geregelt, in NRW ist dies die Zuständigkeitsverordnung Arbeits- und technischer Gefahrenschutz (ZustVO ArbtG). Die Ämter für Arbeitsschutz sind in NRW Abteilungen bei den Bezirksregierungen. In Baden-Württemberg sind die Landratsämter und Stadtkreise zuständig. In Rheinland-Pfalz dagegen überwacht neben der Gewerbeaufsicht noch die Unfallkasse Rheinland-Pfalz auf Basis eine Vereinbarung § 21 Abs. 4 ArbSchG in ihren Mitgliedsunternehmen (mit Ausnahmen) den Vollzug des ArbSchG und der Arbeitsschutzverordnungen.

Online abrufbar ist eine nach Bundesländern geordnete Übersicht aller zuständigen Arbeitsschutzbehörden mit Adressen und Kontaktdaten . Im Jahr 2017 lag die Zahl der Aufsichtsbeamte bei 3.151, die für fast 2,5 Millionen Betriebe mit über 31 Millionen Beschäftigten zuständig waren.

Befugnisse der Behörde bei Betriebsbesuchen

Die Aufsichtsbehörde kann gemäß § 22 Abs. 1 ArbSchG vom Arbeitgeber oder von den verantwortlichen Personen Auskünfte und die Überlassung von entsprechenden Unterlagen verlangen. Die Auskunft kann nur verweigern, wer bei Beantwortung oder Vorlage sich selbst oder einen Angehörigen der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen würde.

§ 22 Abs. 2 ArbSchG erlaubt es den Beamten der Aufsichtsbehörde Betriebsstätten, Geschäfts- und Betriebsräume zu den Betriebs- und Arbeitszeiten zu betreten, zu besichtigen und zu prüfen. In NRW fanden im Jahr 2017 fast 36.000 Betriebsbesichtungen statt. Deutschlandweit lagen damals die Kontrollschwerpunkte in den Branchen „Hochschulen“, „Gesundheitswesen″ und „Handel″.

Die Beamten können Einsicht in die geschäftlichen Unterlagen nehmen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Beamten sind befugt, Betriebsanlagen, Arbeitsmittel und persönliche Schutzausrüstungen zu prüfen, Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufe zu untersuchen, Messungen vorzunehmen und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren festzustellen.

Sie dürfen ferner untersuchen, auf welche Ursachen ein Arbeitsunfall, eine arbeitsbedingte Erkrankung oder ein Schadensfall zurückzuführen ist.

Außerhalb der Betriebs- und Arbeitszeiten, oder wenn die Arbeitsstätte sich in einer Wohnung befindet, dürfen die Beamten nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung derartige Maßnahmen treffen. Die Behörde hat ihre Befugnisse auch dann, wenn nicht feststeht, ob in der Arbeitsstätte Personen beschäftigt werden. Erforderlich sind jedoch Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen.

Die Beamten sind berechtigt, die Begleitung durch den Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Person zu verlangen. Der Arbeitgeber oder die verantwortlichen Personen müssen die Beamten unterstützen.

Entsprechende Rechte sehen § 17 Abs. 4 bis 6 Arbeitszeitgesetz vor. Die Aufsichtsbeamten des Amts für Arbeitsschutz können vom Arbeitgeber die erforderlichen Auskünfte, Arbeitszeitnachweise, Tarifverträge oder Betriebs- und Dienstvereinbarungen vorgelegt oder zur Einsichtnahme verlangen. Sie sind nach den Vorschriften des ArbZG ebenfalls berechtigt, die Arbeitsstätten zu betreten und zu besichtigen. Die Einschränkungen außerhalb der Betriebs- und Arbeitszeit oder bei Arbeitsstätten in einer Wohnung gelten auch hier. Die Auskunft verweigern kann nach § 17 Abs. 6 ArbZG nur, wer sich selbst oder einen Angehörigen einer ordnungsrechtlichen oder Strafverfolgung aussetzen würde.

Beteiligung des Betriebsrats notwendig

§ 89 Abs. 2 BetrVG sieht die Beteiligung des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unterfalluntersuchungen vor. Sowohl der Arbeitgeber als auch die Behörde sind verpflichtet, den Betriebsrat hinzuzuziehen – und zwar unaufgefordert.

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Auflagen und Anordnungen des Amts für Arbeitsschutz, die den Arbeitsschutz oder die Unfallverhütung betreffen, mitteilen. Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen der Betriebsrat hinzuzuziehen ist, muss der Arbeitgeber ihm aushändigen. Häufig informiert die Behörde den Betriebsrat, in dem sie ihm Durchschriften ihrer Schreiben zusendet.

Auch von der Unfallanzeige an die Berufsgenossenschaft, die nach § 193 SGB VII bei Unfällen mit Todesfolgen oder Verletzungen, die zu Arbeitsunfähigkeiten von mehr als drei Tagen führen, erstattet werden muss, hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine Durchschrift auszuhändigen (§ 89 Abs. 6 BetrVG). Der Betriebsrat muss die Anzeige gemäß § 193 Abs. 5 SGB VII ohnehin mit unterzeichnen.

Im Jahr 2017 gab es laut dem „Unfallverhütungsbericht Arbeit″ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) knapp 955.000 solcher meldepflichtigen Unfälle – ein halbes Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Gleichzeitig haben Betriebsräte nach § 89 Abs. 1 BetrVG die Pflicht, die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen. Diese Pflicht führt zu einer gesetzlichen Ausnahme der ansonsten bestehenden Geheimhaltungspflicht des Betriebsrats nach § 79 Abs. 1 S. 1 BetrVG.

Will die Aufsichtsbehörde eine Anordnung nach dem Arbeitssicherheitsgesetz treffen, sieht § 12 Abs. 2 ASiG vor, dass der Betriebsrat genauso wie der Arbeitgeber angehört wird.

Es gibt weitere Berufsrisiken – die Serie wird fortgesetzt. Lesen Sie hier: Berufsrisiko: Leider geheim! und Berufsrisiko: Schnelle Fahrt mit Folgen

*Unsere Personen und die Handlung sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlichen Begebenheiten wären rein zufällig.

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Die gesetzliche Überlassungshöchstdauer – Erste Erfahrungen aus der Praxis

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Mit Wirkung zum 1. April 2017 hat der Gesetzgeber (erneut) das AÜG reformiert. Die Arbeitnehmerüberlassung soll – so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9232, S. 2, 19) – „auf ihre Kernfunktion als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung des Arbeitskräftebedarfs hin orientiert werden″. Missbräuchliche Gestaltungen des Fremdpersonaleinsatzes in Form der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sollen vermieden werden. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt ab dem 1. April 2017 u.a. eine Überlassungshöchstdauer von 18 aufeinander folgenden Monaten, die allerdings durch Tarifverträge des Entleihers oder durch aufgrund von tariflichen Öffnungsklauseln abgeschlossene Betriebsvereinbarungen modifiziert werden kann (§ 1 Abs. 1 S. 4, Abs. 1b AÜG).

Aus Sicht der Praxis werden nachfolgend die wesentlichen Entwicklungen und Tendenzen bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur Überlassungshöchstdauer dargestellt. Was hat sich seit dem 1. April 2017 und damit mehr als zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der AÜG-Reform 2017 getan? Wie hat die Praxis auf die Überlassungshöchstdauer reagiert? Welche Möglichkeiten gibt es, diese zu verlängern bzw. welche alternativen Optionen kommen bei einem drohenden Ablauf der Überlassungshöchstdauer in Betracht?

Überlassungshöchstdauer – Im Westen an sich nichts Neues!

Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Geltung einer Überlassungshöchstdauer – zumindest aus gesetzeshistorischer Sicht – dem AÜG nicht fremd ist. Diese betrug bei Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 1972 zunächst drei Monate, wurde dann allerdings sukzessive auf bis zu 24 Monate verlängert (Gesetz zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente, sog. JobAQTIV-Gesetz vom 10. Dezember 2001, BGBl. I, S. 3443) und im Rahmen der sog. Hartz-Gesetze (Erstes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl. I, S. 4607) von der seinerzeit amtierenden Rot-Grünen-Koalition mit Wirkung zum 1. Januar 2003 in Gänze abgeschafft.

Unter „Schwarz-Rot″ wurde die Überlassungshöchstdauer im Rahmen der AÜG-Reform 2017 wiederbelebt; es wurde mit einer gesetzlichen Regelüberlassungsdauer von 18 Monaten ein Zustand geschaffen, der hinter den noch bis zum 1. Januar 2003 geltenden rechtlichen Rahmen zurückfällt und diesen einerseits durch ein verschachteltes Gefüge von ineinander greifenden gesetzlichen (Ausnahme-) Bestimmungen weiter verkompliziert, andererseits aber damit auch die Möglichkeit der Verlängerung der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten zulässt.

Dies ist der Auftakt zu unserer vierteiligen Reihe zur Überlassungshöchstdauer aus Praxissicht. Weitere Beiträge erscheinen.

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Die Stechuhr für alle – Neues System zur Arbeitszeiterfassung

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Am 14. Mai 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Erfassung von Arbeitszeiten über die Dokumentation von Überstunden hinausgehen muss (Az: C-55/18). Arbeitgeber sollen künftig dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeit der Beschäftigten systematisch zu erfassen.

Arbeitszeiterfassung in Deutschland erfüllt nicht die Anforderungen des EuGH

§ 16 Abs. 2 ArbZG schreibt vor, dass Arbeitgeber zur Dokumentation von über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer* verpflichtet sind.

Dies wurde vom EuGH nun für unzureichend erklärt.

Gewerkschaft fordert detaillierte Erfassung der Arbeitszeit

Geklagt hatte eine spanische Gewerkschaft vor dem spanischen nationalen Gerichtshof, die den Arbeitgeber, die Deutsche Bank, dazu verpflichten wollte, die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer in Spanien vollständig aufzuzeichnen. Ihrer Ansicht nach sei nur so die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeiten sicherzustellen. Die Gewerkschaft bekräftigte ihre Aussage damit, dass bislang 53,7 % der Überstunden in Spanien nicht richtig erfasst würden. Der beklagte Arbeitgeber dokumentierte bislang nur die Überstunden der Mitarbeiter.

Der Nationale Gerichtshof in Spanien legte die Rechtssache dem EuGH vor.

Schlussanträge des Generalanwalts: Die Vorboten der Entscheidung

Bereits Ende Januar positionierte sich der Generalanwalt Giovanni Pitruzzella in seinen Schlussanträgen klar für eine Verschärfung der Arbeitszeiterfassung. Seiner Ansicht nach folgt aus der europäischen Grundrechtecharta eine Verpflichtung der Unternehmen, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit von Mitarbeitern einzuführen. Innerstaatliche Rechtsvorschriften, die dieses Schutzniveau nicht erreichen, stehen seiner Meinung nach dem EU-Recht entgegen und würden daher keine Anwendung finden.

Dieser Ansicht schlossen sich die Luxemburger Richter jetzt an.

Schutz von Grundrechten aus der EU-Charta

Zur Begründung ihres Urteils verwiesen die EuGH-Richter auf die Grundrechte-Charta sowie auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Hierin verbürge sich

das Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten.

Um dieses Grundrecht vollumfänglich gewährleisten zu können und die Arbeitnehmer zu schützen, sei die Einführung eines neuen Systems zur Arbeitszeiterfassung unerlässlich. Ohne die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung sei nicht überprüfbar, ob die zulässigen Arbeitszeiten überschritten wurden.

Auswirkungen der Arbeitszeiterfassung: Bürokratiemehraufwand und Ende der Vertrauensarbeitszeit

Aufgrund der vergleichbaren aktuellen Rechtslage in Spanien und Deutschland wird die Entscheidung des EuGH auch erhebliche Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht haben.

Die EU-Mitgliedstaaten werden Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein Arbeitszeiterfassungssystem einzurichten, das den Anforderungen des Gerichtshofs entspricht. Über die weitere Umsetzung können die Mitgliedstaaten im Einzelnen eigenständig entscheiden. Es steht ihnen frei, die aus nationaler Sicht gesehene geeignete Form zur Erhebung der effektiven täglichen Arbeitszeit festzulegen. Dabei betonen die EuGH-Richter jedoch auch, dass es möglich sei, Besonderheiten zu berücksichtigen. So können beispielsweise die Größe des Unternehmens oder die Art der Tätigkeit Ausnahmen von den strengen Arbeitszeiterfassungsvorgaben rechtfertigen.

Somit ist nun der deutsche Gesetzgeber gefragt, eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber ein „objektives, verlässliches und zugängliches System″ einrichtet, „mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ (Pressemitteilung NR. 61/19 des EuGH vom 14. Mai 2019).

Absehbar ist, dass die bisherige Form der „Vertrauensarbeitszeit″ wohl keine Zukunft haben wird. Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, ob nach der Einführung eines entsprechenden Umsetzungsgesetzes die Delegation der Arbeitszeitendokumentationen auf die Arbeitnehmer möglich ist. In der Arbeitswelt 4.0 scheint eine solche Arbeitszeiterfassungsmaßnahme rückschrittig zu sein. Gut möglich, dass die gewonnene Flexibilität der modernen Arbeitswelt unter einem solchen System leidet.

Klar ist, dass Arbeitgeber künftig weiteren Bürokratieaufwand meistern werden müssen. Die Einhaltung von Arbeitszeitgesetzen wird durch das Urteil an Relevanz gewinnen. Entwarnung gilt insoweit, als sich aus dem Urteil des EuGH wohl keine unmittelbare Handlungspflicht für Arbeitgeber ableiten lässt. Es bleibt daher abzuwarten, wie schnell der deutsche Gesetzgeber tätig wird und wie dann die genauen Anforderungen der Arbeitszeiterfassung aussehen werden.

* Zur besseren Lesbarkeit verzichten wir auf eine geschlechterspezifische Differenzierung. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter.

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Arbeit auf Abruf: Minimale gesetzliche Änderungen, maximale Auswirkungen auf geringfügig Beschäftigte

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Bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2019 hat der Gesetzgeber das TzBfG angepasst und dabei u.a. die sog. Brückenteilzeit eingeführt. Danach kann ein Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Teilzeitarbeit stellt, unter den näher gesetzlich definierten Voraussetzungen eine Vollzeittätigkeit aufnehmen. Dies war nach dem alten Recht nicht möglich (sog. Teilzeitfalle).

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber – beinahe geräuschlos – den gesetzlichen Rahmen für die Abrufarbeit gem. § 12 TzBfG geändert. Wie bislang, ist dort vorgesehen, dass die Vereinbarung zwischen den Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer über die Arbeit auf Abruf eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen muss. Im Gegensatz zur alten Rechtslage gilt nun aber eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart, wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist. Nach der alten Fassung von § 12 TzBfG waren es noch 10 Wochenarbeitsstunden.

Auswirkungen der erhöhten, fingierten wöchentlichen Arbeitszeit

Die Erhöhung der fingierten wöchentlichen Arbeitszeit kann sich dabei insbesondere auf geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auswirken, die in der Praxis oftmals nur rudimentäre vertragliche Regelungen zum Arbeitszeitvolumen enthalten. In der Regel werden diese bei dem entsprechenden Bedarf schlichtweg angefragt, ohne die Bestimmungen des § 12 TzBfG zu beachten.

Vor dem Hintergrund der Erhöhung des fingierten Wochenarbeitszeitvolumens kann jedoch eine solche rudimentäre, nicht den Anforderungen von § 12 TzBfG genügende Vertragsgestaltung folgenschwere Auswirkungen haben, da mit Blick auf die nunmehr geltenden 20 Stunden/Woche keine geringfügige Beschäftigung mehr vorliegt. Die Entgeltgrenze von EUR 450,00 wird überschritten, selbst wenn „nur″ der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von EUR 9,19 EUR/Stunde brutto zugrunde gelegt wird.

Der Minijob verliert seine sozialversicherungsrechtliche Privilegierung. Dies kann für den Personaldienstleister bedeuten, dass dieser rückwirkend den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag in der Sozialversicherung auf die entstandenen Entgeltansprüche des Zeitarbeitnehmers auf Grundlage einer 20 Wochenarbeitsstunden nachzuzahlen hat. Ein Rückgriff auf den Mitarbeiter ist dabei nur eingeschränkt möglich (Lohnabzugsverfahren innerhalb der nächsten drei Lohn-/Gehaltszahlungen im bestehenden Arbeitsverhältnis unter Beachtung von Pfändungsfreigrenzen gem. § 28g S. 2, 3 SGB IV). Abgesehen davon ist das (zumindest bedingt) vorsätzliche Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB strafbewehrt.

Praxishinweis: Klauseln zur Abrufbarkeit im Arbeitsvertrag prüfen

Vor diesem Hintergrund tun Personaldienstleister gut daran, ihre Arbeitsverträge – gerade mit geringfügig Beschäftigten – mit Blick auf eine vereinbarte Abrufarbeit hinsichtlich der Konformität mit § 12 TzBfG n.F. zu überprüfen. Ansonsten könnte es bei der nächsten Betriebsprüfung eine böse Überraschung geben.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der April-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

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Betriebsrat: Selbst verantwortlich für den Datenschutz?

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Der Betriebsrat verarbeitet im Rahmen seiner Tätigkeit personenbezogene Daten und hat dabei die Vorgaben der DSGVO und des BDSG zu beachten. Ob er darüber hinaus auch als „Verantwortlicher″ für die eigene Datenschutz-Compliance einzustehen hat, steht seit Geltung der DSGVO (erneut) auf dem juristischen Prüfstand.

BAG: Betriebsrat Teil des Arbeitgebers als verantwortlicher Stelle

Vor Geltung der DSGVO urteilte das BAG in ständiger Rechtsprechung, dass der Betriebsrat nicht eigener Verantwortlicher, sondern Teil des Arbeitgebers als verantwortliche Stelle ist. Stützen konnte sich das BAG bei dieser Beurteilung auf den damaligen Wortlaut des BDSG, der Gremien wie den Betriebsrat nicht als verantwortliche Stelle erfasste.

In Folge wurde der Betriebsrat datenschutzrechtlich wie eine Abteilung des Unternehmens behandelt. Allerdings eine Abteilung mit Sonderrechten, denn in einem weiteren Urteil betonte das BAG die Unabhängigkeit des Betriebsrats und entschied, dass das Gremium nicht der Kontrolle des Datenschutzbeauftragten des Arbeitgebers unterliegt.

Diese ambivalent anmutende Beurteilung stieß bereits in der Vergangenheit auf Kritik, da der Arbeitgeber in Konsequenz als „Schlussverantwortlicher″ für Datenschutzverstöße des Betriebsrats einzustehen, gleichzeitig aber nur sehr beschränkte Möglichkeiten hatte, die Einhaltung der Datenschutzvorgaben durch den Betriebsrat zu beeinflussen.

Rechtsprechungswechsel nach Geltung der DSGVO?

Die der Rechtsprechung des BAG zu Grunde liegende Rechtslage erfuhr mit Geltung der DSGVO insoweit eine Änderung, als nach deren Wortlaut nun jede Stelle Verantwortlicher ist, die über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet.

Ob dies beim Betriebsrat der Fall ist, wird derzeit leidenschaftlich diskutiert. Zwar ergibt sich der Zweck der Datenverarbeitung durch den Betriebsrat aus seinen Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und die Mittel der Datenverarbeitung (etwa die IT-Systeme) werden in der Regel vom Arbeitgeber vorgegeben. Andererseits entscheidet der Betriebsrat in der Praxis in aller Regel selbst darüber, in welcher konkreten Form er mit den an ihn übermittelten Daten umgeht und seinen nach dem BetrVG nur abstrakt vorgegebenen Rechten und Pflichten im Alltag nachkommt.

Die seit Geltung der DSGVO mit der Frage befassten Gerichte sprachen sich bislang überwiegend dafür aus, dass der Betriebsrat weiterhin als Teil des verantwortlichen Arbeitsgebers anzusehen ist. Für die Gegenauffassung streitet bislang nur ein einzelnes Urteil des LAG Sachsen-Anhalt vom 18. Dezember 2018 (Az.: 4 TaBV 19/17), nach dem der Betriebsrat über den Zweck einer von ihm vorgenommenen Einsicht in Bruttoentgeltlisten selbst entscheidet und daher auch Verantwortlicher im Sinne des DSGVO ist. Eine Entscheidung des BAG bzw. EuGH zur Verantwortlichkeit des Betriebsrats nach Geltung der DSGVO steht aus.

Praktisch relevant: Positionierung der Datenschutzbehörden

Neben dem LAG Sachsen-Anhalt sprachen sich seit Geltung der DSGVO auch mehrere Aufsichtsbehörden dafür aus, Betriebsräte künftig als eigenständig Verantwortliche zu behandeln. In einer behördeninternen Umfrage war dies wohl sogar die Mehrheit der teilnehmenden Behörden. Besonders deutlich positionierte sich der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg in seinem 34. Tätigkeitsbericht 2018: „Betriebsrat – eigener Verantwortlicher im Sinne der DS-GVO? Ja!″

Eine abschließende Entscheidung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (DSK) zur Frage der Verantwortlichkeit des Betriebsrats steht allerdings nach wir vor aus. Eine solche Entscheidung hätte zwar – wie auch die Positionierungen der einzelnen Landesdatenschutzbeauftragten – rechtlich keine generelle Bindungswirkung, möglicherweise aber eine Signalwirkung für die Gerichte.

Eigene Verantwortlichkeit des Betriebsrats hätte weitreichende Folgen

Wäre der Betriebsrat zukünftig als eigener Verantwortlicher im Sinne der DSGVO bzw. des BDSG anzusehen, hätte dies für die Praxis weitreichende Folgen:

  1. Der Betriebsrat wäre Adressat zahlreicher datenschutzrechtlicher Verpflichtungen, müsste also beispielsweise selbst die Mitarbeiter über seine Datenverarbeitung informieren, ein eigenes Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten führen, an ihn gerichtete Auskunftsansprüche der Mitarbeiter beantworten und eigene Löschkonzepte umsetzen.
  2. Jedenfalls größere Betriebsräte mit zehn oder mehr Mitgliedern müssten einen eigenen Datenschutzbeauftragten bestellen.
  3. Der Betriebsrat wäre als datenschutzrechtlich Verantwortlicher insoweit auch als rechtsfähig einzustufen und könnte im Falle eines Datenschutzverstoßes Adressat eines entsprechenden Bußgeldbescheides sein. Zwar ist der Betriebsrat als Gremium grundsätzlich nicht vermögensfähig, die Haftung könnte allerdings zumindest bei grob fahrlässigen Datenschutzverstößen einzelne Betriebsratsmitglieder treffen.

Steine statt Brot: Kostenfolge für Arbeitgeber

Eine eigene datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Betriebsrats verspricht Arbeitgebern auf den ersten Blick eine vergleichsweise klare Verantwortungsverteilung und erscheint daher vor dem Hintergrund der derzeitigen, ambivalent anmutenden Rechtsprechung des BAG begrüßenswert.

Auf den zweiten Blick aber hätte eine dahingehende Einordnung durch Behörden und Gerichte nicht nur weitreichende Konsequenzen für die datenschutzrechtlichen Pflichten und Haftungsrisiken des Betriebsrats, sondern auch negative (Kosten)Folgen für den Arbeitgeber: Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Kosten der Betriebsratsarbeit zu tragen. Sollte der Betriebsrat tatsächlich als datenschutzrechtlich Verantwortlicher einzustufen sein, wären folglich auch die (dann erforderlichen) Kosten für die Erfüllung der damit einhergehenden Pflichten des Betriebsrats vom Arbeitgeber zu tragen. Insbesondere durch die Beauftragung externer Rechtsberater (beispielsweise für den Abschluss eigener Datenverarbeitungsverträge seitens des Betriebsrats) und die Bestellung externer Datenschutzbeauftragter durch den Betriebsrat würde eine eigene Verantwortlichkeit des Betriebsrats aus Unternehmenssicht daher teuer erkauft werden.

Handlungsempfehlung: (Rahmen-) Betriebsvereinbarung zum Beschäftigtendatenschutz

Um der dargestellten Rechtsunsicherheit mit Transparenz zu begegnen, das Haftungs- und Kostenrisiko zu verringern und (nicht zuletzt im Sinne der betroffenen Arbeitnehmer) eine datenschutzkonforme Betriebsratsarbeit sicherzustellen, empfiehlt sich der Abschluss einer entsprechenden (Rahmen-) Betriebsvereinbarung zum Beschäftigtendatenschutz bei der Betriebsratsarbeit.

Neben Vorgaben zum gesetzeskonformen Umgang mit Beschäftigtendaten (auch der Festlegung von Prüf- und Löschroutinen) in der Betriebsratsarbeit könnte hierin beispielsweise vereinbart werden, dass der Betriebsrat die beim Arbeitgeber implementierten Datenschutzstrukturen mit nutzt und der Datenschutzbeauftragte des Arbeitgebers auch für die Kontrolle der Datenverarbeitung durch den Betriebsrat zuständig ist. Die datenschutzrechtliche Stellung des Betriebsrats (nur) als Teil des verantwortlichen Arbeitgebers könnte hierdurch bis zur Klärung durch die Rechtsprechung abgesichert werden.

Nachdem eine solche Vereinbarung den Arbeitgeber vor zusätzlichen Betriebsratskosten bewahren, den zusätzlichen Arbeitsaufwand für den Betriebsrat zumindest reduzieren und zugleich das Risiko eines Datenschutzverstoßes samt der damit einhergehenden Haftung für Arbeitgeber und Betriebsrat verringern kann, dürfte ein echter Interessenkonflikt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei Abschluss einer dahingehenden Betriebsvereinbarung (ausnahmsweise) nicht bestehen.

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Teil 2: Wesentliche Grundsätze der Überlassungshöchstdauer

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Die Regelung des § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG ist an beide Parteien des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages gerichtet: Der Verleiher darf nicht über einen Zeitraum von 18 Monaten hinaus einen Zeitarbeitnehmer an einen Entleiher überlassen, der seinerseits nicht berechtigt ist, diesen länger als 18 Monate bei sich einzusetzen.

Arbeitnehmerbezogene Betrachtung

Die Überlassungshöchstdauer ist nach herrschender und auch von der Bundesagentur für Arbeit (BA) vertretener Ansicht arbeitnehmer- und nicht arbeitsplatzbezogen zu bestimmen (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 4 f. m.w.N.; Müller, FA 2018, 360; Zimmermann, MDR 2017, 979; FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 1, S. 23).

Dafür spricht klar die gewählte Formulierung in § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG (derselbe Zeitarbeitnehmer), durch die eindeutig an Personenbezug hergestellt wird. In der Zeitarbeitsrichtlinie wird der Begriff „vorübergehend″ zudem immer in einem Kontext zu der Tätigkeit des Zeitarbeitnehmers und nicht zu einem bei dem Entleiher vorgehaltenen Arbeitsplatz verwendet. Es kommt daher auf die individuelle Einsatzdauer des jeweiligen Zeitarbeitnehmers an, nicht aber darauf, wie lange ein Arbeitsplatz bei dem Entleiher mit einem oder wechselnden Zeitarbeitnehmern besetzt wird.

Rechtsträgerbezogene Betrachtung

Die Überlassungshöchstdauer wird richtigerweise nicht betriebs-, sondern rechtsträgerbezogen bestimmt; darauf stellt auch die BA ab (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 5 f. m.w.N.; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 214; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 93; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 325; Neighbour/Schröder, BB 2016, 2869; Müller, FA 2018, 360; FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 1, S. 23).

Die insoweit abweichende betriebsbezogene Ansicht (vgl. Lembke, NZA 2017, 4) ist abzulehnen. Diese findet im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze; es kann letztlich nur auf den Rechtsträger als Vertragspartner ankommen, der den Mitarbeiter entleiht, da ein Betrieb nicht rechtsfähig ist und als solcher nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Zu fragen ist daher, welche natürliche oder juristische Person auf Entleiherseite mit dem Verleiher den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abschließt, der letztlich die Grundlage für den Einsatz des Zeitarbeitnehmers darstellt. Für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer kommt es nur darauf an, dass der Zeitarbeitnehmer an den betreffenden Entleiher als Unternehmen/Unternehmer überlassen wird; unerheblich ist, ob dieser dort möglicherweise auf wechselnden Arbeitsplätzen, mit unterschiedlichen Tätigkeiten oder an anderen Arbeitsorten bei diesem eingesetzt wird.

Unterbrechung und Hemmung

Nach einer Unterbrechung des Einsatzes des überlassenen Zeitarbeitnehmers von mehr als 3 Monaten (nämlich mindestens 3 Monate und 1 Tag) wird die Überlassungshöchstdauer „genullt″ (§ 1 Abs. 1b S. 2 AÜG) und kann bei dem Entleiher für den betreffenden Zeitarbeitnehmer erneut in Gänze ausgeschöpft werden. Unterbrechungen von 3 Monaten oder kürzer hemmen die Einsatzzeit und können folglich hinten angehängt werden.

Berechnung der maßgeblichen Einsatzdauer

Nicht abschließend geklärt ist, wie die für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer und deren Unterbrechung bzw. Hemmung maßgebliche Einsatzdauer des Zeitarbeitnehmers bestimmt wird.

Die herrschenden Meinung stellt auf die Dauer des zwischen dem Entleiher und dem Verleiher abgeschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsvertrages ab (sog. formeller Einsatzbegriff: Talkenberg, NZA 2017, 473; Braun/Sura, ArbRB 2018, 277; FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 2, S. 23; in diese Richtung wohl auch, allerdings zur Auslegung des TV BZ ME: BAG, Urteil v. 21. März 2018 – 5 AZR 862/16; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 26/2018 Anm. 6). Als durchgehende Überlassung ist ein Einsatz selbst in dem Fall zu qualifizieren, dass der Zeitarbeitnehmer nicht ganzwöchig beim Entleiher tätig wird, z.B. wenn dieser regelmäßig nur an zwei Arbeitstagen in der Woche statt an allen fünf Werktagen überlassen wird; als Einsatzzeit zählt die ganze Woche.

Auf das von dem Zeitarbeitnehmer an den einzelnen Arbeitstagen geleistete (Teilzeit-) Arbeitszeitvolumen kommt es gleichfalls nicht an(FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 2, S. 23). Krankheit, Urlaub, unentschuldigtes Fehlen etc. werden als zu berücksichtigende Einsatzzeiten mitgezählt, wenn der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht vorher wirksam beendet wurde, z.B. durch eine einvernehmliche Aufhebung oder eine form- und fristgerechte Kündigung. Ob eine schlichte „Abmeldung″ des Zeitarbeitnehmers durch den Entleiher ausreicht, dürfte eine Frage des Einzelfalls sein.

Nach der an den Wortlaut von § 1 Abs. 1, 2 AÜG anknüpfenden, überzeugenden Gegenansicht zählen nur die tatsächlich von dem Zeitarbeitnehmer bei dem Entleiher geleisteten Arbeitstage als relevante Einsatzzeiten; unabhängig von der Existenz oder Dauer des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages werden unproduktive Zeiten, wie Krankheit oder Urlaub, nicht als im Rahmen der Überlassungshöchstdauer anzuerkennender Einsatz qualifiziert (sog. materieller Einsatzbegriff: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 220; Bissels/Falter, ArbR 2017, 6; Henssler/Grau/Mehrens, § 5 Rn. 88; BeckOK/Kock, § 1 AÜG Rn. 92; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 95). Wird der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag alternativ beendet und findet daraufhin keine Überlassung mehr statt, endet damit auch der Einsatz. In der Praxis ist es dennoch empfehlenswert, zur Vermeidung von Rechtsrisiken, die sich aus dem wegen der sich regelmäßig verlängernden Überlassungshöchstdauer materiellen Einsatzbegriff ergeben können, der herrschenden Ansicht zu folgen, bis eine abschließende Klärung durch die Rechtsprechung erfolgt ist.

Übergangsfrist

Einsatzzeiten werden erst ab dem 1. April 2017 auf die Überlassungshöchstdauer angerechnet, selbst wenn der Zeitarbeitnehmer schon vor diesem Zeitpunkt an denselben Entleiher überlassen wurde (§ 19 Abs. 2 AÜG).

Fristberechnung

Der Gesetzgeber hat keine klare Regelung getroffen, wie die Frist von 18 Monaten und deren Ablauf zu bestimmen ist; gleiches gilt im Übrigen für die Unterbrechung nach § 1 Abs. 1b S. 2 AÜG. Folglich ist umstritten, wann der maßgebliche Zeitpunkt erreicht wird.

Die herrschende Auffassung geht richtigerweise davon aus, dass die Überlassungshöchstdauer nach Maßgabe von §§ 187 Abs. 2 S. 1, 188 Abs. 2 BGB berechnet wird; die Überlassungshöchstdauer von 18 (vollen) Monaten konnte folglich erstmals mit Ablauf des 30. September 2018 enden (vgl. Bissels/Falter, ArbR 2017, 5; Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 212; Braun/Sura, ArbRB 2018, 277; Henssler, RdA 2017, 95; Thüsing, AÜG, § 1 Rn. 157; Zimmermann, MDR 2017, 979; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 330; Lembke, NZA 2017, 4; Talkenberg, NZA 2017, 476; Scharff, BB 2018, 1141 f.). Dieser Ansicht folgt bei einem ununterbrochenen Einsatz auch die BA (FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 1, S. 23). Sind mehrere Überlassungen zu berücksichtigen, ist die insgesamt zu beachtende Überlassungsdauer nach Meinung der BA durch eine Addition zu ermitteln. Für die Berechnung von Teilmonaten ist der Monat mit 30 Tagen anzusetzen (in Anlehnung an § 191 BGB), sog. 1/30-Regel (vgl.FW AÜG Ziff. 1.2.1 Abs. 2, 3, S. 23 f.). Eine Überlassung von 10 Tagen an den Entleiher wird mit 1/3 Monat (= 10/30) angerechnet.

In der Literatur wird in Abweichung dazu für die gesamte Fristberechnung auf § 191 BGB abgestellt (vgl. Pütz, DB 2017, 425; Ulrici, AÜG, § 1 Rn. 9). Die einzelnen Monate werden pauschal mit 30 Tagen in die Berechnung eingestellt, selbst wenn diese realiter eine höhere oder geringere Anzahl an Kalendertagen aufweisen. So wird auch der Monat Februar mit 30 Tagen einbezogen. Dies gilt für den August entsprechend, selbst wenn dieser Monat über 31 Kalendertage verfügt. Diese Ansicht führt dazu, dass über die Dauer von 18 Monaten – im Vergleich zur herrschenden Meinung – einige Tage „verloren gehen″ (540 Tage vs. 548 Tage). Die Überlassungshöchstdauer konnte danach erstmals bereits mit Ablauf des 22. September 2018 enden.

Vor diesem Hintergrund müssen sich Verleiher und Entleiher bereits fragen, welchen Zeitpunkt sie als maßgeblich für den Ablauf der Überlassungshöchstdauer ansehen. Es sprechen dabei gute und überzeugende Gründe dafür, hier auf §§ 187 Abs. 2 S. 1, 188 Abs. 2 BGB abzustellen. Bei der Überlassungshöchstdauer handelt es sich um einen zusammenhängenden Zeitraum, wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 1b S. 1 BGB ergibt („aufeinander folgende Monate″); unbeachtliche Unterbrechungszeiten von bis zu drei Monaten stellen dabei eine Ausnahme vom Grundsatz der zusammenhängenden Berechnung der Frist dar, ohne dass dies zur Anwendung von § 191 BGB führen würde. Mangels einschlägiger Rechtsprechung besteht jedoch eine gewisse Rechtsunsicherheit, ob die Gerichte insoweit nicht eine abweichende Auffassung vertreten und § 191 BGB anwenden werden – mit der Folge, dass die Überlassungshöchstdauer zeitlich früher abläuft und die an einen Verstoß anknüpfenden Rechtsfolgen im Ergebnis eintreten. Sollen jegliche Risiken durch eine mögliche Überschreitung der Überlassungshöchstdauer vermieden werden, sollte konsequent auf § 191 BGB abgestellt werden. Hier gilt es allerdings – auch unter wirtschaftlichen Erwägungen – eine kundenspezifische Risikoabwägung zu treffen.

Nach dem Auftakt ist dies der zweite Teil unserer Reihe zur Überlassungshöchstdauer aus Praxissicht. Weitere Beiträge erscheinen.

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Teil 3: Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß

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In (wirksamen) Flächen- bzw. Firmentarifverträgen der Einsatzbranche bzw. des Entleihers (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 237; Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 356; Müller, FA 2018, 361), nicht jedoch in den Tarifverträgen der Zeitarbeit (Tarifwerke BAP/DGB oder iGZ/DGB) kann eine von den 18 Monaten abweichende verlängernde oder verkürzende Überlassungshöchstdauer vorgesehen werden (§ 1 Abs. 1b S. 3 AÜG).

Ist die Überlassungshöchstdauer bereits hinreichend konkretisiert, gilt diese bei dem Entleiher, ohne dass es eines weiteren Umsetzungsaktes bedarf. In solchen Tarifverträgen können zudem Öffnungsklauseln vorgesehen werden, die Betriebsvereinbarungen über die Änderung der Überlassungshöchstdauer durch die jeweiligen Betriebspartner im tarifgebundenen Einsatzbetrieb zulassen (§ 1 Abs. 1b S. 5 AÜG).

Anwendbarkeit von Tarifverträgen bei nicht tarifgebundenen Entleihern

Sofern ein Tarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer abgeschlossen worden ist, können sich auch nicht tarifgebundene Entleiher diesen nutzbar machen, indem dieser durch eine Betriebsvereinbarung übernommen, sprich „abgeschrieben″ werden muss (§ 1 Abs. 1 S. 4 AÜG); dies gilt nicht nur für die Überlassungshöchstdauer selbst, sondern alle damit sachlich in einem unmittelbaren Zusammenhang stehenden tariflichen Bestimmungen (Sachgruppenvergleich), z.B. eine Übernahmepflicht nach einer gewissen Dauer (Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, § 1 Rn. 248). Voraussetzung ist allerdings, dass der betreffende Tarifvertrag unter Berücksichtigung des jeweiligen Geltungsbereichs für den Entleiher anwendbar ist, wenn dieser tarifgebunden wäre.

§ 1 Abs. 1b S. 6 AÜG ermöglicht nicht tarifgebundenen Entleihern von einer tarifvertraglichen Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen Gebrauch zu machen. Für diese gelten grundsätzlich in gleicher Weise wie für tarifgebundene Entleiher die Vorgaben des Tarifvertrages. Der Entleiher müsste – eine Tarifbindung unterstellt – dabei von dem tariflichen Geltungsbereich erfasst sein, der die Abweichung im Rahmen einer Öffnungsklausel ermöglicht (BT-Drucks. 18/9232, 19). Diese Möglichkeit ist aber auf eine Überlassungshöchstdauer von maximal 24 Monate begrenzt, wenn der Tarifvertrag selbst keine von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer oder einen entsprechenden Rahmen für Betriebsvereinbarungen festlegt. Für tarifgebundene Entleiher gilt diese Limitierung nicht. Im Ergebnis bedeutet dies, dass nicht tarifgebundene Unternehmen, die aufgrund einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Öffnungsklausel in einer Betriebsvereinbarung eine abweichende Regelung zur Überlassungshöchstdauer festlegen wollen, je nach Ausgestaltung des maßgeblichen Tarifvertrages beschränkt werden können. Ist für den (nicht tarifgebundenen) Entleiherbetrieb kein Betriebsrat gewählt worden, verbleibt es bei den gesetzlich vorgesehenen 18 Monaten. Arbeitsvertragliche Regelungen mit den Zeitarbeitnehmern zur Verlängerung der Überlassungshöchstdauer sind gleichfalls nicht hinreichend.

Tarifliche Regelung einer zweck- oder sachgrundbefristeten Überlassungshöchstdauer

Im Tarifvertrag der Einsatzbranche bzw. in einer aufgrund eines Tarifvertrages getroffenen Betriebsvereinbarung soll unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9232, S. 20) nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht eine eigene Regelung zu der Überlassungsdauer vorgesehen werden müssen, um den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu gewährleisten (Zimmermann, BB 2016, 54; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 114; Henssler, RdA 2016, 23). Ausgeschlossen soll damit sein, dass die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche einen unbefristeten Einsatz von Zeitarbeitnehmern vereinbaren; in der Gesetzesbegründung heißt es dazu ausdrücklich, dass dem dauerhaften Einsatz von Zeitarbeitnehmern, der letztlich zu einer Verdrängung von Stammbeschäftigten führt, durch die Einführung einer gesetzlichen Überlassungshöchstdauer entgegengewirkt werden soll (BT-Drucks. 18/9232, S. 14). Eine zeitlich maximale „Deckelung″ der Überlassungshöchstdauer ist aber weder im Gesetz vorgesehen noch dort angelegt (einschränkend: Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 307 ff.). Die zuständigen Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche haben insoweit also ein weites Gestaltungsermessen. Es bedarf auch keines Sachgrunds, durch den die Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gerechtfertigt werden muss.

Es sprechen im Übrigen gute Argumente dafür, dass der Tarifvertrag der Einsatzbranche die Überlassung von Zeitarbeitnehmern nicht ausschließlich zeitlich, sondern im Zweifel auch nach deren Zweck befristen oder an einen sonstigen Sachgrund anknüpfen kann (Henssler/Höpfner, Tarif- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer auf die Sozialpartner der Einsatzbranche begrenzten Tariföffnungsklausel zur AÜG-Überlassungshöchstdauer, Gutachten 2016, S. 11 f.; a.A. Zimmermann, BB 2016, 54; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 114), insbesondere an einen zeitlich noch unbestimmten Vertretungsbedarf, z.B. bei einer Dauerkrankheit, oder an sonstige rein arbeitsplatzbezogene Merkmale, z.B. Personalbedarf im Rahmen eines Projekts. Der Wortlaut von § 1 Abs. 1b S. 5 AÜG kann zumindest zwanglos in diesem Sinne ausgelegt werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/9232, S. 20) wird zudem auf die Möglichkeit der Flexibilisierung der Dauer des Einsatzes durch das Vorliegen von Sachgründen verwiesen. Für die Zulässigkeit spricht außerdem, dass der Gesetzgeber ergänzende tarifliche Bestimmungen, z.B. zu Übernahmeangeboten oder Differenzierungen nach Einsatzzwecken/-bereichen, in der Gesetzesbegründung ausdrücklich zulässt (BT-Drucks. 18/9232, S. 19). Vor diesem Hintergrund muss neben der zeit- auch eine zweck- oder sachgrundbefristete Überlassungshöchstdauer tariflich regelbar sein, die über 18 Monate hinausgeht (so z.B. in § 2.2 TV LeiZ Baden-Württemberg).

Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Überlassungshöchstdauer

Die Überschreitung der einschlägigen gesetzlichen oder davon abweichend durch Tarifvertrag oder eine darauf aufsetzende Betriebsvereinbarung geregelte Überlassungshöchstdauer führt zu der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem Zeitarbeitnehmer und dem Entleiher, auch ohne oder sogar gegen deren Willen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b i.V.m. § 10 Abs. 1 AÜG), es sei denn, der Zeitarbeitnehmer gibt eine sog. Festhaltenserklärung ab, die zu einem „Rückfall″ des Arbeitsverhältnisses an den Verleiher führt (vgl. § 9 Abs. 2, 3 AÜG). Im Ergebnis ist das bei der Abgabe der Festhaltenserklärung zu beachtende Verfahren hoch komplex und bürokratisch ausgestaltet, so dass anzunehmen ist, dass einem entsprechend willigen Zeitarbeitnehmer nur mit Schwierigkeiten überhaupt die rechtskonforme und damit wirksame Abgabe einer solchen gelingen wird.

Der Verstoß gegen die gesetzliche Überlassungshöchstdauer ist für den Verleiher (nicht hingegen für den Entleiher) bußgeldbewehrt (bis zu EUR 30.000,00, vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1e, Abs. 2 AÜG). Ob auch die Missachtung einer abweichend in einem Tarifvertrag oder in einer aufgrund eines Tarifvertrages abgeschlossenen Betriebsvereinbarung geregelten Überlassungshöchstdauer ordnungswidrig ist, muss aufgrund des Wortlautes von § 16 Abs. 1 Nr. 1e AÜG in Abrede gestellt werden; dieser verweist nur auf § 1 Abs. 1b S. 1 und nicht auf die § 1 Abs. 1b S. 2 bis 8 AÜG, in denen die Abweichungsmöglichkeiten von den gesetzlichen 18 Monaten festgelegt werden. Der Verleiher muss ergänzend erlaubnisrechtliche Konsequenzen befürchten, die u.a. den Widerruf der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis (§ 5 AÜG) oder die Ablehnung der beantragten Verlängerung zur Folge haben können.

Nach dem Auftakt und den wesentlichen Grundsätze der Überlassungshöchstdauer ist dies der dritte Teil unserer Reihe aus Praxissicht.

Der Beitrag Teil 3: Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß erschien zuerst auf CMS Blog.

Ein (lohnender) Blick in das Strafrecht: (Kein) Vorsatz beim Vorenthalten von Arbeitsentgelt

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Nach § 266a Abs. 1 StGB steht das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen unter Strafe. Genauer gesagt kann derjenige, der vorsätzlich als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers* zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, vorenthält und zwar unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden. Dies gilt gem. § 266a Abs. 2 StGB auch für Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.

Dieser Straftatbestand kommt regelmäßig ins Spiel, wenn (vermeintlich) selbständig tätige Personen, z.B. Freelancer oder Gewerbetreibende, eingesetzt werden, deren Tätigkeit sich aber de facto als „scheinselbständig“ herausstellt, da sie nicht frei von Weisungen, sondern gerade weisungsabhängig und bei dem „Auftraggeber“ eingegliedert in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig werden.

Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und Strafverfolgung möglich

Der Auftraggeber (und de facto Arbeitgeber) hat aufgrund der angenommenen Selbständigkeit regelmäßig keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt und könnte sich daher im Falle einer Scheinselbständigkeit nicht nur einer Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen, sondern auch einer Strafverfolgung nach § 266a StGB ausgesetzt sehen.

Diese Fragen beschäftigen im Übrigen auch Agenturen, die sich auf die Vermittlung von Freelancern an Dritte spezialisiert haben – nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Tatsache, dass in der Praxis eine trennscharfe und rechtssichere Abgrenzung, ob tatsächlich noch eine selbständige Tätigkeit oder schon eine abhängige Beschäftigung vorliegt, in vielen Fallgestaltungen schlichtweg nicht möglich ist. Dies liegt insbesondere an den zahlreichen, von der Rechtsprechung in den letzten Jahrzehnten entwickelten Kriterien und der im Einzelfall immer noch vorzunehmenden wertenden Gesamtschau. Die Ergebnisse erscheinen daher – zumindest in gewissen Konstellationen – mitunter „beliebig“ bzw. zumindest nicht belastbar und damit nicht prognostizierbar zu sein.

Strafbarkeitsrisiko bei Arbeitnehmerüberlassung

Das Risiko einer Strafbarkeit nach § 266a StGB ist aber nicht nur auf den Einsatz vermeintlicher Freelancer beschränkt, wenngleich dies in der Praxis eine häufig anzutreffende Konstellation sein wird. Nicht aus dem Auge gelassen werden darf nämlich folgender Sachverhalt: Wird vorgeblich ein „echter“ Werk-/Dienstvertrag abgeschlossen, in dessen Abwicklung sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer des Auftragnehmers eingesetzt werden, handelt es sich de facto aber um eine Arbeitnehmerüberlassung (durch die weisungsgebundene Eingliederung der Arbeitnehmer des Auftragnehmers in den Betrieb des Auftraggebers), wird damit bei Erlaubnisinhabern in der Regel die Offenlegungs-/Konkretisierungspflicht gem. § 1 Abs. 1 S. 5, 6 AÜG bzw. bei einer fehlenden Erlaubnis zumindest § 1 AÜG verletzt. Im Ergebnis wird ein Arbeitsverhältnis zwischen den eingesetzten Arbeitnehmern und dem vermeintlichen Auftraggeber fingiert (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a i.V.m. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG).

Das Problem: Der Auftraggeber hat aufgrund der Annahme, dass ein „echter“ Werk-/Dienstvertrag vereinbart und durchgeführt wird, für diese Mitarbeiter, die zu ihm nunmehr in einem Arbeitsverhältnis stehen, keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Dabei spielt es keine Rolle, dass diese vom faktischen Verleiher gezahlt worden sind; relevant ist im Anwendungsbereich des § 266a StGB nur, dass der rechtlich „eigentliche“ Arbeitgeber (hier: der Auftraggeber) für seine Arbeitnehmer keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hat. Die Vorschrift setzt keinen Schaden voraus, so dass die von dem Auftragnehmer abgeführten Beiträge nicht zugunsten des Auftraggebers angerechnet oder gar gutgeschrieben werden können.

BGH: Bedingter Vorsatz für Strafbarkeit nach § 266a StGB

Vor dem Hintergrund der beträchtlichen finanziellen und natürlich strafrechtlichen Risiken durch eine mögliche Scheinselbständigkeit (oder eine verdeckte bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung) lässt eine aktuelle strafrechtliche Entscheidung des BGH aufhorchen, die sich mit den Anforderungen an den für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 266a StGB erforderlichen (zumindest bedingten) Vorsatz befasst (Urteil v. 24. Januar 2018 – 1 StR 331/17); eine (etwaig sogar grobe oder gröblichste) Fahrlässigkeit ist in diesem Zusammenhang nicht strafbewehrt.

Der BGH ging in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 266a StGB von einem vermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich aller Voraussetzungen aus (vgl. BGH, Urteil v. 4. September 2013 – 1 StR 94/13). Steuerstrafrechtlich wurde bei einem Irrtum über die Arbeitgeberschaft ein Tatbestandsirrtum angenommen (vgl. BGH, Urteil v. 24. Oktober 1990 – 3 StR 16/90). Da jedoch für die Differenzierung hinsichtlich der Anforderungen an einen Tatbestands- oder Verbotsirrtum kein sachlicher Grund erkennbar sei und es sich jeweils um (normative) Tatbestandsmerkmale handele, erwägt der 1. Senat des BGH, die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln.

Gerichte werden Vorsatz nicht mehr ohne weiteres annehmen können

Zwar ist noch unklar, wie sich die Rechtsprechung des 1. Senats entwickeln wird. Üblicherweise kündigen die Bundesgerichte aber eine anstehende Änderung der Rechtsprechung – wie vorliegend geschehen – durch entsprechende Erwägungen an und setzen diese sodann bei der nächsten Gelegenheit um, wenn ein passender Fall in die letzte Instanz „gespült“ wird.

Bis zu diesem Zeitpunkt verbleibt natürlich nach wie vor eine gewisse Rechtsunsicherheit hinsichtlich des anzulegenden Maßstabes an den Vorsatz bzw. einen Tatbestandsirrtum im Rahmen von § 266a StGB. Es kann aber auf Grundlage der (absehbaren) Anpassung der Judikatur davon ausgegangen werden, dass sich die Betroffenen unter Umständen erleichtert auf das Vorliegen eines Tatbestandsirrtums und damit zumindest auf eine Straffreiheit berufen können.

Dabei dürfte in diesem Zusammenhang von folgenden Grundsätzen auszugehen sein (vgl. dazu: Floeth, NStZ-RR 2018, 182; Reiserer, DStR 2018, 1624 ff.):

  • Sollten die Indizien für eine Scheinselbständigkeit eindeutig überwiegen und damit klar auf der Hand liegen, dass keine freie, sondern eine abhängige Tätigkeit vorliegt, ist auch zukünftig von einem bedingt vorsätzlichen Verhalten auszugehen. So auch der BGH schon jetzt (Urteil v. 13.12.2018 – 5 StR 275/18), wenn der Geschäftsführer ernsthaft mit der Möglichkeit rechnet, gegen die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu verstoßen, und dies billigend in Kauf nimmt.
  • Keine Auswirkungen wird die angekündigte Änderung der Rechtsprechung ebenfalls auf die strafrechtliche Bewertung von Sachverhalten haben, in denen das Verhalten des vermeintlichen Auftraggebers gerade darauf ausgerichtet ist, die faktisch vorliegende abhängige Beschäftigung zu verschleiern.
  • Sollte hingegen bei einer objektiven Bewertung nicht klar sein, ob eine freie Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung vorliegt, dürfte zukünftig von einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum auszugehen sein. Liegen sowohl gewichtige Indizien für eine freie Tätigkeit als auch für eine abhängige Beschäftigung vor, kann ein Vorsatz nicht ohne weiteres unterstellt werden, selbst wenn das Gericht im Ergebnis objektiv von einer Scheinselbständigkeit ausgeht.
  • Die oben dargestellten Grundsätze bzw. Fallgruppen sind auf den Abschluss eines (vermeintlichen) Werk-/Dienstvertrages zu übertragen, der sodann mit den Mitarbeitern des „Auftragnehmers“ – entgegen der Vereinbarung – als verdeckte oder sogar illegale Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird.

Im Ergebnis ist gerade im „Grauzonenbereich“ zukünftig eine (anwaltliche) Beratung unerlässlich, um Strafbarkeitsrisiken zu minimieren, die sich aus der Tätigkeit von Scheinselbständigen oder der verdeckten bzw. illegalen Arbeitnehmerüberlassung ergeben können. Wird aufgrund der Beratung ein rechtlich vertretbares Modell entwickelt, bei dem zumindest gute Gründe angeführt werden können, dass eine selbständige Tätigkeit im Rahmen eines Werk-/Dienstvertrages und gerade keine Scheinselbständigkeit oder eine verdeckte bzw. illegale Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, dürfte sich das entsprechend beratene Unternehmen zukünftig auf einen Tatbestandsirrtum und damit auf eine Straflosigkeit berufen können. Dies gilt natürlich nur, wenn es sich nicht lediglich um eine „Gefälligkeitsberatung“ handelt, bei der anwaltlich die rechtlich „saubere Umsetzbarkeit“ attestiert wird, obwohl es sich offensichtlich um Scheinwerk-/Scheindienstverträge bzw. um eine Scheinselbständigkeit handelt.

Die Straffreiheit über einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum wird daher nur derjenige erlangen können, der sich redlich um einen den geltenden Rechtsrahmen beachtenden Fremdpersonaleinsatz bemüht und insoweit eine mit guten Argumenten zu verteidigende Konstruktion schafft. Die angekündigte Rechtsprechungsänderung des BGH soll dabei gerade eine Strafbarkeit ausschließen, die sich aus den objektiv bestehenden Auslegungsspielräumen der Gerichte dahingehend ergeben kann, ob ein Einsatz nun als echte selbständige oder als abhängige Tätigkeit eingestuft wird.

Die oftmals eher zufälligen und nur schwer kalkulierbaren Ergebnisse im Einzelfall sollen – zumindest im Strafrecht – nicht zu Lasten des Rechtsanwenders gehen, der sich im Vorfeld um eine rechtlich vertretbare Lösung bemüht und entsprechenden fachkundigen Rat eingeholt hat.

Änderungen im SchwarzArbG geplant: Das leichtfertige Nichtabführen der Sozialversicherungsbeiträge wird Bußgeldbewehrt

Auch der Gesetzgeber reagiert – in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsbetrug“ (BT-Drucksache 19/8691 v. 25. März 2019; s. dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 12. April 2019 und die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucksache 19/9768) soll im SchwarzArbG ein neuer Tatbestand für eine Ordnungswidrigkeit geschaffen werden. Mit einem Bußgeld soll bereits derjenige belangt werden können, der

als Arbeitgeber eine in § 266a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches bezeichnete Handlung leichtfertig begeht und dadurch der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung oder vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, leichtfertig vorenthält.

Ein Schelm, wer dabei Böses denkt – die Änderung des Gesetzes folgt zeitlich sicher nur zufällig auf eine sich abzeichnende Anpassung der Rechtsprechung des BGH. Wird dem Arbeitgeber aufgrund eines Tatbestandsirrtums kein Vorsatz für eine Strafbarkeit nach § 266a StGB nachgewiesen, soll er wegen einer leichter nachzuweisenden (groben) Fahrlässigkeit „wenigstens“ ein Bußgeld erhalten können – eine wirklich „runde Sache“, die sich der Gesetzgeber im höchst komplexen Anwendungsbereich des Fremdpersonaleinsatzes und der dortigen Abgrenzungsschwierigkeiten ausgedacht hat! Die gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich der Arbeitgeber nach dem Willen des Gesetzgebers noch exkulpieren kann.

In § 8 Abs. 9 SchwarzArbG ist vorgesehen, eine Geldbuße nach § 8 Abs. 3 SchwarzArbG (bis zu EUR 50.000,00) nicht festgesetzt wird, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach gegenüber der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt, er schriftlich darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat, und die vorenthaltenen Beiträge nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Diese Exkulpationsmöglichkeit ist aber derart eng gefasst, dass sie für die Fallgestaltungen der Scheinselbständigkeit bzw. der verdeckten oder gar illegalen Arbeitnehmerüberlassung in der Praxis keine oder allenfalls eine sehr geringe Rolle spielen dürfte.

Weitere Einzelheiten dazu entnehmen Sie dabei bitte der Mai-Ausgabe des „Infobriefs Zeitarbeit″, in dem wir jeden Monat über aktuelle Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Fremdpersonal informieren. Sollten Sie Interesse haben, diesen kostenfrei zu beziehen, schreiben Sie uns bitte eine kurze E-Mail (alexander.bissels@cms-hs.com oder kira.falter@cms-hs.com).

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Teil 4 zur Überlassungshöchstdauer: Tarifverträge der Einsatzbranche

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Im Vorfeld zum erstmals möglichen Ablauf der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer im September 2018 kam es in Einsatzbranchen, in denen bereits Tarifverträge gem. § 1 Abs. 1b S. 3, 5 AÜG geschlossen worden sind, zu einer gewissen „hektischen Betriebsamkeit“, um diese – insbesondere durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen – zu verlängern.

Die bislang bekannten Tarifverträge und deren wesentlichen Inhalte zur Überlassungshöchstdauer führen wir im Folgenden auf (ohne Anspruch auf Vollständigkeit; ein zentrales öffentliches Register, in dem diese Tarifverträge hinterlegt werden müssen und zugänglich sind, existiert nicht).

Tarifvertrag in der M+E-Industrie

Es besteht ein Tarifvertrag zur Leih-/Zeitarbeit in der Metall- und Elektroindustrie vom 31. Mai 2017 (TV LeiZ), abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. (Südwestmetall) und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg, Bezirksleitung Baden-Württemberg.

Es existiert kein bundeseinheitlicher TV LeiZ; vielmehr sind in den einzelnen Tarifbezirken zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden M+E und der IG Metall jeweils regionale, im Wesentlichen inhaltsgleiche Tarifverträge abgeschlossen worden. Bei tarifgebundenen Entleihern gilt ohne eine konkretisierende Betriebsvereinbarung eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten (Ziff. 2.3 Abs. 1 TV LeiZ). Die insoweit abweichende Ansicht, nach der für die Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer im Anwendungsbereich des TV LeiZ stets eine konkretisierende Betriebsvereinbarung verlangt wird (vgl. Bauer, BD 8/2018, 14), vermag nicht zu überzeugen, verweist Ziff. 2.3 Abs. 1 TV LeiZ zur Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten ausdrücklich auch auf die Bestimmung gem. Ziff. 4.1 TV LeiZ zu Betrieben ohne Betriebsvereinbarung, in denen mangels ausdrücklicher Festlegung dann gem. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG automatisch eine Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten gelten muss. Dagegen spricht auch nicht Ziff. 8.1 Abs. 3 TV LeiZ, der ein Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten vorsieht, wenn zwischen den Betriebsparteien keine Einigung über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung erzielt wird. Diese Bestimmung stellt lediglich eine Ausnahme vom Regelfall der Geltung einer Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten bei Altbetriebsvereinbarungen ohne eine Überlassungshöchstdauer dar, wenn die Verhandlungen der Betriebspartner über eine entsprechende Festlegung nicht erfolgreich beendet werden können.

Wurde keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, ist nach einer Überlassungsdauer von 18 Monaten von dem Entleiher zu prüfen, ob dieser dem Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten kann. Nach 24 Monaten der Überlassung hat der Entleiher dem Zeitarbeitnehmer einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten. Die verlängerte Überlassungshöchstdauer von 48 Monaten kann dennoch ausgereizt werden, wenn dem Zeitarbeitnehmer durch den Entleiher ein entsprechendes Übernahmeangebot gemacht wurde, dieses jedoch von dem Mitarbeiter abgelehnt wird. Sollte eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden, können darin eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 48 Monaten sowie weitere Regelungen zum Einsatz von Zeitarbeitern im Betrieb festgelegt werden; die Prüf- bzw. Übernahmepflichten nach 18 bzw. 24 Monaten entfallen, wenn und soweit solche in der Betriebsvereinbarung nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

Tarifvertrag im Elektrohandwerk zwischen ZVEH und CGM

Zwischen dem Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) und der CGM wurde ein Tarifvertrag zur Regelung der Zeitarbeit in den Elektrohandwerken vom 16. Mai 2018 abgeschlossen. In allen tarifgebundenen Betrieben des Elektrohandwerks gilt – unter Berücksichtigung des räumlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrages – ohne weiteres Zutun eine Überlassungshöchstdauer von 30 Monaten. Der insoweit abweichenden Auffassung, nach der es immer einer entsprechend konkretisierenden Betriebsvereinbarung bedarf (Bauer, BD 8/2018, 16), ist nicht zu folgen. Die Überlassungshöchstdauer beträgt „automatisch“ 30 Monate, ansonsten würde die tariflich vorgesehene Erhöhung auf 36 Monate durch eine „betriebliche Absprache“ keinen Anwendungsbereich mehr haben. Hierunter dürfte auch eine Betriebsvereinbarung fallen, selbst wenn der ZVEH darunter wohl (gesetzlich nicht vorgesehene und damit unwirksame) Abreden zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern* in betriebsratslosen Betrieben zur Erhöhung der Überlassungshöchstdauer verstanden wissen möchte (dazu sogleich).

Die Überlassungshöchstdauer von 30 Monaten kann durch eine Betriebsvereinbarung auf bis zu 36 Monate verlängert werden. Nach Ansicht des ZVEH soll in betriebsratslosen Betrieben eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und den Beschäftigten ausreichend sein, um eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten vorzusehen. U.E. ist diese Möglichkeit gesetzlich nicht vorgesehen und damit vom AÜG nicht gedeckt. Im Zweifel ist in einem solchen Fall von einer Überlassungshöchstdauer von maximal 30 Monaten auszugehen.

Ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit des Tarifvertrages bestehen nicht. Zwar ist die CGM dem „christlichen Lager“ der Gewerkschaften zuzuordnen und nicht im DGB organisiert, ihre Tariffähigkeit ist zuletzt aber im Jahr 2006 ausdrücklich vom BAG bestätigt worden (vgl. BAG, Urteil v. 28. März 2006 – 1 ABR 58/04). Gründe, warum sich an dieser Bewertung etwas geändert haben sollte, sind nicht ersichtlich. Freilich lassen sich gewisse Restrisiken, die sich aus der Anwendung des CGM-Tarifvertrages ergeben, nicht ausschließen– ggf. auch mit Blick auf Zweifel bzgl. der Tarifzuständigkeit der CGM für das Elektrohandwerk. Wäre die CGM nicht tariffähig/-zuständig, wäre der Tarifvertrag unwirksam; es würde die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gelten. Wenn diese bei der Überlassung von Zeitarbeitnehmern überschritten worden ist, wäre zwischen diesen und dem Entleiher ein Arbeitsverhältnis fingert worden. Ob tatsächlich eine Ordnungswidrigkeit verwirklicht worden wäre oder erlaubnisrechtliche Maßnahme eingeleitet werden können, hängt von einem Verschulden ab. U.E. ist es gut vertretbar zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu argumentieren, dass vor dem Hintergrund der Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2006 keine Veranlassung bestand an der Wirksamkeit des o.g. Tarifvertrages berechtigte Zweifel zu hegen. Ein Verschulden würde sodann ausscheiden.

Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Elektro- und Informationstechnik Hessen/Rheinland-Pfalz und der IG Metall

Ein weiterer Tarifvertrag über gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung vom 29. Mai 2018 wurde zwischen dem Fachverband Elektro- und Informationstechnik Hessen/Rheinland-Pfalz und der IG Metall, Bezirksleitung Mitte, abgeschlossen. Dieser sieht eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten vor, die durch eine Betriebsvereinbarung geregelt wird.

Der Wortlaut des Tarifvertrages legt zunächst nahe, dass es auch bei einer Tarifbindung des Entleihers in jedem Fall einer Betriebsvereinbarung bedarf, um von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten abweichen zu können. Hiergegen spricht jedoch Ziff. 2 der Protokollnotiz, in der festgestellt wird,

dass es nur in mitbestimmten Betrieben einer Betriebsvereinbarung zwischen den Betriebsparteien zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung bedarf. In nicht mitbestimmten Betrieben bedarf es keiner Vereinbarung.

Diese Regelung kann dafür herangezogen werden, dass eine Verlängerung der Überlassungshöchstdauer auf maximal 36 Monate in Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, nur möglich ist, wenn eine entsprechende Betriebsvereinbarung hierüber geschlossen wurde. Besteht kein Betriebsrat, gilt automatisch eine Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten. In § 4 Abs. 3 ist vorgesehen, dass der Entleiher dem Zeitarbeitnehmer spätestens nach 12 Monaten ein Beschäftigungsangebot zu unterbreiten hat. Anders als im TV LeiZ dürfte dies auch gelten, wenn und soweit in dem betreffenden Betrieb eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitnehmerüberlassung abgeschlossen und in dieser eine solche Verpflichtung nicht übernommen worden ist. Die verlängerte Überlassungshöchstdauer kann – wie im Anwendungsbereich des TV LeiZ – dennoch ausgeschöpft werden, wenn dem Zeitarbeitnehmer durch den Entleiher ein entsprechendes Übernahmeangebot unterbreitet worden ist, das dieser abgelehnt hat.

Tarifvertrag in der Stahlindustrie

Es besteht ein Tarifvertrag zur Überlassungshöchstdauer nach dem AÜG vom 22. August 2018, abgeschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband Stahl e.V. und der IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, mit einer Überlassungshöchstdauer von bis zu 36 Monaten. Diese gilt allerdings nicht automatisch. Vielmehr bedarf es (auch) beim tarifgebundenen Entleiher der Umsetzung des Tarifvertrages in einer (freiwilligen) Betriebsvereinbarung. Wird eine solche nicht geschlossen oder existiert kein Betriebsrat, gilt die gesetzliche Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten.

Tarifvertrag in der Energiebranche

Der Arbeitgeberverband der Elektrizitätswerke Baden-Württemberg e.V. und ver.di haben einen Tarifvertrag zur Dauer von Zeitarbeitnehmereinsätzen in der baden-württembergischen Energiebranche vom 23. Juli 2018 abgeschlossen. Über die gesetzliche Überlassungsdauer hinaus gehende Einsätze von Zeitarbeitnehmern werden durch eine in der Anlage zu dem genannten Tarifvertrag beschriebene Fallgruppe legitimiert; die Betriebspartner können weitere Anlagen zu dem Tarifvertrag entwickeln (im Zweifel durch eine Betriebsvereinbarung), die der schriftlichen Zustimmung der Tarifvertragsparteien bedürfen, so z.B. in der bestehenden Anlage 2 zum „Ausstieg aus kerntechnischer Erzeugung und Rückbau“.

Sonstige Tarifverträge

Dem Vernehmen nach soll inzwischen auch für den Bergbau bzw. die Bahn ein Tarifvertrag zur Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer vereinbart worden sein (bis zu 54 bzw. bis zu 36 Monate). Die schlechte Nachricht: für die chemische Industrie sollen die Verhandlungen über den Abschluss eines Flächentarifvertrages gescheitert sein; hier sind aber bereits zahlreiche Firmen- bzw. unternehmensbezogene Verbandstarifverträge, z.B. bei BASF SE, abgeschlossen worden, die eine Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer zulassen. Die jeweils geltende Höchstfrist sollte grundsätzlich bei dem Entleiher vom Verleiher erfragt und im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag dokumentiert werden.

Nach dem Auftakt und den wesentlichen Grundsätze der Überlassungshöchstdauer sowie Informationen zu Abweichung von der gesetzlichen Überlassungshöchstdauer und Rechtsfolgen bei einem Verstoß ist dies der vierte Teil unserer Reihe aus Praxissicht.

*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.

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Führungsaufgabe als zustimmungspflichtige Einstellung

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Matrixstrukturen sind weit verbreitet – nicht nur in internationalen Konzernen. Fachliches und disziplinarisches Weisungsrecht werden über Betriebs-, Unternehmens- oder Ländergrenzen getrennt. Dies soll lange Entscheidungswege vermeiden und Effizienz und Flexibilität unter anderem durch kürzere Kommunikationswege sowie leichteren Know-how-Austausch/-Transfer steigern. Unternehmen stehen dabei vor rechtlichen und tatsächlichen Herausforderungen, weil herkömmliche Betriebsstrukturen die moderne Arbeitswelt nicht mehr abbilden.

Das BAG hat sich nun zu der Frage geäußert, ob die Übertragung einer Vorgesetztenfunktion eine Einstellung in den Betrieb der unterstellten Mitarbeiter darstelle und damit der dortige Betriebsrat nach § 99 BetrVG zustimmen müsse.

LAG ging bei Übertragung von Führungsaufgaben bereits von zustimmungspflichtiger Einstellung aus

Bei jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung (sog. personellen Einzelmaßnahmen) muss ein Arbeitgeber mit mehr als 20 Arbeitnehmern den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterrichten und seine Zustimmung einholen.

Die Landesarbeitsgerichte waren dabei schon bisher von einem sehr weiten Einstellungsbegriff ausgegangen. Die erste Entscheidung zu dieser Problematik erging durch das LAG Baden-Württemberg am 28. Mai 2014 (4 TaBV 7/13). Es hat entschieden, dass bereits die Bestellung zum Vorgesetzten für die Eingliederung in den Betrieb der unterstellten Mitarbeiter ausreiche und eine mitbestimmungspflichtige Einstellung darstelle. Es genüge für eine Einstellung, dass der Matrixvorgesetzte zwei Arbeitnehmer des Betriebes unmittelbar und weitere 17 nachgeordnete Arbeitnehmer mittelbar führe. Dass der Vorgesetzte die Mitarbeiter nicht vor Ort, sondern hauptsächlich über elektronische Kommunikationsmittel steuere, stehe der Einstellung nicht entgegen – Mindestanwesenheitszeiten in dem Betrieb seien nicht erforderlich.

Der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg haben sich das LAG Berlin-Brandenburg am 17. Juni 2015 (17 TaBV 277/15) und das LAG Düsseldorf am 10. Februar 2016 (7 TaBV 63/15) vollumfänglich angeschlossen.

Mit der im Verfahren vor dem BAG streitbefangenen Entscheidung vom 20. Dezember 2017 (12 TaBV 66/17) erweiterte das LAG Düsseldorf den Einstellungsbegriff noch weiter. Es entschied, dass eine Einstellung nach § 99 BetrVG keine quantitative und wohl auch keine qualitative Grenze kenne. Jedenfalls sei es ausreichend, wenn der Vorgesetzte, dessen Einstellung in Rede stehe, keine völlig bedeutungslose Führungsaufgabe habe. Im konkreten Fall führte der Vorgesetzte aus der Unternehmenszentrale nur einen Mitarbeiter in dem betreffenden Betrieb, wenn auch einen Abteilungsleiter, dem weitere 35 Mitarbeiter unterstellt waren. Das reichte dem LAG Düsseldorf für eine Einstellung im Betrieb des untergeordneten Abteilungsleiters aus.

BAG: Weiter Einstellungsbegriff – jedoch sind Zustimmungsverweigerungsgründe restriktiv auszulegen

Nunmehr hat sich das BAG (nach der mündlichen Urteilsbegründung) dem weiten Einstellungsbegriff der Landesarbeitsgerichte angeschlossen; eine an sich dringend notwendige Korrektur wird es nicht geben. Wie das BAG dies im Einzelnen begründet, bleibt noch abzuwarten.

Am 12. Juni 2019 (1 ABR 5/18) fand die mündliche Anhörung in der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 20. Dezember 2017 statt. Dabei hat sich das BAG (wohl) dem weiten Einstellungsbegriff der Landesarbeitsgerichte angeschlossen. Allerdings hat das BAG die Zustimmung des Betriebsrates zur betroffenen Einstellung des Arbeitnehmers ersetzt, da kein Zustimmungsverweigerungsgrund vorlag. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG seinen Beschluss vor dem Hintergrund der vielfältigen Kritik am überaus weiten Einstellungsbegriff, begründet.

Allerdings besteht Hoffnung für Arbeitgeber, dass trotz des nun erforderlichen Aufwandes bei der Unterrichtung des Betriebsrates häufige Zustimmungsverweigerungen ausbleiben. Das BAG hat nämlich die Zustimmungsverweigerungsgründe restriktiv ausgelegt.

Dabei sind keineswegs nur Matrixorganisationen von der hier vorgestellten Rechtsprechung betroffen. Auch in zahlreichen „herkömmlichen″ Unternehmen, insbesondere solchen mit Filialstrukturen, in denen Führungskräfte aus den Zentralen Vorgesetztenfunktionen in zahlreichen Filialen, Shops, Einkaufsmärkte oder sonstigen Betriebe in der Fläche ausüben, hat die Rechtsprechung Relevanz. Der weite Einstellungsbegriff würde auch dort dazu führen, dass viele Führungskräfte aus den Zentralen in weitere Betriebe eingegliedert wären.

Warum Vorgesetztenfunktionen allein nicht für eine Einstellung ausreichen sollten

Eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Die bisherige weite Auslegung dieses Begriffs durch die Landesarbeitsgerichte geht daher zu weit. Um den Begriff der Eingliederung im Rahmen der Matrixorganisation zutreffend auszufüllen, müssen nach Auslegung des § 99 BetrVG und den Grenzen der Rechtsfortbildung weitere Umstände zu den Kriterien der Landesarbeitsgerichte hinzutreten.

  • Solange die Führungskraft nur mit ihrem Weisungsrecht Einfluss auf einen oder mehrere Arbeitnehmer des Betriebes nimmt, ohne darüber hinaus in den Betrieb und seine Arbeitsorganisation eingebunden zu sein, fällt es schon begrifflich schwer, von einer „Einstellung″ zu sprechen. Dies lässt sich mit dem Wortsinn einer „Einstellung″ selbst bei einem weiten Verständnis nicht in Einklang bringen. Das gilt umso mehr, wenn die Führungskraft nur gelegentlich in dem fraglichen Betrieb vor Ort tätig ist und den oder die nachgeordneten Mitarbeiter nur mit einem Bruchteil seiner Arbeitszeit führt.
  • Auch unter systematischen Gesichtspunkten wäre eine Eingrenzung des Begriffs der Einstellung geboten. Die Annahme, allein die Vorgesetztenfunktion reiche zur Eingliederung in den Betrieb der nachgeordneten Mitarbeiter aus, würde im Fall von Matrixorganisationen zu einer Eingliederung der Führungskraft in mindestens zwei, typischerweise sogar in eine Vielzahl von Betrieben führen. Das aktive und passive Wahlrecht fällt weniger ins Gewicht; viel gravierender sind die Berechnung der zahlreichen Schwellenwerte, kumulative Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte nicht nur in personellen, sondern auch in sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten, Zuständigkeitskonflikte und kollidierende Betriebsvereinbarungen.
  • Das Betriebsverfassungsgesetz stammt aus einer Zeit in der Weisungs- und Berichtslinien vertikal von oben nach unten verliefen. Moderne Organisationsformen sind aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Das Betriebsverfassungsgesetz muss dabei auch auf neuartige Fallgestaltungen Antworten geben. Dabei sich jedoch stets die Grenzen für die Auslegung von Gesetzen oder für zulässige Analogien zu beachten.
  • Der Ansatz sich bei einer Entscheidung über moderne Unternehmensorganisationen nach dem Sinn und Zweck einer Norm zu richten, ist richtig. § 99 BetrVG will einen Ausgleich zwischen den Interessen der vorhandenen Belegschaft einerseits und den Interessen der Person, die zur „Einstellung″ ansteht, sowie denjenigen des Arbeitgebers bei der für richtig gehaltenen Personal- bzw. Organisationsentscheidung andererseits herstellen. Es ist daher zu einseitig, den Begriff der Einstellung nur an den Interessen der Belegschaft des fraglichen Einsatzbetriebes auszurichten.
    Jede Ausweitung eines Mitbestimmungstatbestandes führt zu einer Einschränkung der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Eine extensive Ausweitung des Mitbestimmungsrechts verstößt gegen den Gesetzesvorbehalt des Art. 12 GG. Es ist eine grundrechtskonforme und damit restriktive Auslegung geboten. Je mehr die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, umso größer muss das Gewicht der Belange sein, die vom Betriebsrat durchgesetzt werden sollen.
    Die Tätigkeit des Matrixvorgesetzten im fraglichen Einsatzbetrieb sollte auch erheblich sein. In quantitativer Hinsicht lässt sich in Anlehnung an § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG eine Grenze bei zehn Wochenstunden gut vertreten. Dabei erscheint eine absolute Grenzziehung sachgerechter als eine prozentuale Betrachtung. In qualitativer Hinsicht hält das LAG Düsseldorf es in seiner Entscheidung vom 20. Dezember 2017 (12 TaBV 66/17) für ausreichend, dass die Führungskraft, um deren Einstellung es geht, in dem betreffenden Betrieb eine „nicht völlig bedeutungslose Führungsaufgabe″ habe. Diese deutlich unter der Erheblichkeit liegende Schwelle ist jedoch angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die unternehmerische Organisationsfreiheit nicht angemessen.
  • Die „teilweise Personalhoheit“ des Betriebsinhabers ist nach zutreffender Auffassung notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für die Eingliederung der Führungskraft in den fraglichen Betrieb. Dabei kann es sich um die Bindung des Matrixmanagers an Weisungen einer Führungskraft des fraglichen Betriebs, insb. eines etwaigen Betriebsleiters, handeln, oder aber um sonstige Kriterien, die auf eine räumliche oder organisatorische Eingliederung schließen lassen.

Trotz dieser Argumente hat sich das BAG – zumindest nach den Aussagen in der mündlichen Anhörung – dem weiten Einstellungsbegriff der Landesarbeitsgerichte angeschlossen. Jegliche Förderung des arbeitstechnisches Zwecks eines Betriebes aufgrund der ausgeübten Tätigkeit sei für eine Einstellung ausreichend – damit genügt auch die Ausübung einer nicht völlig bedeutungslosen Führungsaufgabe. Die in der Praxis herbeigesehnte Einschränkung des völlig ausgeweiteten Einstellungsbegriffs ist dabei ausgeblieben

Zustimmungsverweigerungsgrund, § 99 Abs. 2 BetrVG

Allerdings lässt das BAG die Arbeitgeber nicht völlig mit seiner extensiven Auslegung des Einstellungsbegriffs allein. Vielmehr ersetzte es in seinem Beschluss vom 12. Juni 2019 (1 ABR 5/18) die Zustimmung des Betriebsrates und entschied, Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG lägen nicht vor. Der Betriebsrat kann bekanntermaßen die Zustimmung nur aus bestimmten, in § 99 Abs. 2 BetrVG gelisteten Gründen verweigern. Dabei ist insbesondere bemerkenswert, dass das BAG keinen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG (fehlender Ausschreibung des Arbeitsplatzes) angenommen hat. Dieser ist üblicherweise in den geschilderten Fällen von besonderer Relevanz.

Eine Ausschreibung der Stelle im Betrieb, für den die Führungskraft Führungsaufgaben übernimmt, scheint demnach bei der Übertragung von Vorgesetztenfunktionen nicht erforderlich. Das BAG begründete dies im Termin damit, dass im Betrieb, in dem die Führungskraft Führungsaufgaben übernimmt, kein neuer Arbeitsplatz geschaffen werde. Der Arbeitsplatz des Vorgesetzten bleibe vielmehr in seinem Kern nur in der Zentrale. In den Entscheidungsgründen wird daher spannend zu lesen, wie das BAG von einer Einstellung von § 99 Abs. 1 BetrVG ausgeht und dennoch einen Arbeitsplatz für die Führungskraft im Betrieb der ihr unterstellten Mitarbeiter verneint.

Fazit – Viel Aufwand für wenig Verweigerungsmöglichkeit

Das BAG scheint damit die Frage der Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG und die Frage des Arbeitsplatzes nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG unterschiedlich zu beurteilen. Es wäre wünschenswert gewesen, dass der extensive Einstellungsbegriff eingeschränkt würde. Mit dieser Entscheidung kommt nun viel bürokratischer Aufwand auf Arbeitgeber in Matrixorganisationen und Filialstrukturen zu. Jede Übernahme von Führungsaufgaben in einem anderen Betrieb macht nunmehr ein Verfahren nach § 99 BetrVG notwendig. Allerdings hat der Betriebsrat wenig Aussichten, die Zustimmung zu einer solchen „Einstellung″ zu verweigern. Er kann sie nicht mehr auf eine fehlende Ausschreibung stützen. Wichtig ist daher für den Arbeitgeber, das Verfahren ordnungsgemäß durchzuführen, insbesondere eine vollständige und richtige Unterrichtung des Betriebsrates vorzunehmen.

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BAG zur Unterschrift bei Massenentlassungsanzeige

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Für Verwirrung sorgte im vergangenen Jahr eine Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (Urteil v. 21. August 2018 – 12 Sa 17/18): Es hatte die Ansicht vertreten, dass der Arbeitgeber vor Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit die Kündigungen nicht unterschreiben dürfe.

Das BAG hat diese Entscheidung nun korrigiert und damit für Klarstellung gesorgt.

Auffassung des LAG war praktisch kaum umsetzbar

Die Auffassung des LAG Baden-Württemberg war nicht nur juristisch fragwürdig. Sie stellte die Praxis auch vor große Schwierigkeiten, weil in vielen Fällen – schon wegen des Zeitdrucks – die Kündigungsschreiben zeitgleich mit der Massenentlassungsanzeige vorbereitet werden. Es ist nicht unüblich, sie auch bereits von Vertretungsberechtigten (z. B. Geschäftsführern oder Vorständen) unterzeichnen zu lassen, damit ihre Aushändigung an die Belegschaft sofort nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erfolgen kann.

Gerade bei größeren Entlassungswellen wäre dies in der Regel logistisch auch nicht anders zu bewerkstelligen, da die Unterzeichnung mehrerer Hundert Kündigungsschreiben Zeit beansprucht und die Vertretungsberechtigten im Betrieb auch nicht ständig anwesend sind. Ist ein Geschäftsführer oder Vorstand nicht allein vertretungsberechtigt, werden für jedes Kündigungsschreiben sogar zwei Unterschriften benötigt.

BAG korrigiert Entscheidung: Kündigung sofort nach Eingang der Massenentlassungsanzeige zulässig

Das BAG hat die Entscheidung des LAG nun korrigiert (Urteil v. 13. Juni 2019 – 6 AZR 459/18). Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Die wesentlichen Erwägungen des BAG ergeben sich aber aus der Pressemitteilung.

So hat das BAG darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, Massenentlassungen der Agentur für Arbeit anzuzeigen, beschäftigungspolitischen Zwecken dient. Die Agentur für Arbeit soll rechtzeitig über eine bevorstehende Massenentlassung unterrichtet werden, um sich auf die Entlassung einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern vorbereiten und ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Hingegen hat der Gesetzgeber nicht gewollt, dass die Agentur für Arbeit auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers noch Einfluss nehmen kann. Deshalb darf der Arbeitgeber bei Einreichung der Massenentlassungsanzeige zur Kündigung bereits fest entschlossen sein, also die Kündigungsschreiben auch schon unterzeichnet in der Schublade liegen haben.

BAG ersuchte EuGH nicht um Vorabentscheidung

Zwar scheint damit die Frage, ob Kündigungen bereits vor Einreichung der Massenentlassungsanzeige unterschrieben werden dürfen, geklärt zu sein. Ein winziges Restrisiko verbleibt aber: Die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige beruht auf der europäischen Massenentlassungsrichtlinie (Richtlinie 98/59/EG). Nationale Gerichte müssen, wenn sie Richtlinien auslegen und sich hierbei Zweifelsfragen stellen, den EuGH um eine Vorabentscheidung ersuchen (Art. 267 AEUV). Hierdurch soll gewährleistet werden, dass eine Richtlinie in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einheitlich ausgelegt wird.

Eine Vorlage an den EuGH ist aber entbehrlich, wenn die Antwort auf der Hand liegt („acte claire″) oder der EuGH die Frage in der Vergangenheit bereits entschieden hat. Das BAG ging davon aus, dass sich der bisherigen Rechtsprechung des EuGH hinreichende Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass man die Frage nur so beantworten könne wie es das BAG nunmehr getan hat. Dies ist freilich eine Wertungsfrage.

Arbeitnehmer kann Verfassungsbeschwerde erheben

Theoretisch könnte daher der Arbeitnehmer, um dessen Kündigungsschutzklage es im konkreten Fall geht, binnen eines Monats ab Zustellung des Urteils Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erheben. Er könnte rügen, dass das BAG ihm dadurch, dass es von einem Vorabentscheidungsersuchen abgesehen hat, den gesetzlichen Richter entzogen habe. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der EuGH, soweit es um die Auslegung von Unionsrecht geht, gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Praxistipp: Weiterhin vorsichtig sein?

Vorsichtige Arbeitgeber sollten daher vorerst, solange unklar ist, ob das BVerfG angerufen wird, weiterhin in Erwägung ziehen, Kündigungen erst dann zu unterschreiben, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist.

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